Dienstag, 5. Januar 2021

Alexander Schimmelbusch: Hochdeutschland



„Als Victor beschleunigte, erzeugten die Wirbelschleppen hinter seinem elektrischen Porsche ein schauriges Pfeifen.“ (Seite 9) 

Investmentbanker – da hört man schon den Ruf der nimmersatten Heuschrecke. Das ist ein BWLer hoch Zehn. Da fällt einem ja kaum eine noch fiesere Berufsbezeichnung ein. Und dennoch haben uns über dreißig Jahre Neoliberalismus eben auch gelehrt, dieses erbarmungslose Fressen insgeheim zu beneiden. Diese schnöseligen Typen, denen noch vor ihrem vierten Lebensjahrzehnt schon die Welt zu gehören scheint. Selbst die Finanzkrise von 2008 haben wir ihnen ja schon längst verziehen.

 

Alexander Schimmelbusch, der laut Beschreibung im Porträt selbst einige Jahre als Investmentbanker gearbeitet hat, stellt uns mit Victor genau einen solchen Typen als Hauptfigur seines Romans vor.

 

Victor hat sich in der Branche eine goldene Nase verdient und müsste schon lange kein Geld mehr verdienen. Er besitzt ein gläsernes Haus im Taunus, das im Grunde leersteht, denn seine Frau hat ihn mit der gemeinsamen Tochter verlassen. Seit einiger Zeit arbeitet er als einer von drei Partnern in einer kleineren Bank. Dort kümmert er sich um die strategischen Fragen. Das bedeutet so viel wie: Er ist der Storyteller. Er strickt die Geschichten, um den Kunden so ziemlich alles zu verkaufen. Und er ist offenbar ziemlich gut darin.

 

Um das Klischee zu erfüllen, hat er zwar alles und alles erreicht, nur das mit dem Glücklichsein und dem Sinn im Leben ist eine vertrackte Sache. Als Workaholic seinen eigenen Job schon lange nicht mehr richtig ernst nehmen zu können, und Projekte eigentlich nur noch zu machen, weil es halt geht, das ist ganz offenbar nicht so wahnsinnig sinnstiftend. Und Glücklichsein – nunja. Bei gemeinsamer Zeit mit seiner kleinen Tochter kommt er dem wohl am nächsten. Oder wenn er in Berlin in einer seiner Wohnungen sitzt und versucht, an seinem Roman zu schreiben. Aber sonst?

 

Bei dieser bitterbösen, sarkastischen und zutiefst witzigen Beschreibung von Victor als Figur ist es da schon erschütternd zu lesen, wenn der selbst einen Bundesminister einfach so um den Finger wickeln kann. Unweigerlich fielen mir die zahlreichen Meldungen ein, wer sich in der Politik so alles „von Fachleuten aus der Wirtschaft“ beraten lässt und mit dieser Sorte Lobbyisten umgibt. Bei dem Bild, dass Schimmelbusch hier zeichnet, verging mir da das Lachen auch schon fast wieder.

 

Aus einer puren Laune heraus, weil das Leben ja auch sonst keine Herausforderungen mehr für ihn bietet, schreibt Victor ein politisches Manifest. Er entwirft eine Storyline, feilt an der passenden, mitreißenden Sprache und tippt das schneller herunter als er je an seinem Roman schreiben konnte. Es ist ja genau das, womit er sein Geld verdient. Ideen, Strategien verkaufen und die die Erzählung dazu auf den Kunden zuzuschneiden. In dem Fall ist es halt ein populistisches Manifest für Wähler:innen. Weil ein alter Freund in der Politik ist und sicher als Politiker eh gerade neu erfindet, schickt Victor ihm den Text. Und der nimmt ernst, was Victor im Grunde nur aus Jux zusammengeschrieben hat.

 

Im letzten Teil des Romans konfrontiert Schimmelbusch seine Hauptfigur mit den Folgen seines Manifests mithilfe eines Zeitsprungs in die nahe Zukunft. Solcherlei Konfrontation passiert ja im richtigen Leben bei Investmentbankern eher selten, vermute ich mal. ;)

 

Beim Schmökern hatte ich immer mal wieder die Serie „Bad Banks“ vor Augen. Während da das Leben der Protagonisten, eine Reihe blutdürstiger Jungbanker, als akzeptabel erzählt wird, treibt Schimmelbusch es in seinem Roman auf die Spitze. Herausgekommen ist eine Realsatire, die schmissig geschrieben ist, witzig und eben so punktgenau, dass einem das Lachen zugleich immer auch wieder etwas im Halse stecken bleibt.

 

Mit dem zeitgebundenen Phänomen Investmentbanker im Mittelpunkt wird der Roman in 20 Jahren wohl einiges an Wirkung eingebüßt haben. Vorausgesetzt, in der Welt ändert sich doch noch einiges zum Guten, versteht sich. Lesens- und empfehlenswert ist das Buch aber auf jeden Fall.

 

Kurz und gut: Ein bissiger literarischer Kommentar zu Finanzwirtschaft und Politik. Lesen!

 

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