Samstag, 5. Juni 2021

Georg Seeßlen: Trump! Populismus als Politik


„Wir lieben Pop, na klar.“ (Seite 7)

Ich finde es ja gar nicht so schlimm, aktuellen, brandheißen und heiß debattierten Themen ab und an auch ein wenig hinterher zu lesen. So hab ich mir dieses Essay, das ursprünglich bereits 2017 erschien, also nach Trumps Antritt als Präsident, erst jetzt zu Gemüte geführt, da er zumindest diese Bühne schon wieder verlassen hat. Dem Lesevergnügen und dem Erkenntnisgewinn tut das keinem Abbruch, kann ich schon einmal vorausschicken. 😊

Sich dem Phänomen Trump über Pop anzunähern und hier nach Deutungsmustern zu suchen, liegt bei dessen Vorgeschichte natürlich nahe. Und Seeßlen ist ganz sicher ein geeigneter Autor, um das zu unternehmen.

Der Einstieg in diesen kleinen Band ist eine Gegenüberstellung zweier Narrative. Das eine beschreibt das Auftreten Trumps als politischen Betriebsunfall, der durch das politisch-ökonomische System wieder zu beheben ist. Das andere Narrativ erzählt eine Geschichte, die aus dem Unterhaltungsgenre stammen könnte und es womöglich auch tut. Ein einsamer Wolf, ein Underdog lehnt sich hier auf gegen die da oben und beginnt seine Heldenreise auf den Gipfel der Macht.

Spannend zu lesen ist, wie Seeßlen durchdekliniert, wie sehr, allen Regeln des Pop entsprechend, Trump auf die Realitäten aller anderen pfeift und sich seine Welt so interpretiert und baut, wie er sie braucht. Er schaffte es damit eine Sogwirkung zu entfalten, die es dem politischen Gegner aber auch der Gesellschaft selbst unendlich schwer machte, damit einen Umgang zu finden. Bezieht man sich auf Trumps Welt, bestätigt man sie; widerspricht man hier kategorisch, lässt sich auch dies ganz wunderbar und nach allen Regeln populistischer Kunst und Rhetorik als Bestätigung lesen und verwenden. Pop als der glämmervolle Sound des Populismus.

Richtig spannend wird Seeßlen aber schließlich da, wo nicht mehr nur um seine vergleichende Analyse geht sondern nicht weniger um die Frage des Umgangs mit diesem Spektakel – insbesondere was die gesellschaftliche Linke angeht. Es ist schließlich auch heute, wenige Monate vor der Bundestagswahl, kein Geheimnis, dass trumpistische Politikstile oder Populismus insbesondere von Rechts keine geringere Gefahr für die Demokratie darstellen.

Zusammengefasst lautet die naheliegende Empfehlung, sich keinesfalls auf das populistische Spiel einzulassen, egal wie verführerisch das auch erscheinen mag. Pop ist stark zeitgebunden. Was heute der geile heiße Scheiß ist, ist morgen schon fast vergessen und kommt allenfalls übermorgen als Retro zurück. Das mag unterhaltend sein, ist aber ganz sicher ein unsicherer Grund für funktionierende Gesellschaften, die den Einzelnen Sicherheit geben und Selbstbestimmung wie Beteiligung ermöglichen wollen. Es bleibt die Frage, ob unsere kapitalistisch geprägte Welt von heute überhaupt die geeigneten Antworten auf das Phänomen Trump geben kann. Vielleicht müssen wir aber auch die oft als politisches Schreckgespenst bemühten Experimente wagen, um das Showspektakel wieder in die Arenen zurückzuverbannen, in denen sie uns unterhalten aber nicht die Gesellschaften zu zerstören drohen.

Kurz und gut: Ein schlaues Büchlein über viel zu aktuelles. Lesen!

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