Donnerstag, 2. Mai 2019

Elena Ferrante: Die Geschichte eines neuen Namens. Jugendjahre. Band 2 der Neapolitanischen Saga



„Im Frühling 1966 vertraute Lila mir in höchster Aufregung eine Blechschachtel mit acht Schreibheften an.“ (Seite 17)

Als ich meinen Text zum ersten Band des Vierteilers aus Neapel schrieb, steckte ich mit meiner Nase schon tief mitten im zweiten Roman. Ich habe inzwischen zwei andere Romane zwischen mich und das aufgeflammte #ferrantefieber gebracht, und kann so mit etwas Abstand auf die Lektüre schauen.

An meiner Beschreibung der erzählerischen Kunst von Elena Ferrante muss ich nichts zurücknehmen. Im Gegenteil, mein Eindruck davon, wie gut sie zu erzählen, ihr Mosaik zusammenzusetzen weiß, hat sich eher noch bestärkt. Das Buch zwischendurch mal wegzulegen war einfach keine Option. 😊

In den Jugendjahren entfaltet sich das Leben der beiden jungen Frauen weiter. Lila hat geheiratet und nach den herkömmlichen Maßstäben des Viertels alles erreicht. Ihr Mann ist wohlhabend und von der neuen Wohnung bis hin zu hübschen Kleidern scheint es ihr an nichts zu mangeln.

Aus den im ersten Satz des Romans erwähnten Schreibheften rekonstruiert die Erzählerin Elena die Geschichte Lilas hinter der Fassade. Lilas Mann, der ihr zwar anscheinend jeden Wunsch zu erfüllen scheint, ist zugleich und mit jedem Versuch von Unabhängigkeit seitens Lilas mehr dem traditionellen Bild einer Ehe verhaftet. Seine Frau gehört ihm und hat ihm im Zweifelsfall zu Willen zu sein. Vor allem, wenn er glaubt, das vor dem Viertel beweisen zu müssen, um weiterhin als ganzer Mann akzeptiert zu werden.

Eine erste Schwangerschaft endet abrupt, eine zweite bahnt sich an, nachdem Lila sich auf eine Affäre eingelassen hat – ausgerechnet mit dem jungen Studenten, den Elena seit Jahren glaubt zu lieben. Doch die Liebesbeziehung hat keine Zukunft, obwohl Lila bereit ist, ihr abgesichertes Leben in Wohlstand hinter sich zu lassen. Am Ende bricht sie aus dem Viertel aus und mit ihrem bisherigen Leben, um für sich und ihren Sohn ein neues Leben zu finden.

All das berichtet die Erzählerin Elena zum größeren Teil aus den Heften, denn die Beziehung zwischen Lila und ihr ist in diesen Jahren – kompliziert. Einerseits unterstützt Lila Elena dabei, weiter zur Schule gehen zu können. Abitur und Studium führen Elena weiter über das hinaus, was für Frauen aus dem Viertel auch nur vorstellbar wäre. Zugleich entfremden sich die jungen Frauen immer weiter voneinander, weil die eine scheinbar im Viertel gefangen bleibt, während die andere vor allem die geistige Welt jenseits des eng gezogenen Kreises entdeckt, in dem beide aufgewachsen sind und zumindest formell noch leben.

Im ersten Band nervte mich die Erzählerin Elena ja noch etwas mit ihrem ständigen Zweifel an sich selbst und an ihren Fähigkeiten. Und ich meine das „nerven“ in dem Fall nicht wirklich negativ. ^^ Im zweiten Band mischen sich diese Selbstzweifel noch zusätzlich mit dem Erkennen, wie weit die sozialen Klassen in diesem Italien auseinanderliegen. Hier das Viertel, aus dem sie stammt, mit einfachen Menschen, für die Elena allein mit ihrem Bildungsweg schon fast unerreichbar weit weg ist, auf der anderen Seite das Bildungsbürgertum, in dem es normal ist, dass auch Frauen lernen, diskutieren, politisieren.

In zahlreichen Szenen beschreibt Elena, wie klein und unsicher sie sich fühlt und wie dünn und zerbrechlich die Schicht der Anerkennung für sie ist, die sie von diesen unerreichbaren Klassen dafür erfährt, dass sie sich daran macht, über Bildung aufzusteigen. Immer wieder ahnt oder erfährt sie ungeschminkt, dass sie nur eine Aufsteigerin ist, die sich über gute Noten halten kann. Dazugehören kann sie scheinbar nie wirklich.

Und wieder funktioniert Ferrantes Erzählkonzept über all die vielen scheinbar auch nur lose verbundenen Anekdoten so viel sichtbar zu machen. Vielleicht ist es gar nicht zufällig, dass Elena Ferrante und Didier Eribon in ähnlicher Zeit in Deutschland zu viel rezipiert und besprochen wurden.

Kurz und gut: Auch Band 2 der Saga aus Neapel ist kein „Frauenbuch“ und so gut, dass ich fast froh bin, jetzt etwas auf die nächsten Bände warten zu müssen. Lesen! 😉

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