„Im Frühling 1966 vertraute Lila mir in höchster Aufregung eine
Blechschachtel mit acht Schreibheften an.“ (Seite 17)
Als ich meinen Text zum ersten Band des Vierteilers aus Neapel
schrieb, steckte ich mit meiner Nase schon tief mitten im zweiten Roman. Ich habe
inzwischen zwei andere Romane zwischen mich und das aufgeflammte #ferrantefieber
gebracht, und kann so mit etwas Abstand auf die Lektüre schauen.
An meiner Beschreibung der erzählerischen Kunst von Elena Ferrante
muss ich nichts zurücknehmen. Im Gegenteil, mein Eindruck davon, wie gut sie zu
erzählen, ihr Mosaik zusammenzusetzen weiß, hat sich eher noch bestärkt. Das
Buch zwischendurch mal wegzulegen war einfach keine Option. 😊
In den
Jugendjahren entfaltet sich das Leben der beiden jungen Frauen weiter. Lila hat
geheiratet und nach den herkömmlichen Maßstäben des Viertels alles erreicht.
Ihr Mann ist wohlhabend und von der neuen Wohnung bis hin zu hübschen Kleidern
scheint es ihr an nichts zu mangeln.
Aus den im ersten
Satz des Romans erwähnten Schreibheften rekonstruiert die Erzählerin Elena die
Geschichte Lilas hinter der Fassade. Lilas Mann, der ihr zwar anscheinend jeden
Wunsch zu erfüllen scheint, ist zugleich und mit jedem Versuch von Unabhängigkeit
seitens Lilas mehr dem traditionellen Bild einer Ehe verhaftet. Seine Frau
gehört ihm und hat ihm im Zweifelsfall zu Willen zu sein. Vor allem, wenn er
glaubt, das vor dem Viertel beweisen zu müssen, um weiterhin als ganzer Mann
akzeptiert zu werden.
Eine erste
Schwangerschaft endet abrupt, eine zweite bahnt sich an, nachdem Lila sich auf
eine Affäre eingelassen hat – ausgerechnet mit dem jungen Studenten, den Elena seit
Jahren glaubt zu lieben. Doch die Liebesbeziehung hat keine Zukunft, obwohl
Lila bereit ist, ihr abgesichertes Leben in Wohlstand hinter sich zu lassen. Am
Ende bricht sie aus dem Viertel aus und mit ihrem bisherigen Leben, um für sich
und ihren Sohn ein neues Leben zu finden.
All das berichtet
die Erzählerin Elena zum größeren Teil aus den Heften, denn die Beziehung zwischen
Lila und ihr ist in diesen Jahren – kompliziert. Einerseits unterstützt Lila
Elena dabei, weiter zur Schule gehen zu können. Abitur und Studium führen Elena
weiter über das hinaus, was für Frauen aus dem Viertel auch nur vorstellbar
wäre. Zugleich entfremden sich die jungen Frauen immer weiter voneinander, weil
die eine scheinbar im Viertel gefangen bleibt, während die andere vor allem die
geistige Welt jenseits des eng gezogenen Kreises entdeckt, in dem beide
aufgewachsen sind und zumindest formell noch leben.
Im ersten Band nervte
mich die Erzählerin Elena ja noch etwas mit ihrem ständigen Zweifel an sich
selbst und an ihren Fähigkeiten. Und ich meine das „nerven“ in dem Fall nicht
wirklich negativ. ^^ Im zweiten Band mischen sich diese Selbstzweifel noch
zusätzlich mit dem Erkennen, wie weit die sozialen Klassen in diesem Italien
auseinanderliegen. Hier das Viertel, aus dem sie stammt, mit einfachen
Menschen, für die Elena allein mit ihrem Bildungsweg schon fast unerreichbar
weit weg ist, auf der anderen Seite das Bildungsbürgertum, in dem es normal
ist, dass auch Frauen lernen, diskutieren, politisieren.
In zahlreichen
Szenen beschreibt Elena, wie klein und unsicher sie sich fühlt und wie dünn und
zerbrechlich die Schicht der Anerkennung für sie ist, die sie von diesen
unerreichbaren Klassen dafür erfährt, dass sie sich daran macht, über Bildung
aufzusteigen. Immer wieder ahnt oder erfährt sie ungeschminkt, dass sie nur
eine Aufsteigerin ist, die sich über gute Noten halten kann. Dazugehören kann
sie scheinbar nie wirklich.
Und wieder
funktioniert Ferrantes Erzählkonzept über all die vielen scheinbar auch nur
lose verbundenen Anekdoten so viel sichtbar zu machen. Vielleicht ist es gar
nicht zufällig, dass Elena Ferrante und Didier Eribon in ähnlicher Zeit in
Deutschland zu viel rezipiert und besprochen wurden.
Kurz und gut:
Auch Band 2 der Saga aus Neapel ist kein „Frauenbuch“ und so gut, dass ich fast
froh bin, jetzt etwas auf die nächsten Bände warten zu müssen. Lesen! 😉
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