Sonntag, 9. Februar 2020

William Finnegan: Barbarentage



(Übersetzung: Tanja Handels)

„Eigentlich hatte ich mich nie für ein behütetes Kind gehalten.“ (Seite 11)

Zugegeben, hätte ich nur „Autobiografie eines Surfers“ gelesen, hätte mich wenig interessiert, dass es dafür den Pulitzerpreis gab. So ein Titel wie „Barbarentage“, dazu eine ansprechende Aufmachung, bei der ich nicht das Gefühl bekomme, dass gleich die Beach Boys um die Ecke kommen – das hat mich dann doch neugierig gemacht. Also rein ins kalte Wasser. Ähem … 😉

Eines gleich vorweg: Die Beach Boys tauchen hier nicht auf. Und der Sound, den ich beim Thema Surfen sofort im Ohr hatte, mit dem hat das Surfen wie es Finnegan sein Leben lang begleitet hat mal so gar nix zu tun. Puh, die quietschbunten Shorts und Hawaiihemden können also im Schrank bleiben. Obwohl Hawaii schon eine gute Überleitung ist. Denn dort beginnt Finnegan mit seinen Erinnerungen. Er ist um die 14 Jahre alt und macht zwei wichtige Erfahrungen.

Zum einen geht er, der als weißer Amerikaner gerade mit seinen Eltern, Leute vom Film, und seinen Geschwistern aus Kalifornien nach Honolulu gezogen ist, auf eine einfache staatliche Schule. Hier gehört er zur Minderheit in einem sozialen Gefüge, in dem es rau zugeht. Und dann ist da der Pazifik vor der Haustür. Wellen branden an ohne Unterlass. Am Surffieber hatte er sich schon in Kalifornien angesteckt. Aber hier gerät es ihm zum Fluchtpunkt vor einer quirligen Familie und einer angespannten Atmosphäre in der Schule. Hier im oder auch auf dem Wasser begegnen ihm die Locals anders. Er erarbeitet sich Anerkennung und Respekt. Diese Erfahrung lässt ihn die Schule besser ertragen und führt ihn zugleich früh weg von seiner Familie, die offenbar lange kaum ahnt, was ihm das Surfen, das Meer, die Wellen bedeuten.

Diese Leidenschaft, seine Hingabe ist auch der rote Faden durch diese mehr als 500 Seiten und bald 60 Jahre Leben, die er hier festhält. Aber er erzählt schon sehr viel mehr als das, auch wenn gerade am Anfang das Surfen der Antrieb für das meiste gewesen zu sein scheint.

Hawaii, Kalifornien, Südpazifik, Australien, Asien, Afrika – über Jahre ist er mit Freunden aber auch allein unterwegs, um die besten Wellen zu finden, den einen Spot, den noch niemand kennt. Wie so oft ist der Weg das Ziel, vor allem, weil er Spots bereist und entdeckt, die damals wenigstens noch allenfalls Geheimtipps waren.

Gefangen genommen hat mich die Begeisterung, mit der Finnegan unglaublich detailreich die Wellen und das Surfen beschreibt. Dass er jahrelange Erfahrung als Reporter und Autor von Reportagen hat, die er hauptsächlich für den New Yorker geschrieben hat, lässt das auch einer Landratte wie mir, ohne auch nur den Hauch einer Vorstellung vom Surfen – außer halt den Beach Boys … - nicht langweilig werden. Was auch hätte rein technisch klingen können, gerät Finnegan geradezu zu Poesie.

Fasziniert haben mich noch zwei weitere Dinge an dem Buch. Finnegan versucht gar nicht erst, sich als Experte darzustellen für jede der Weltgegenden, die er bereist hat. Aber lässt uns teilhaben an den Details, die er vor Ort wahrnehmen konnte. Und die Beschreibungen gelingen ihm so lebendig, ohne dabei pathetisch oder prätentiös zu werden, dass es eine Freude ist, seinem Weg mit dem Finger auf der Landkarte zu folgen und immer wieder innezuhalten und durch Fotos von seinen Stationen zu klicken – dem Internet sei Dank.

Ein Zweites nahm mich restlos für diesen schier rastlosen Typen und dieses Buch ein. Es ist durch und durch uneitel. Gerade Surfen hätte ich, Klischee olé, zuvor als prädestiniert gehalten für so einen testosteronschwangeren Typen, der sich zu sehr selbst in seinen Posen gefällt. Kein Stück davon bei Finnegan. Er lässt uns tief in sein Herz schauen, Ängste wie Hochgefühl miterleben, Selbstzweifel und schlotternde Angst vor dem, was diese hauswandhohen Wellen einem menschlichen Körper anzutun vermögen. Er findet Worte für seinen Respekt, der ihn auch zurückschrecken lässt, aber auch das Glücksgefühl während und nach einem geglückten Wellenritt. Er teilt das Gefühl älter zu werden und seine zunehmend enger gezogenen Grenzen anerkennen zu müssen.

Kurz und gut: Brauchste keinen Strand für. Lesen, einfach nur lesen! 😉

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