„Meine Freunde, es ist sicherlich das letzte Mal, dass ich mich an
euch wende. Die Luftstreitkräfte haben die Sendeanlagen von Radio Portales und
Radio Corporación bombardiert. Es liegt keine Bitterkeit in meinen Worten, nur
Enttäuschung …“ (Seite 43)
Am 11. September 1973 putschte das chilenische Militär unter dem
späteren Diktator Augusto Pinochet gegen den demokratisch gewählten, linken
Präsidenten Salvador Allende. Während der Präsidentenpalast La Moneda von den
Putschisten umstellt und unter Feuer genommen wurde, wendete sich der Präsident
ein letztes Mal in einer Radioübertragung an das Volk. Diese Rede zieht sich
als roter Faden durch die erste Hälfte des Comics – immer wieder neu ansetzend,
legt sie sich über die verschiedenen Stationen der Erzählung. In jeder Szene,
in der sie erneut aus dem Radio schallt, sich über die Stadt, das Land und die
Panel schwingt, kommt ein weiterer Absatz hinzu. Bis der Palast gestürmt ist
und Salvador Allende, der sich nicht ergeben mochte, seinem Leben selbst ein
Ende setzt.
„Überlebt!“ ist aber nicht die Geschichte vom Präsidenten Salvador
Allende sondern die einer Überlebenden. Die Story von Maximilien Le Roy basiert
auf den Erinnerungen von Carmen Castillo, die der linksextremen MIR angehörte.
Sie überlebte und reiste aus ihrem Exil in Frankreich Jahre später zurück nach
Chile, um den Ort zu besuchen, an dem ihr Partner Miguel Enriquez erschossen
wurde.
Wir erleben sie im Jetzt dieses Besuches und tauchen gemeinsam mit
ihr in die Erinnerungen ein. Die Zeit der Debatten und Diskussionen über die
strategische Ausrichtung der Linken in Chile, als der Wahlsieg Allendes noch
Zukunftsmusik und so nicht absehbar war; die drei intensiven Jahre der
Regierung Allendes, in denen der Kontakt zur extremen Linken nie abbrach und
sich die zunehmende Gegenwehr der Rechten abzeichnete; die Zeit des Putsches
und der Verfolgung der in den Untergrund abgetauchten linken Aktivist*innen.
All diese Zeitebenen der Story werden verwoben durch die Stimme Allendes aus
dem Radio. Die stete Wiederholung ergibt einen intensiven Rhythmus, der mich
unweigerlich in seinen Bann zog.
Nach dem Tod Allendes konzentrieren sich die Erinnerungen auf die
Flucht und das Leben im Untergrund. Nach und nach werden Freunde der
Untergetauchten denunziert, enttarnt und, wenn sie nicht gleich ermordet
wurden, gefoltert, um die Aufenthaltsorte der anderen zu erfahren. So zieht
sich die Schlinge immer enger, bis schließlich auch Carmen und Miguel gefasst
werden. Miguel überlebt das nicht, die schwangere Carmen kommt mit dem Leben
davon und wird schließlich aus dem Land verstoßen.
Im Exil versucht sie mit ihren Erinnerungen zu leben und wird von
anderen Überlebenden als Witwe eines Helden gefeiert. Während sie selbst mit
diesem Status hadert, versucht sie dennoch auf diese Art, die Erinnerung an die
Ermordeten und Verschwundenen wach zu halten. Schließlich darf sie 1987 Chile
wieder besuchen. Sie entscheidet sich, diesen Besuch nicht als Bühne zu nutzen,
sondern nur gemeinsam mit einer Freundin die Orte ihres Lebens im Untergrund
aufzusuchen. In einem ersten Impuls beschließt sie, das Haus, in dem sie
zuletzt lebte und gemeinsam mit Miguel von den Häschern des Regimes gestellt
wurde, zu kaufen. Ein Museum, ein Erinnerungsort für Miguel Enriquez solle es
werden. Erst in einem Gespräch mit einem linken Aktivisten der späteren
Generation, viel jünger als sie, lässt sie sich umstimmen, damit die Toten zwar
nicht vergessen werden aber einen Neuanfang nach Pinochet und damit eine
gesellschaftliche Aussöhnung auch nicht unmöglich machen. So fand sie ihren Weg
zwischen Erinnerung und dem Blick nach vorn.
„Überlebt!“ ist kein Comic, der sich schnell lesen und dann
Beiseite legen lässt. Das Ineinandergreifen der verschiedenen Zeitebenen zwingt
immer wieder zum Innehalten und entwickelt zugleich einen intensiven Sog. Dabei
spricht aus den Erinnerungen zwar persönlich erfahrenes Leid aber kein
wehleidiges Klagen, sondern eher der Stolz darauf, was so viele aufrichtige
Menschen in Chile bei allen Niederlagen und Rückschlägen erreichen konnten.
Kournwskys Zeichenstil passt sich dem in Form und Farbgebung
bestens an. Er findet den passenden Rhythmus der Bilder, ohne im Heldenpathos
zu verschwimmen, und kann so sowohl die stillen Momente zeigen wie auch Kampf-
und Folterszenen.
Vor- und Nachwort von Le Roy und ein Interview mit Carmen Castillo
runden den Band ab, ordnen und laden ein, sich noch einmal genauer anzuschauen,
was damals in Chile geschah.
Kurz: Ein intensiver und bewegender Comic in einer von der Edition
Moderne gut gemachten Ausgabe. Hervorragend!
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