Mittwoch, 20. Januar 2021

JJ Bola: Sei kein Mann. Warum Männlichkeit ein Albtraum für Jungs ist


(Übersetzung: Malcolm Ohanwe)

„An einem sonnigen Samstagnachmittag in meiner Jugendzeit, bevor es Touchscreens, Selfies und 4G gab und bevor die sozialen Medien jeden Aspekt unseres Daseins durchdrungen hatten, lief ich durch die pulsierende, oft turbulente, multikulturelle, dynamische Tottenham High Road im Norden Londons.“ (Seite 11)

Ich war vorgewarnt. Leute, auf deren Einschätzung ich viel gebe, waren recht entschieden in ihrer Bewertung. Ich wollte es dann mit eigenen Augen lesen. Und jetzt muss ich dies hier schreiben.

Es ist ordentlich was in Bewegung gekommen zwischen den Geschlechtern und auch in Debatten um gesellschaftliche Strukturen, die Männer bevorzugen, die männliches Verhalten honorieren usw. Bestandteil dieser Debatten muss es natürlich auch sein, dass die Umstände, unter denen Jungs zu Männern aufwachsen hinterfragt werden. In diesem Sinne klang die Buchankündigung bzw. der Umschlagtext nach einem passenden Text, der „viele Männlichkeiten“ einfordert.

Leider löst das Buch von JJ Bola nichts ein. Nach der Lektüre könnte ich weder sagen, an wen sich der Text eigentlich richtet, noch was die Kernaussage ist.

Auf gut 150 Seiten rast der Text durch Themen wie Gewalt, Aggressivität, Liebe, Sex, Gleichstellung, Feminismus, Intersektion, Social Media, Sport. Der Autor setzt ein mit Beobachtungen aus seiner eigenen Jugend, in der das unterschiedliche Verständnis von Männlichkeit anhand der ruppigen Großstadtkultur Londons, wo er aufwuchs, und der kongolesischen Community dort, in der er familiär verankert war. Der Einstieg lässt erahnen, dass JJ Bola wirklich Vieles, Interessantes und Inspirierendes zu berichten hätte. Leider bleibt das Buch immer nur in Andeutungen, in Ansätzen stecken.

Nahezu absatzweise springt der Text zwischen Punkten hin und her und schafft es selbst in den nicht so wahnsinnig langen Kapiteln kaum, das Thema des Kapitels nachvollziehbar zu beschreiben und konsistent zu argumentieren. Die biografischen Schnipsel wirklich lieblos verteilt und tragen selten etwas zum gerade behandelten Punkt bei.

Wäre es ein „Einsteigerbuch“, dass Leute neugierig machen soll, die sich mit dieser Art der Reflektion noch nicht beschäftigt haben … nein, auch dafür bleibt der Text viel zu konfus, um den Weg zu Einsichten, eigenen Fragen und zu Interesse auf mehr zu eröffnen. An zu vielen Stellen gibt es andererseits kleine Brocken, die für jeden Einstieg viel zu viel voraussetzen. Nein, dieses Buch kann sich einfach nicht entscheiden, was es sein will.

So gerät es für Einsteiger:innen zu wenig stringent und zugleich zu voraussetzungsvoll, während es für Leser:innen, die schon anderes zum Thema gelesen haben, kaum an eine Anekdotensammlung mit eher banalen Erkenntnissen heranreicht.

Hinzu kam für mich beim Lesen das merkwürdige Gefühl eine nicht besonders gelungene oder konsistente Übersetzung zu lesen. Immer wieder klingen Sätze komisch gestelzt, wo kurz zuvor noch ein eher kumpeliger Tonfall angeschlagen wurde, um etwas zu verdeutlichen. Das lässt den Text ebenso wie das inhaltliche Springen immer wieder kippen. Wenn dies im Original auch so angelegt ist, verstehe ich die Buchauswahl des Verlags nicht recht. Andernfalls bliebe zu fragen, was da bei der Aufbereitung der deutschen Ausgabe nicht geklappt hat. Das war für meinen Geschmack jedenfalls nix.

Kurz und gut: Wichtiges Thema, das ein wichtiges Buch verdient hätte. Ich hätte es wirklich gern gutgefunden. So gibt es eindeutig keine Leseempfehlung!

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