Sonntag, 27. November 2022

Stefanie vor Schulte: Junge mit schwarzem Hahn


„Als der Maler kommt, um ein Altarbild für die Kirche zu fertigen, weiß Martin, dass er am Ende des Winters mit ihm fortgehen wird.“ (Seite 5)

Diese Geschichte des Waisenjungen Martin bedient sich märchenhafter Elemente. Zum Märchen macht das diesen Text nicht unbedingt. Und Kindern würde ich ihn auch nicht vorlesen. Erwachsenen dagegen empfehle ich ihn unbedingt.

Martin verlor seine Familie früh auf tragische Weise und lebt seitdem allein in einer Hütte abseits des Dorfes. Niemand kümmert sich um ihn. Seinen Lebensunterhalt verdient sich der vielleicht Zehn- oder Elfjährige durch kleine Hilfsarbeiten. Mit seiner ruhigen, besonnenen Art ist er ein guter Beobachter, der in aller kindlichen Unschuld eine Klugheit ausstrahlt, die den tumben Dorfbewohnern Angst macht. Suspekt ist diesen nicht weniger, dass ein schwarzer Hahn den Jungen stets begleitet. Entweder sitzt auf Martins Schulter oder unterm Hemd. Der Hahn ist sein bester Freund und alles, was ihm geblieben ist.

Der Maler durchbricht mit seiner Anwesenheit die wenig idyllische Eintönigkeit der Tage und setzt damit eine Reihe von Ereignissen in Gang, die Martin aus dem Dorf fortführen. Die eher mittelalterliche Welt, in die der Junge nun gerät, ist von Krieg verwüstet, von Hunger geplagt und menschlicher Niedertracht und Gewalt ausgeliefert.

Der Junge mit den ruhigen Augen und dem reinen Herzen musste erleben, wie einer Mutter aus seinem Dorf die Tochter von einem schwarzen Reiter geraubt wurde. Dass er mit dem Maler zusammen das Dorf verlässt, ist nicht nur ein Aufbruch in eine mögliche Zukunft. Er gibt sich selbst das Versprechen, die geraubte Tochter wie alle anderen geraubten Kinder zu finden und zu befreien.

Dieser Debutroman von Stefanie vor Schulte hat mich von der ersten Seite an gefesselt. Sie erzählt schnörkellos, macht wenig erzählerisches Tamtam. Dabei kennzeichnet sie ihre Figuren mit vielen kleinen Beschreibungen, die genau treffen. Die Gräuel in dieser Welt, durch die sich Martin schlagen muss, sind ebenso klar, bitter und keine leichte Kost.

Gerade überlege ich noch, warum mir die Verbindung zum Märchen hier so nahe lag. Da ist natürlich diese mittelalterliche, einfache Welt der Bauern und Fürsten und Reiter. Die kindlich-jugendliche Unschuld stellt sich gegen den Wahnsinn und die Gewalt der Erwachsenen. Einen Schuss Magie gibt es natürlich auch noch. Ein paar wenige Figuren stechen hervor in dieser Geschichte, alle anderen tragen zu der bedrückenden Atmosphäre bei. Aber, die Autorin weidet das erzählerisch nicht aus und bleibt ihrem Erzählton treu.

Kurz und gut: Dieser Debutroman ist für mich eine echte Entdeckung. Lesen!

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