Mittwoch, 30. März 2022

Leif Randt: Allegro Pastell


„Gründonnerstag, 29. März 2018. Der Frankfurter Hauptbahnhof wurde von milder Abendsonne geflutet, die wartenden Passagiere am Gleis 9 warfen lange Schatten.“ (Seite 9)

Wir kennen alle diese Bilder aus den sozialen Medien. Bücher, die dekorativ vor einem Regal auf einem Hocker gestapelt sind – ganz sorgsam wie unabsichtlich arrangiert; Deckchen, Blümchen, ein Wandtattoo, ein Ohrensessel etwas angeschnitten. #lieblingsort

Oder diese Videoschnippsel, die zeigen wie voll crazy die Accountinhaber:innen sind. Da wird im Regen getanzt, ganz wild, nach einer Choreo, die mindestens eine Milliarde Teenies zuvor auf TikTok auch schon getanzt haben. #firsttry

Oder diese Pärchen, bei denen der eine auf dem Bahnsteig wartet, der Zug kommt, und sie oder er oder auch vollkommen egal steigt aus und ist natürlich vollkommen ahnaungslos, aufeinander zu rennen und quietschende Umarmung, dann ein glückliches Lachen in die Kamera, die natürlich jetzt erst entdeckt wird. #couplegoals

In etwa diesen Grad an kontrollierter Romantik leben Tanja Arnheim und Jerome Daimler. Sie wird in Kürze die Dreißig erreichen und ist Schriftstellerin mit einem erfolgreichen Debutroman. Er ist fünf Jahre älter und erfolgreich als Webdesigner. Sie lebt in Berlin, er in Maintal, einem Dorf bei Frankfurt am Main. Sie besuchen sich regelmäßig für lange Wochenenden gegenseitig und halten in ihren jeweiligen Alltagen steten Kontakt zueinander. Die Konstellation klingt modern; so sind die Lebensmodelle heute halt. Was spräche auch dagegen, wenn beide damit gut zurechtkommen?

Leif Randt schafft es bereits mit der Ankunftsszene am Bahnhof in den ersten wenigen Seiten einen Ton anzuschlagen, bei dem ich abwechseln lachen und weinen wollte. Lachen, weil Jerome absolut authentisch jede Handlung, Drehung, jedes Lächeln daraufhin reflektiert, wie es wohl wirken würde, ganz so, als hielte er die ganze Zeit das Handy in die Luft um sich bei diesem sehr emotionalen Moment zu filmen. Es ist so war, so #instatrue. Die Tränen trieb mir dieses permanente „Du lebst nicht, wenn du es nicht herzeigen kannst“ fast durchgängig in die Augen, weil die Leben, die die Beiden da aufführen, so unheimlich trostlos hohl wirkten.

Der Roman erzählt die Geschichte der beiden, die sich zufällig kennenlernen, beschließen, dass es passt mit ihnen beiden, sich einrichten in dieser Art Beziehung und dann eben doch scheitern müssen, weil – meine Interpretation – da doch irgendwie nichts wirklich echt ist. Sie glauben beide schon, dass sie sich lieben. Sie glauben auch, dass das echte Gefühle sind, kreisen aber eigentlich ausschließlich um sich selbst, die eigene Selbstverwirklichung, das Bild von sich selbst. Für Jerome führt das Ganze in genau die Art Normalität, die im Vergleich dazu so herrlich bodenständig wirkt. Ganz berlinmäßig, darf Tanja dagegen weiter kreisen, um den nächsten erfolgreichen Roman ihrer Generation zu schreiben.

Ich gebe zu, das klingt bis hierher schwer danach, dass ich die beiden Hauptfiguren so gar nicht leiden konnte. Dem möchte ich entgegnen, dass, und das ist das wirklich famose an diesem Roman, die Figuren eben nichts als Avatare sind. Sie sind genau die Hüllen, die ein komplettes und erfolgreiches #instalife erfordert. Leben ohne allzu große innere Beteiligung. Quasi die moderne Übersetzung von der früher gesellschaftlich erwarteten Contenance, nur halt auf hübsch getrimmt, solange die Kamera läuft.

Dass Leif Randt den Tonfall so kompromisslos durchhält und das Absurde dadurch grell ausleuchtet, das ist ganz großes Kino und ein echter Lesegenuss.

Kurz und gut: #tollesbuch #einmuss #besterkommentarzurzeit #lesen

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