Sonntag, 19. Mai 2019

Philipp Winkler: Hool



„Ich wärme meinen neuen Zahnschutz in der Hand an. Wende ihn mit den Fingern und presse ihn etwas zusammen. So mache ich es vor jedem Kampf.“ (Seite 7)

Der Kampf, auf den sich die Hauptfigur vorbereitet, ist eine verabredete Schlägerei zwischen zwei Hoolgruppen irgendwo auf einer Wiese. Ein Haufen Kerle prügelt wild aufeinander ein, auch wenn es Regeln zu beachten gilt wie die, dass jemand, der wehrlos auf dem Boden liegt, in Ruhe gelassen wird.

Irgendwas hat das Ganze auch mit Fußball zu tun, zumindest aber mit den Mannschaften der Städte, aus denen auch die Hools stammen. Heikos Mannschaft ist aus Hannover. Hier ist er selbst aufgewachsen, bevor seine Eltern mit ihm und seiner Schwester in eine kleinere Stadt in der Umgebung Hannovers zogen. Von da führte, so würde Heiko es vielleicht selbst beschreiben, ihn sein Weg direkt auf diese und andere Wiesen, mitten rein ins Getümmel.

Heiko erzählt seine Geschichte selbst und immer wieder mit Rückblenden, die seine Entwicklung beschreiben. Der erste Besuch im Stadion mit seinem Vater. Die Mutter, die die Familie ohne Erklärung verlässt, als er noch zu klein ist, um zu verstehen. Der Job beim Bruder des Vaters im Gym, das gleichzeitig Dreh- und Angelpunkt der Hoolgruppe ist, in der Heiko selbst langsam aufsteigt …

In Heikos Vorstellung könnte alles einfach so seinen Gang gehen. Er wird nach und nach zum neuen Anführer der Hoolgruppe, hat ein schäbiges, aber immerhin ein Dach über dem Kopf und seine Freunde um sich. Doch weder in den Rückblenden noch im Hier und Jetzt läuft es gut. Und dann erklären ihm auch noch enge Freunde, dass sie aussteigen und bei den blutschwangeren Ausflügen der Hools nicht mehr dabei sein werden. Heikos Welt gerät ins Schwanken. Immer stärker spürt er, dass eigentlich seit seiner Kindheit nichts festgefügt und sicher war.

Gut lesbar ist Heikos Geschichte, umgehauen hat sie mich aber nicht. Das lag zum einen an der Erzählstimme. Philipp Winkler lässt Heiko als Erzähler fluchen, rumknödeln aber eben auch beschreiben. Dabei nervte mich die betont schnodderige Stimme Heikos schon ziemlich. Natürlich ist der Versuch, Heiko auch authentisch sprechen zu lassen, nur recht und billig. Ich hab auch keinen Vorschlag, wie das besser zu bewerkstelligen sei. Aber beim Lesen fand ich das maulfaule Formulieren von Sätzen und auch das Herumfluchen ziemlich nervig.

Die Charaktere bleiben für meinen Geschmack recht holzschnittartig. Schwere Kindheit, der Vater ein Säufer, fußballgestählte Männlichkeitsrituale, Drogenhandel im Gym – all das lässt sich hübsch in die Klischeekästchen im Hinterkopf einsortieren. Nur worin die Faszination besteht, sich gegenseitig die Fressen blutig zu schlagen, das bleibt für mich nebulös.

Auf dem Backcover wirbt der Verlag mit einem Ausriss aus einer Rezension in der FAS. Hier würde von der deutschen Wirklichkeit erzählt. Und natürlich gibt es so viele Wirklichkeiten in einem so großen Land wie Deutschland, dass es schwer ist, sich das am heimeligen Schreibtisch vorzustellen. Ich suche noch vergeblich nach dem, was es genau ist, was mich Figuren und Tonfall eben nicht als authentisch empfinden lässt. Vielleicht ist alles eine Spur zu bemüht, und ich spreche jetzt nur von der literarischen Umsetzung, um mich wirklich „deutsche Wirklichkeit“ erkennen lassen zu können.

Vielleicht sind aber auch Beschreibung und Ankündigung des Romans selbst ein Missverständnis. Die Wut, der Hass, das Gewalttätige jedenfalls bleibt unergründet und nur notdürftig erklärt stehen. Das ist mir für einen Roman aber eigentlich zu wenig.

Kurz und gut: Kann man lesen, muss man aber nicht. Und ich hätte gern was Netteres über den Roman gesagt.

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