„[…] Das halte ich nicht aus, wenn so auf mich aufgepasst wird,
dann werde ich erst schnippisch, dann traurig, und schließlich drehe ich mein
Herz wieder um, drehe das Schlechte nach außen, das Gute nach innen und suche
dauernd nach einem Mittel, um so zu werden, wie ich gern sein würde und wie ich
sein könnte, wenn … wenn keine anderen Menschen auf der Welt leben würden.
Deine Anne M. Frank“ (Seite 146, letzter Satz vom letzten Tagebucheintrag vom 01.08.1944)
Spannend ist es schon zu sehen, dass das Medium Comic seine über
Jahrzehnte behaglich eingerichtete Nische dann verlässt, wenn es entweder um
Verfilmungen (Superhelden Blockbuster zum Beispiel) oder um Adaptionen von
literarischen Werken geht. Schon ist die große Bühne bereit; Buchhandlungen
finden gar nichts dabei, Comics ins Regal zu stellen, denn auch große
Literaturverlage können mit Comics in dieser Form offenbar gut leben.
Der Haken an der Sache ist, dass es anscheinend ein anderes Medium
braucht, um dem Comic diesen Camouflage Auftritt zu ermöglichen. Insbesondere
beim Literaturadaptionen geht es dann gern darum, Menschen, die keine langen
Texte lesen können oder wollen, an den eigentlichen Stoff heranzuführen – an
die literarische Vorlage. Gern gebe ich zu, dass mir da immer wieder das Herz blutet,
weil das Klischee, Comic sei etwas für Dumme oder Lesefaule, so unverstellt
bedient wird. Und leider fügen so viele Literaturadaptionen dem ursprünglichen
Stoff auch nichts hinzu.
Puh, soweit das Klagelied des Comic-Freundes. Im letzten Jahr
bekam ich also das „Graphic Diary“ als Leseexemplar vom Verlag auf den Tisch,
in dem das Tagebuch der Anne Frank verarbeitet wurde. Dummerweise funktionieren
Klischees und Vorurteile ja in verschiedene Richtungen. So gern ich mich in die
Rüstung werfe, um für den guten Ruf des Comics zu streiten, so leicht tappe ich
natürlich auch in die Meinungsfalle, die schneller zuschnappt als ein
Buchdeckel aufgeschlagen ist.
Da hilft dann nur noch eines: die Rüstung wieder im Schrank
verstauen, ab in den Lesesessel, Füße hoch und schmökern.
Anne Franks Tagebuch dürfte eines der meistgelesenen Bücher über
den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg sein. Die Geschichte ist vermutlich
sattsam bekannt: Anne muss sich im Alter von 13 Jahren mit ihrer Familie und
einigen weiteren Menschen vor den Nazis und Denunzianten verstecken, im
Versuch, dem Tod im Konzentrationslager zu entgehen. Über zwei Jahre leben
diese acht Menschen versteckt in einem Hinterhaus, unterstützt und versorgt von
Helfern, bis sie schließlich doch entdeckt werden. Einzig Annes Vater überlebt
das Grauen der Lager und gibt später ihr Tagebuch heraus.
In diesem Tagebuch beschreibt Anne Frank eindringlich und zugleich
mit poetischer Kraft ihren Alltag in dem Versteck, dass ihnen zur Freiheit
verhelfen soll aber eben auch ein nicht selbstgewähltes Gefängnis ist. Das
Ringen um tagtägliche Routinen, während acht Menschen auf engem Raum
aufeinander hocken, ohne dem auch nur einen Tag entkommen zu können, aber auch
ihr Erwachsenwerden in dieser Enge und im steten aneinander Reiben, sind die
Themen, die sie ihrem Tagebuch anvertraut. Mit wem sollte sie auch sonst reden,
abgeschlossen von der Außenwelt, die allenfalls als kurzer, hastiger Blick aus
dem Fenster noch existiert.
Das „Graphic Diary“ ist keine buchstabengetreue Übersetzung des
Tagebuchs in Comic-Form. Ari Folman beschreibt in seinem Nachwort, wie versucht
wurde, den Themen, die Anne Frank beschäftigten, ihren Raum zu geben, Einträge
und Gedanken zusammenzufassen, Dialoge zu finden, die dem entsprechen und abzuwägen,
wann Anne selbst mit ihren Gedanken zu Wort kommen soll.
Und dies ist, nach meinem Gefühl, bestens gelungen. Das Nachwort
habe ich tatsächlich erst am Ende gelesen und kann so sagen, dass ich Annes
Stimme in der Version von Folman/Polonsky als authentisch, unverstellt und
genauso intensiv erlebt habe, wie Jahre zuvor beim Lesen der ursprünglichen
Textversion.
Die Bilder nehmen Annes Stimme nichts weg, skandalisieren nicht,
behaupten keinen Anspruch auf mehr Authentizität als die Worte. In Teilen illustrieren
sie das Leben der Acht; sie erlauben uns zugleich, diesen Mikrokosmos mit Annes
Augen zu sehen, wenn sie sich zum Beispiel mit ihrer Schwester vergleicht oder
aber die Mitbewohner in ihren Eigenheiten am Tisch charakterisiert werden, die
in dieser bedrückenden Enge jeden von uns in den Wahnsinn treiben würden.
Für mein Gefühl wurde hier mit großer Sorgfalt, viel Sensibilität
und großer Kunstfertigkeit gearbeitet. Das notwendig Fragmentarische eines
Tagebuches, das nun einmal keine durchkomponierte, handlungsorientierte Story
ist, blieb erhalten und entfaltete seinen Sog für mich Seite um Seite.
An dem Begriff „Graphic Diary“ möchte ich mich trotzdem etwas
stoßen. Einerseits bin ich ja froh, dass auf das Cover nicht der unvermeidliche
„Graphic Novel“ Button gepappt wurde. Zugleich habe ich nicht den Eindruck,
dass hier das Comic-Rad so neu erfunden wurde, dass es einen neuen Begriff
dafür braucht. Ich ahne, dass die Entscheidung dafür wohl eher eine des
Marketings als eine inhaltliche oder künstlerische war, frage ich mich aber
trotzdem „warum und wozu?“
Kurz: Ich glaube, der Arbeit von Ari Folman und David Polonsky das
größte Kompliment machen zu können, wenn ich festhalte: Diese Comic-Adaption
macht große Lust, auch den Rest von Anne Franks Tagebuch zu entdecken oder
wiederzuentdecken – ohne das Gefühl, das Eigentliche erst noch vor sich zu
haben.
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