Sonntag, 13. Juli 2025

Mosaik #595


Puh, dann schlägt doch manchmal das richtige Leben da draußen zu: Mutti zu Besuch, runder Geburtstag, viele Einsätze als Kommunikationstrainer und Moderator … ach, ich beklage mich ja gar nicht. 😉

Als Lebenszeichen oder Lesezeichen (Wortspiel, gelle ^^) sei dieses monatlich eintrudelnde ganz wunderbar bunte Heft. Lieben wir! 😉

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Mittwoch, 18. Juni 2025

Ocean Vuong: Der Kaiser der Freude


„Ocean Vuongs neuer, atemberaubender Roman nach dem Welterfolg von Auf Erden sind wir kurz grandios. Poetisch und komisch, eindringlich und mit außergewöhnlicher Intimität erzählt Vuong von ‚schönen kleinen Losern‘ in einem trostlosen Industriekaff Amerikas und von der Freundschaft zwischen einem jungen Mann und einer alten Frau, jenseits aller Grenzen von Identität und Familie.“ (Umschlagtext)

Ja, natürlich müssen Verlage Bücher, die sie veröffentlichen, auch ordentlich anpreisen. Ich fand den Debütroman von Ocean Vuong auch tatsächlich grandios, auch mit dem unverkennbar im Lyrischen fußenden Talent des Autors.

Man (hihi) darf also gespannt sein, wie dieser zweite Roman so geraten ist. Die Schlagworte aus der Beschreibung versprechen ja so einiges.

„Der queere Hai, Sohn einer vietnamesischen Mutter, lebt in East Gladness, einem heruntergekommenen Ort in New England. Auf den Straßen hängen noch die Schilder der Obama-Kampagne ‚Yes, we can‘, doch Hai schluckt Pillen und denkt an Selbstmord. Bis er Grazina aus Litauen kennenlernt, eine Überlebende des Zweiten Weltkriegs, in deren Kopf die unerlösten Geister ihres Lebens schwirren. Hai wird ihr Pfleger und fängt an, in einem Diner zu arbeiten, mit dessen Belegschaft er sich solidarisiert – alles Underdogs wie er, die ‚in dieser angeblich freien Welt aus Arbeit, Schlaf und beschissenen Kuchen gefangen sind.‘“ (Klappentext)

(Übersetzung: Anne-Kristin Mittag/ Nikolaus Stingl)

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Sonntag, 15. Juni 2025

Philipp Blom: Die Unterwerfung. Anfang und Ende der menschlichen Herrschaft über die Natur


„Woher kommt die Obsession, der Mensch müsse die Natur beherrschen? Philipp Blom verfolgt in seiner Universalgeschichte über die Unterwerfung der Natur den Ursprung einer Idee, die den Planeten an den Rand des Abgrunds getrieben hat.“ (Umschlagtext)

Mal wieder sind es Tage, an denen sich der Blick aufs Große und Ganze oder auf eine Universalgeschichte ein wenig wie Eskapismus anfühlt. Vielleicht steckt da ja auch ein Körnchen Wahrheit drin. Andererseits sind die Klimakrise und all das, was die Menschen der Erde und der Natur und damit sich selbst antun ja nicht weg, nur weil im Hier und Jetzt dramatische und schlimme Dinge passieren.

Möglicherweise braucht es ja zum Verständnis des Heute auch den Blick zurück, um wenigstens dein Hauch einer Idee entwickeln zu können, wie es mal wieder besser werden könnte. Oder die Hoffnung in die Menschheit nicht ganz zu verlieren.

„‘Macht euch die Erde untertan‘: Vor rund 3000 Jahren legte der Autor der Genesis seinem Schöpfer diesen Satz in den Mund. Damit war die Idee geboren, dass der Mensch eine Sonderstellung auf der Erde einnimmt und deren Ressourcen rücksichtslos ausbeuten darf. Sie war so stark, dass sie sich über den ganzen Planeten verbreitete. Wer sich ihr widersetzte, bekam es mit Kolonisatoren und Geschäftemachern zu tun, die sich auf angeblich höhere Wesen beriefen. In seiner Universalgeschichte der Umwelt erzählt Philipp Blom die Geschichte der Unterwerfung der Natur, deren Konsequenzen die Menschheit heute an den Rand des Abgrunds führen. Nur wenn sie sich von dem Wahn befreit, über der Natur zu stehen, bleibt ihr die Chance, zu überleben.“ (Verlagstext)

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Montag, 9. Juni 2025

Christoph Hein: Das Narrenschiff


„Ein Staat wird – wie alle Staaten – gegründet für alle Ewigkeit und verschwindet nach vierzig Jahren nahezu spurlos. Sind die Menschen, die dort einmal lebten, dem Vergessen anheimgefallen und ihre Träume nur ein kurzer Hauch im epochalen Wind der Zeitläufte?
In seinem neuen Roman erzählt Christoph Hein die Geschichte der DDR und ihrer Bürgerinnen und Bürger, von der Staatsgründung bis zum Mauerfall.“ (Umschlagtext)

Ja, es war so klar. Einmal dieser Autor, zu dem ich immer mal wieder zurückkehre. Dann das Thema, um das ich ja auch immer wieder kreise. Und – es ist ein dickes Buch. 😊

Auf der #lbm hab ich noch überlegt, dass ich ja eigentlich auf das Taschenbuch warten kann. Die Lesestapel sind ja ohnehin hoch genug. In der besten #buchdisko von allen konnte ich dann aber doch nicht widerstehen. So ein epochal angelegter Roman braucht ja schon auch ein angemessenes Äußeres. 😉

Egal, wie viel ich inzwischen in den verschiedensten Formen über dieses kleine untergegangene Land gelesen und gehört habe, so ist es offenbar für mich immer noch nicht auserzählt. Ich bin also mal wieder gespannt. Dieses Mal darauf, welches Kapitel Hein diesem Stück Zeitgeschichte hinzufügen kann. Bitte sei gut.

„In seinem fulminanten Gesellschaftsroman lässt Christoph Hein Frauen und Männer aufeinandertreffen, denen bei der Gründung der DDR unterschiedlichste Rollen zuteilwerden, begleitet sie durch die dramatischen Entwicklungen einer im Werden befindlichen Gesellschaft, die das bessere Deutschland zu repräsentieren vermeint und doch von einem Scheitern zum nächsten eilt. Überzeugte Kommunisten, ehemals begeisterte Nazis, in Intrigen verstrickte Funktionäre, ihre Bürgerlichkeit in den Realsozialismus hinüberrettende Intellektuelle, Schuhverkäufer, Kellner, Fabrikarbeiter, Hausmeister und selbst ein hoher Stasi-Mann erkennen auf die eine oder andere Art ihre Zugehörigkeit zu einer unfreiwilligen Mannschaft an Bord eines Gemeinwesens, das sie zunehmend als Narrenschiff wahrnehmen und dessen Kurs auf immer bedrohlichere historische Klippen ausgerichtet ist.“ (Klappentext)

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Sonntag, 8. Juni 2025

Tim Henning/ Nikola Kompa/ Christian Nimtz: Die dunkle Seite der Sprache. Wie Worte ausgrenzen, abwerten und manipulieren


„Unsere Sprache hat eine dunkle Seite: Sie stellt uns nicht nur die Mittel bereit, mit denen wir uns verständigen und unsere Welt erschließen, sondern dieselben Mittel laden auch dazu ein, andere zu diskriminieren (‚Asylbewerber sind kriminell‘), kommunikativ zu entmächtigen (Mansplaining), herabzuwürdigen (‚OK Boomer‘) oder schlicht Bullshit zu erzählen (‚Sie essen die Katzen‘).

Tim Henning, Nikola Kompa und Christian Nimtz widmen sich einer philosophischen Erkundung dieser düsteren Rückseite unserer Sprache. Sie zeigen uns, dass die sprachlichen Formen der Ausgrenzung oder Verschleierung vor allem deshalb so mächtig sind, weil sie auf Mechanismen unserer Kommunikation beruhen, denen wir uns kaum bewusst sind. Das verlangt nach einem kritischen philosophischen Blick – um den fraglichen Mechanismen einen Teil ihrer Macht zu nehmen und die aufgeregten Diskussionen über unseren Sprachgebrauch zu versachlichen.“ (Umschlagtext)

Es gibt ja eher selten einen Workshop in Rhetorik oder Kommunikation, in dem nicht früher oder später nach Schwarzer Rhetorik oder den bösen Tricks gefragt wird. Menschen haben also offenbar ein Gespür dafür, welche auch negative Kraft der Sprache innewohnt – und wollen es gern genauer wissen (oder womöglich auch anwenden können).

Natürlich bin ich selbst neugierig, was in diesem Band dazu vorgestellt wird. Wie so oft bin ich aber noch neugieriger, was für positive Vorschläge zum Umgang damit so präsentiert werden.

Außerdem hab ich die Buchvorstellung der drei Autor:innen auf der diesjährigen #lbm kurz erleben können und siehe da, nicht so viel später findet sich das vorgestellte Buch auf meinem Lesestapel. 😊

„Die Sprachphilosophie gehört zu den wichtigsten Feldern der modernen Philosophie. Bisher hat die Öffentlichkeit von ihr aber kaum Notiz genommen. Das sollte sich ändern, denn unsere gesellschaftliche Debatte hat sich mittlerweile auch auf unseren Sprachgebrauch selbst ausgedehnt. Tim Henning, Nikola Kompa und Christian Nimtz erklären die spannendsten philosophischen Erkenntnisse über Bad Language auf verständliche und anschauliche Weise. Welche verborgenen Funktionsweisen unserer Kommunikation machen es möglich, Menschen nachhaltig zu stigmatisieren, offen zu lügen oder hochproblematische Hintergrundannahmen in unser Gespräch einzuschmuggeln, ohne dass wir das unmittelbar verhindern könnten? Und was lässt sich dagegen unternehmen?“ (Klappentext)

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Freitag, 6. Juni 2025

Karl Geary: Montpelier Parade


„‘Die Welt ist ´n gruseliger Ort.‘“ (Seite 7)

Und das ist die Geschichte von Sonny, der trotzdem einen Sonnenstrahl entdeckt.

Gruselig ist die Welt, wenn du auf der falschen Seite des Zauns aufwächst. Wenn deine Eltern sich abstrampeln, aber dennoch auf keinen grünen Zweig kommen und darüber, jeder auf seine Art, verbittern. Wenn deine Brüder schon lange einen Bogen um euren Vater machen, der jedes kleine Zubrot mit Handwerksarbeiten gleich wieder verspielt, für den kleinen Funken Hoffnung auf Glück. Wenn du schon lange keinen Weg mehr findest, mit deiner Mutter zu reden, geschweige denn Nähe zuzulassen, weil Gefühle und Träume in der harten Welt, in der deine Familie lebt, keine Rolle spielen. Wenn es auch keine Rolle spielt, was du dir für dein Leben erhoffst, denn das sind nur Spinnereien, die keinen Einkauf bezahlen.

Sonny jobbt neben der Schule in einer Fleischerei. Auch das ist gruselig, aber seine Mutter will ihn unbedingt dort für eine Ausbildung unterbringen. Außerdem hilft er seinem Vater bei dessen Gelegenheitsarbeiten. Eine der wenigen Möglichkeiten, ihm einmal nahezukommen, beim gemeinsamen Schuften. Das Leben ist also reichlich trüb, wozu das regnerische Wetter und die kühlen Temperaturen in Dublin passen.

Sonnys Leben ist trist und grau, das wird schnell und wirkungsvoll klar. Und es gibt eigentlich kein Entrinnen und keine Zukunft. Wenigstens keine, die anders aussähe als diese Gegenwart

Ganz unscheinbar und unerwartet drängt sich dann doch in all die traurige Routine ein Sonnenstrahl, als Sonny seinem Vater bei einer alten Villa an der Montpelier Parade beim Ausbessern einer Mauer hilft. Sonny weiß es noch nicht, ahnt es vielleicht, dass der kurze Auftritt der Hausherrin, einer Britin hier in Irland, diesen zarten Sonnenstrahl das Grau durchbrechen lässt.

Schon längst wieder zu Hause lässt Sonny die zerbrechlich wirkende Frau, um einiges älter als der Teenager, nicht zur Ruhe kommen. Ist es ihre ungewohnte Zartheit, die Fremdheit der Britin, die zierliche Frau allein in der großen Villa – immer wieder kehrt er zu dem Haus zurück, unter Vorwänden und beobachtet sie. In ihrer Abwesenheit zieht es ihn in das Haus, um sie, ihr Leben – beides so fremd – zu enträtseln.

Durch das Küchenfenster entdeckt er eines Tages Vera, die offensichtlich in klarer Absicht eine Überdosis Tabletten zu sich genommen hat. Sonny sorgt dafür, dass sie gerettet wird und durchstreift einmal mehr das Haus, in dem es unter anderem Unmengen von Büchern gibt. Etwas treibt ihn dazu, sich eines auszuleihen. Vielleicht, um einen Weg zu Vera zu finden? Vera, die keinesfalls dankbar für ihre Rettung ist, als er sie schließlich im Krankenhaus besucht.

Später, sie ist wieder zuhause, wird er durchnässt vom Regen vor ihrer Tür stehen, ohne recht zu wissen warum. Sie wird ihn schließlich hereinlassen, ins Bad schicken und ja, Sonny wird in Veras Bett landen. Und das erzählt Karl Geary ganz wunderbar, zerbrechlich und rau zugleich.

Es ist gar nicht so wichtig, an die Geschichte von Sonny und Vera für die Zeit, die sie andauert, ein Etikett anzuheften. Was zählt, dass sich hier zwei Menschen in sehr zerbrechlichen Momenten begegnen. Und für Sonny bedeutet das diesen einen Sonnenstrahl, der immerhin die Möglichkeit erahnen lässt, dass das Leben auch anders sein könnte, etwas anderes für ihn bereithalten könnte als seine Mutter und sein Vater und seine Brüder zu sehen vermögen.

Die Erzählstimme sticht dabei heraus, weil sie einerseits durchgängig Sonny anspricht und damit zugleich die Leser:innen. Aber auch ihre Ruppigkeit, die den Verhältnissen entspricht, die doch zugleich eine Verwundbarkeit zeigt, die blutrot in diesem einzelnen Sonnenstrahl funkelt.

Kurz und gut: All die begeisterten Zitate auf dem Buchumschlag haben vollkommen recht. Deswegen erst recht: Lesen!

(Übersetzung: Mayela Gerhardt)

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Donnerstag, 5. Juni 2025

Tom Holland: Herrschaft. Die Entstehung des Westens


„Ungefähr drei oder vier Jahrzehnte vor Christi Geburt wurde auf dem römischen Esquilin Roms erster beheizter Swimmingpool erbaut.“ (Seite 11)

Christliches Abendland und christliche Werte – da winken wir in der säkularisierten Postmoderne, oder wo auch immer wir gerade drinstecken, ja gerne mal ab. Mit diesem dicken Schinken in der Hand fällt das Abwinken nicht mehr so leicht. Also buchstäblich und im übertragenen Sinn. 😊

Es kommt ja schon vor, dass Ereignisse mich dazu bringen, bestimmte Bücher in die Hand zu nehmen und auf dem Lesestapel vorzuziehen. Viel seltener ist es, dass ich etwas zu lesen beginne und plötzlich sagt die Gegenwart: Hallo, ich habe da Ereignisse für dich.

Vor Ostern hatte ich mit dem Buch angefangen. Der Tod von Papst Franziskus rief mir diesen Zusammenhang überhaupt erst ins Gedächtnis. Und während dann die Beerdigung von Franziskus medial verbreitet wurde und während der Wahl seines Nachfolgers und dessen erstem Auftritt, las ich das Buch zu Ende. Wie passend eigentlich, weil es die Verbindung zwischen der Geschichte des Christentums und der Welt, in der ich lebe, zum Thema hat.

Nun hatte ich ohnehin schon die Papstbegräbnisse und Papstwahlen während meines Erwachsenenlebens im Fernsehen verfolgt, auch als Atheist ohne jegliche religiöse Vorbildung. Die Macht des Rituals und der Bilder ist das, was mich tatsächlich immer wieder fasziniert. Vielleicht auch gerade weil das nichts mit meinem Leben zu tun hat.

Und genau der letzte Punkt ist ja das, worüber sich dann doch in Politik oder in der Geschichte immer wieder gut stolpern lässt. Lassen wir die wohlfeilen Balkonreden mal außen vor, in denen (zumeist konservative oder rechtslastige) Politiker:innen die christlichen Werte beschwören. Diese Phrasen erreichen mich nie und vermutlich nicht mal die jeweiligen Sprecher:innen selbst.

Die Querverbindung von Nächstenliebe zu Menschenrechten dagegen ist zum Beispiel sofort greifbar und einfach naheliegend. Überhaupt scheinen ja moderne eher progressive/linke Werte und Wertvorstellungen doch ihre Widerspiegelung im christlichen Glauben zu finden. Was also kann Tom Holland dazu berichten?

In dem Band bietet der Autor eine große Reise durch die Jahrhunderte aus, beginnend mit der antiken Welt in der Zeit, in der das Christentum auftaucht. Das Gegeneinanderstellen der bis dahin verbreiteten Vorstellungen von Göttlichkeit und Glauben auf der einen, und den ersten christlichen Überzeugungen andererseits, macht sehr anschaulich, wie revolutionär die Verkündigungen der ersten Christen in dieser Welt gewirkt haben müssen.

Holland verfolgt den Weg des christlichen Glaubens und seiner Träger:innen weiter und schildert den langen Weg, den es brauchte, bis das Christentum tatsächlich ein Machtfaktor in der diesseitigen Welt wurde. Zugleich sind diese Jahrhunderte natürlich prägend für das Selbstverständnis, vielleicht nicht immer der späteren Kirche, aber wenigstens für viele gläubige Menschen.

Immer wieder schildert der Autor disruptive Momente in der Geschichte des Christentums, die erst später auch die Geschichte der Katholischen Kirche wird. Tatsächlich erhellend ist dabei, wie sehr offenbar die uns selbstverständliche Säkularisierung, also die Trennung der religiösen und der weltlichen Sphäre, auf schon revolutionäre Umbrüche innerhalb des Christentums zurückgeht. Um nur ein prägnantes Beispiel zu erwähnen.

Beeindruckend sind die langen Linien, die Holland hier über so viele Jahrhunderte hinweg entwirft. Dazu nutzt er historische und religiöse Szenen und Persönlichkeiten, um von Kapitel zu Kapitel mit großer erzählerischer Finesse diese Entwicklungen kenntlich und greifbar zu machen. Diese Anschaulichkeit hilft beim Hinterfragen so mancher scheinbar atheistischer oder säkularisierter Wertvorstellungen und verdeutlicht die bis heute so prägende Kraft christlicher Erzählungen und auch christlichen Wirkens – im Guten wie im Schlechten.

Zwischen dem Eintauchen in dieses Werk immer wieder im Hier und Jetzt anhand der Bilder aus dem Vatikan die bedeutungsschwere Wirkmächtigkeit religiöser Inszenierungen zu sehen und zu spüren, dass sie auch in der Zeit von Social Media und TikTok-Tänzen noch auszustrahlen vermögen, ist faszinierend.

Mal ganz abgesehen davon, dass wirklich gut geschriebene historische Arbeiten einfach ohnehin schon Spaß an der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit machen. 😉

Kurz und gut: Wahrlich keine abwegige Lektüre für politische Menschen in der westlichen Welt im 21. Jahrhundert. Lesen!

(Übersetzung: Susanne Held)

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