„Willi Kufalt sitzt im Gefängnis. Er kommt frei. Er möchte es jetzt schaffen. Er schafft es nicht.“ (Seite 9)
Kowalczuk beginnt seine Betrachtungen zu Ostdeutschland mit einem Bild aus einem Werk Hans Falladas. Der freigelassene Häftling Kufalt scheitert an der Freiheit und ist erst wieder zufrieden, als er zurück zuhause im Knast in seiner Zelle sitzt. Hier geht alles seinen gewohnten Gang, ist alles in bester sortierter Ordnung.
Weil es auch ein persönliches Buch, eine persönliche Einmischung in die Debatte ist, kennzeichnet Kowalczuk auch sein Verständnis von Freiheit, das hier natürlich als Referenzrahmen fungiert, auf den er die Beobachtungen bei den Ostdeutschen bezieht. Und er kommt durchaus zu deutlich anderen Einschätzungen als Dirk Oschmann beispielsweise, über dessen Buch ich hier ja auch schon nachdachte.
Ich versuche mal eine sehr subjektive Zusammenfassung, die vermutlich mehr über mich als Leser aussagt. 😊
Die längste Zeit der DDR bot die Bundesrepublik stets einen Fixpunkt, auf den Ostdeutsche sich beziehen konnten, im Guten wie im Schlechten. Einerseits war der Westen über das Fernsehen mit seiner bunten Konsumwelt, in der es immer alles gab, dauerpräsent. Andererseits wirkte auch die ostdeutsche Propaganda, die natürlich den Kapitalismus geißelte, die durchaus vorhandenen Schattenseiten umso greller ausleuchtete und immer auch den mangelnden Antifaschismus anprangerte.
Wie viel Ostdeutsche vor 1989 nun wirklich über das echte, normale Leben im Westen wussten, ist vermutlich schwer zu ergründen. Ich kann mich zumindest noch an die Westbesucher:innen meiner Verwandtschaft erinnern. Die stellten sich als ganz normale Menschen heraus, die zwar so fantastische Dinge wie Coladosen mitbrachten, aber in Gesprächen oft lachend insistierten, dass es im goldenen Westen nun auch nichts geschenkt gäbe. Kurz, wer hören und sehen wollte, konnte schon ein Bild jenseits des Entweder-Oder haben.
Dieses Bild vom Westen, und da finde ich Kowalczuk sehr nachvollziehbar, bestimmte natürlich die Erwartungshaltung im Jahr 1990, als es um die Vereinigungsfrage ging und letztlich darum, was die Menschen ab dem Oktober des Jahres für sich erwarteten. Und hier lief dann so einiges schief und deutlich anders, als viele vermutlich erhofft hatten, wenngleich ja eigentlich mit Ansage.
Im Buch geht es weniger um die Frage, ob die Treuhand nun böse und wenn ja wie böse war, um einen der beliebtesten Punkte aus Debatten über die Transformationsjahre rauszupicken. Vielmehr steht im Mittelpunkt, dass Ostdeutsche so oft und in großer Zahl an der Freiheit scheiterten, weil sie sie fälschlicherweise mit Wohlstand und Sicherheit gleichsetzten. Die vielfachen Erfahrungen der Entwertung der eigenen Biografien, der Mangel an Perspektiven und Fortkommen und manchmal auch nur das Gefühl davon äußerten sich zunehmend in einer Skepsis der liberalen Demokratie westdeutscher Prägung gegenüber.
Der Autor erinnert zurecht und deutlich daran, dass die DDR eine Diktatur war, wenn auch mit behaglichen Nischen, und dass eben nicht alle 17 Millionen DDR-Bürger in der Opposition aktiv waren. Die große Masse schaute zu bei der friedlichen Revolution – und wählte im März 1990 die Konservativen. Es gab also keine gesellschaftlich breit getragene Bügerrechtsbewegung, die eine intensive öffentliche Debatte übers Einmischen und Verantwortung getragen oder auch nur entfacht hätte.
Um noch mal abzuschweifen, vielleicht noch so eine persönliche Erinnerung oder ein Eindruck. Auf mich wirkte es als Kind und junger Jugendlicher so, dass die meisten Erwachsenen um mich herum ihr Leben schon gut im Griff hatten, also auch in einem eigenverantwortlichen Sinne. Das bezieht sich, wenn ich so drüber nachdenke, aber hauptsächlich auf die private Sphäre. Da wurde gebaut, gewerkelt, gegärtnert, was auch immer. Aber es ging dabei ums Einrichten des privaten Lebens. Dazu gehörte zweifellos auch die gegenseitige, freundschaftliche oder nachbarschaftliche Hilfe.
Gespräche und Themen bei Grillabenden, Geburtstagsrunden und all dem, wo Menschen so zusammenkommen, drehten sich zumeist auch darum. Es gab in diesen Runden und auch im Erzählen immer eine Abgrenzung dieser privaten Sphäre zur öffentlichen, gesellschaftlichen. So blieb, ich spreche immer noch aus meiner subjektiven Erinnerung, auch eigenverantwortliches Engagement zumeist genau darauf beschränkt. Klar gab es auch Vereine, die aber vermutlich ebenso eher der privaten Sphäre zuzurechnen wären. Und es gab sehr wohl auch Menschen, die sich im Sinne eines gesellschaftlichen Engagements einbrachten und oft auch genauso meinten. Dies geschah aber natürlich in einem politischen System, das auf deutlich anderen Koordinaten fußte als eben die liberale Demokratie des Westens.
Freiheitsschock – ich empfinde Kowalczuks Beschreibungen und Einschätzungen als angenehm klar. Vielleicht auch, weil er das übliche Pathos von der einen wie der anderen Seite sein lässt. Die Ossis waren und sind natürlich nie nur Opfer und Subjekt, wenn das auch nicht bedeutet, dass nicht Ungerechtigkeiten passiert wären und vermutlich auch weiter passieren werden.
Aber wie ist es denn nun mit der Freiheit? Können Ostdeutsche damit einfach nicht umgehen, weil es kulturell so gewachsen ist? Ich weiß es nicht und finde es auch nicht schlimm, wenn es darauf nicht sofort und abschließend eine Antwort gibt. Immerhin sind gesellschaftliche Dinge ja immer im Fluss.
Offensichtlich ist aber, dass Populisten (und Extremisten) von Rechts offenbar ein leichtes Spiel damit haben, die Einzelnen in Opposition zum bösen System zu bringen, dass ihnen nichts Gutes wolle. Damit einher geht natürlich dieses Bild vom Staat, der zu regeln hat. Gravierend ist, dass die private Sphäre auch hier wieder merkwürdig abgetrennt wirkt. Es scheint kein Widerspruch zu sein, das Haus frisch saniert zu haben, mit Pool im Garten, immer wissend, wo man was regeln muss, wenn es nur ums Eigene geht, aber gleichzeitig zu klagen, dass man nichts mehr dürfe und gesellschaftlich am Abgrund stünde, weil der Staat nichts mehr regele oder wenigstens nicht zum Guten. Die gesellschaftliche, politische Sphäre, die ja bereits im Lokalen beginnt und vorhanden ist, scheint hier keine große Rolle zu spielen.
Ein letzter Gedanke: Ich hege große Sympathie für den Freiheitsdiskurs, wie ihn Kowalczuk anführt. Ich glaube allerdings auch, dass er nicht ohne eine Benennung der Rahmenbedingungen auskommen kann. Banal, aber wer drei Jobs braucht, um auch nur über die Runden zu kommen, mit dem wird eine Debatte über Freiheit und die Verantwortung für Einzelne, die daraus erwächst, deutlich anders verlaufen als mit anderen. Gleichwohl ist die Debatte und dieser Diskurs wichtig, wenn wir nicht tatenlos zusehen wollen, wie autoritärverliebte Rechtsextremisten weiter jeden öffentlichen Raum vergiften. Daher kam das Buch im letzten Jahr durchaus zur richtigen Zeit – noch kurz vor der Landtagswahl in Thüringen.
In jedem Fall konnte ich mit Kowalczuks Betrachtungen sehr viel mehr anfangen als mit – schon wieder als Gegenpohl benannt – Oschmanns Buch über den Westen, der sich die Ossis gemacht habe.
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