Donnerstag, 13. Februar 2020

Sebastian Barry: Tage ohne Ende



(Übersetzung: Hans-Christian Oeser)

„Also, wie sie in Missouri ne Leiche aufbahren, das schießt wirklich den Vogel ab. Als würden sie unsere armen verlorenen Muschkoten für ne Hochzeit herrichten und nicht für den Tod.“ (Seite 9)

Der sich da wundert, das ist Thomas McNulty. Und er erzählt seine Geschichte, die auch die Geschichte von John Cole ist. Die beiden sind nämlich unzertrennlich und gehören zusammen. Damit das gleich mal gesagt ist.

Die aufgebahrten Muschkoten sind Jungs wie sie selbst, die sich kaum siebzehn, achtzehn Jahre alt für ein sattes, geregeltes Leben in der Armee gemeldet haben. Geregelt war es dann auch meistens, satt nicht immer. Die Indianerkriege, die Prärie, der Winter in der Prärie aber auch der Sommer – all das forderte immer wieder seinen Tribut. Und gezahlt wurde der unter anderem mit aufgebahrten Muschkoten. So war das in der Mitte des 19. Jahrhunderts, mitten in Nordamerika.

Die da aufgebahrt wurden waren hergelaufene Kerle wie Thomas und John auch. Thomas, der Erzähler, kam als Knabe nach Amerika, nachdem von seiner Familie in Irland niemand mehr übriggeblieben war. John kam auch aus dem Nirgendwo, nur in Amerika halt. Sie trefen sich als Knaben, halb verhungert, gerade mal dreizehn, vierzehn Jahre alt. Sie klammern sich aneinander, und das darf man auch wörtlich nehmen, und beschließen, fortan gemeinsam diesem Leben entgegenzutreten.

So treten sie zunächst in den Saloon von Mr Noone, der größere, schöne John und der gewitzte Thomas. Mr Noone suchte für seinen Laden in einer Bergarbeiterstadt, in der Frauen eine Seltenheit waren, Jungs, die zart und biegsam mit den hart arbeitenden Bergleuten tanzten. Thomas und John überlegen nicht lang, sagen zu und werden zur Attraktion in der Stadt. Allabendlich schlüpfen sie in Kleider, machen sich zurecht und die harten Kerle werden ganz weich, wenn sie die beiden Jungs beim Tanzen führen.

Aber aus Jungs werden Männer, bei denen der Zauber, wenn sie in Frauenkleidern auftreten einfach nicht mehr derselbe ist. Bevor die Illusion für die Bergleute dahin ist, machen sich Thomas und John auf und treten in die Armee ein.

Gemeinsam erleben sie das gänzlich unromantische Leben in einem Fort mitten im Nichts. Nichts ist vielleicht missverständlich, denn da waren die Prärie und die Indianer. Mit denen ging es mal gut, mal aber auch nicht. Thomas erzählt von den Trecks, langen Ritten unter unendlichem Himmel und von den Gräueln, die sich Menschen so antun. Aber sie überleben und beschließen ihre Verpflichtung – natürlich – gemeinsam.

So selbstverständlich sie sich ins Tanzen und ins Soldatsein gefügt haben, so selbstverständlich brechen sie nun auf, um ihren Lebensunterhalt wieder mit der Verzauberung des Publikums zu verdienen. Mit dabei ist ein kleines Indianermädchen, das sie ins Herz geschlossen und adoptiert haben. Thomas schlüpft wieder in Frauenkleider, John gibt den schönen Galan und Winona singt dazu. Sie sind eine Sensation und können es noch, das Verzaubern.

Doch schon zieht der nächste Krieg herauf, der amerikanische Bürgerkrieg. Sie folgen dem Ruf ihres alten Majors und treten an. Heroischer oder weniger grauenvoll ist dieser Krieg aber auch nicht. Sie überleben gerade so und werden schließlich Farmer in Tennessee. Thomas und John finden einen Priester, der sie traut. Endlich scheinen sie ihr Glück gefunden zu haben. Doch das Leben schlägt einen weiteren Haken.

Eine der vielen Stärken dieses Romans ist die Erzählstimme von Thomas. Es ist die eines einfachen Mannes, mit dem Herz am rechten Fleck und vielleicht nicht immer geschliffenen Worten auf der Zunge. Aber Sebastian Barry schafft es, dass sie so echt klingt, wie nur irgendwas. In ihr widerspiegelt sich der unbedingte Willen, sein Leben in die eigene Hand zu nehmen, sich nicht zu verbiegen und auch im schlimmsten Grauen noch Liebe empfinden zu können. Die beschriebene Zeit und das erzählte Leben lassen große Gefühlsduselei nicht zu, entsprechend lakonisch klingt es mitunter, aber immer mit so viel warmherziger Empathie, dass man diesen Thomas unbedingt ins Herz schließen muss.

Die Geschichte selbst, die hier erzählt wird, hätte auch kitschig und sensationslüstern ausgestellt werden können. Barry braucht das nicht. Vollkommen unaufgeregt überlässt er Thomas das Wort und der braucht nicht viele Schnörkel, um vom Grauen ebenso eindringlich zu erzählen wie von seiner Liebe und davon, wie sehr sich das Tragen von Uniform und Frauenkleidern für ihn unterscheidet, wie sehr er sich darin unterscheidet.

Dank und großes Lob gebühren dem Verlag für die ganz wunderbare Gestaltung und Ausstattung des Buches und dem Übersetzer für solch grandiose Arbeit.

Kurz und gut: Egal wer dieses Kleinod verfilmen will, macht es bitte nicht kaputt. In jedem Fall gilt – lesen, unbedingt!

#lesewinter #roman #sebastianbarry #steidlverlag #usa #amerika #western #indianerkriege #bürgerkrieg #liebe #mustread #lesen #leselust #lesenswert #bücher #indiebook #literatur

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen