„Das
Schlafen im Auto ist beengt. Als Dritte-Hand-Honda ist es ohnehin schon kein
Palast. Wär´s ein Transporter, hätten sie mehr Platz, aber sich so einen leisten
zu können, nie im Leben, nicht mal damals, als sie noch Geld zu haben glaubten.
Stan sagt, sie hätten Glück, überhaupt ein Auto zu haben, und das stimmt, aber
dieses Glück macht das Auto nicht größer.“ (Seite 11)
Stan
und Charmaine sind ein junges Paar und leben in einem maroden Amerika nach einer
Wirtschaftskrise, die das Land zerrüttet und destabilisiert zurückgelassen hat.
Jobs sind Mangelware; eine Wohnung muss man sich leisten können – Stan und
Charmaine können das nicht. Sie leben in ihrem Dritte-Hand-Honda.
Da
kommt die Anzeige gerade recht, in der für ein scheinbar wunderbares Leben
geworben wird. In der Stadt Consilience leben die Bewohner*innen einen Monat
ganz normal in ihren Häusern, mit ihren Jobs. Jeden zweiten Monat wechseln sie
dafür in das städtische Gefängnis. So sollen Ressourcen gespart werden, da ja
immer zwei Paare abwechselnd im gleichen Haus leben. Gesellschaftlich sei es
effizienter, weil die Menschen im Gefängnis ja auch arbeiten.
Stan
und Charmaine überlegen nicht lange, unterschreiben und ziehen um nach Consilience.
Gut,
es gibt aus der Stadt im Nirgendwo kein Rauskommen. Aber was sollten sie auch
draußen wollen. Genau von dort wollten sie ja weg. Hier haben sie ein eigenes
Haus, dass sie zwar teilen müssen, aber es ist hübsch eingerichtet und atmet
endlich etwas Wohlstand.
Überhaupt
gibt es eine Menge Verhaltensregeln. Die Leute von der Verwaltung wirken auch
ein wenig wie von einer wohlsituierten Sekte. Aber wer will denn da gleich an
etwas Schlimmes denken?
Als
Stans und Charmaines Leben schon viel zu bequem zu werden scheint, fangen beide
unabhängig voneinander an, Interesse an denen zu entwickeln, mit denen sie sich
das Haus teilen – also genaugenommen jeweils nur ein einem bzw. einer der
beiden anderen. 😊
Stan
und Charmaine behalten das natürlich jeweils für sich. Und während sie noch
glauben, in, nennen wir es mal Beziehungsverwicklungen zu stecken, verbringen
sie ihre Zeit im Gefängnis plötzlich nicht mehr gleichzeitig. Unabhängig
voneinander müssen sie entdecken, dass der schöne Schein in Consilience trügt
und sich mit ihrer je eigenen Verstrickung auseinandersetzen. Immerhin gibt es
eine Chance auf ein Wiedersehen. Das will ich hier aber gar nicht weiter
verraten. 😊
Der
Roman ist also mal wieder eine Dystopie aus der Feder von Margaret Atwood. Mit
geht es sicher wie vielen, die nun die Romane von ihr nach und nach entdecken.
Für vor allem Jüngere dürfte der „Report der Magd“, ob als Buch oder als Serie,
die erste Begegnung mit Atwood gewesen sein.
Dass
sie gut schreiben, erzählen kann, steht für mich außer Frage. „Das Herz kommt
zuletzt“ scheint mir aber an den „Report“ bei weitem nicht heranzureichen. Es
lässt sich gut lesen, die Story entwickelt ihren Sog, alles ist soweit
plausibel – das alles ja. Dieser Roman wirkte auf mich aber so sehr handlungsorientiert,
dass die Momente, in denen die Figuren innehalten und reflektieren können, aber
etwas zu glatt durchrutschten. Einerseits macht das die Geschichte schnell,
wirkt aber eben auch einen Tick zu sehr routiniert, glatt. Man kennt das von
zahllosen gerade amerikanischen Vielschreiber*innen von Dan Brown bis Grisham u.a.
Atwood
ist, wenigstens für meinen Geschmack, trotzdem auch hier mit ihrer Sprache
sichtbar, die immer wieder das Glatte etwas durchbricht. Es sind oft
umgangssprachliche, auch brachiale Wendungen, die zugleich oft ein Schmunzeln
verursachen und die Figuren erden. Vielleicht macht das auch den Unterschied zu
den vorgenannten Autor*innen aus.
Beim
Ausleuchten der Frage, wie sich Menschen verhalten, wenn sie sich in
scheinbarer Sicherheit und Zufriedenheit wähnen, um dann zu merken, dass es
doch nur ein autoritäres, brutales System ist, dieser Frage geht Atwood hier
nach. Eine Stärke des Romans ist, dass die Figuren sehr menschlich agieren, mit
allen Fehlern, Unzulänglichkeiten, die damit verbunden sind. Übermenschliches
Heldentum gibt es hier nicht. Für meinen Geschmack hätte das aber gern noch
etwas mehr auserzählt werden können.
Kurz
und gut: Margaret Atwood nicht zu empfehlen, geht irgendwie nicht. Nicht ihr bester
Roman aber eine gute Geschichte. Kann man gut lesen!
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