„‘Die Welt ist ´n gruseliger Ort.‘“ (Seite 7)
Und das ist die Geschichte von
Sonny, der trotzdem einen Sonnenstrahl entdeckt.
Gruselig ist die Welt, wenn du auf der falschen Seite
des Zauns aufwächst. Wenn deine Eltern sich abstrampeln, aber dennoch auf
keinen grünen Zweig kommen und darüber, jeder auf seine Art, verbittern. Wenn deine Brüder schon lange einen
Bogen um euren Vater machen, der jedes kleine Zubrot mit Handwerksarbeiten
gleich wieder verspielt, für den kleinen Funken Hoffnung auf Glück. Wenn du
schon lange keinen Weg mehr findest, mit deiner Mutter zu reden, geschweige
denn Nähe zuzulassen, weil Gefühle und Träume in der harten Welt, in der deine
Familie lebt, keine Rolle spielen. Wenn es auch keine Rolle spielt, was du dir für
dein Leben erhoffst, denn das sind nur Spinnereien, die keinen Einkauf
bezahlen.
Sonny jobbt
neben der Schule in einer Fleischerei. Auch das ist gruselig, aber seine Mutter
will ihn unbedingt dort für eine Ausbildung unterbringen. Außerdem hilft er
seinem Vater bei dessen Gelegenheitsarbeiten. Eine der wenigen Möglichkeiten,
ihm einmal nahezukommen, beim gemeinsamen Schuften. Das Leben ist also
reichlich trüb, wozu das regnerische Wetter und die kühlen Temperaturen in
Dublin passen.
Sonnys Leben
ist trist und grau, das wird schnell und wirkungsvoll klar. Und es gibt
eigentlich kein Entrinnen und keine Zukunft. Wenigstens keine, die anders aussähe
als diese Gegenwart
Ganz
unscheinbar und unerwartet drängt sich dann doch in all die traurige Routine
ein Sonnenstrahl, als Sonny seinem Vater bei einer alten Villa an der Montpelier
Parade beim Ausbessern einer Mauer hilft. Sonny weiß es noch nicht, ahnt es
vielleicht, dass der kurze Auftritt der Hausherrin, einer Britin hier in Irland,
diesen zarten Sonnenstrahl das Grau durchbrechen lässt.
Schon längst
wieder zu Hause lässt Sonny die zerbrechlich wirkende Frau, um einiges älter
als der Teenager, nicht zur Ruhe kommen. Ist es ihre ungewohnte Zartheit, die
Fremdheit der Britin, die zierliche Frau allein in der großen Villa – immer wieder
kehrt er zu dem Haus zurück, unter Vorwänden und beobachtet sie. In ihrer
Abwesenheit zieht es ihn in das Haus, um sie, ihr Leben – beides so fremd – zu enträtseln.
Durch das
Küchenfenster entdeckt er eines Tages Vera, die offensichtlich in klarer
Absicht eine Überdosis Tabletten zu sich genommen hat. Sonny sorgt dafür, dass
sie gerettet wird und durchstreift einmal mehr das Haus, in dem es unter
anderem Unmengen von Büchern gibt. Etwas treibt ihn dazu, sich eines
auszuleihen. Vielleicht, um einen Weg zu Vera zu finden? Vera, die keinesfalls dankbar
für ihre Rettung ist, als er sie schließlich im Krankenhaus besucht.
Später, sie
ist wieder zuhause, wird er durchnässt vom Regen vor ihrer Tür stehen, ohne
recht zu wissen warum. Sie wird ihn schließlich hereinlassen, ins Bad schicken
und ja, Sonny wird in Veras Bett landen. Und das erzählt Karl Geary ganz
wunderbar, zerbrechlich und rau zugleich.
Es ist gar
nicht so wichtig, an die Geschichte von Sonny und Vera für die Zeit, die sie
andauert, ein Etikett anzuheften. Was zählt, dass sich hier zwei Menschen in
sehr zerbrechlichen Momenten begegnen. Und für Sonny bedeutet das diesen einen
Sonnenstrahl, der immerhin die Möglichkeit erahnen lässt, dass das Leben auch
anders sein könnte, etwas anderes für ihn bereithalten könnte als seine Mutter
und sein Vater und seine Brüder zu sehen vermögen.
Die
Erzählstimme sticht dabei heraus, weil sie einerseits durchgängig Sonny
anspricht und damit zugleich die Leser:innen. Aber auch ihre Ruppigkeit, die
den Verhältnissen entspricht, die doch zugleich eine Verwundbarkeit zeigt, die blutrot
in diesem einzelnen Sonnenstrahl funkelt.
Kurz und gut: All die begeisterten Zitate auf dem Buchumschlag
haben vollkommen recht. Deswegen erst recht: Lesen!
(Übersetzung: Mayela Gerhardt)
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