Montag, 16. Mai 2022

Nguyễn Phan Quế Mai: Der Gesang der Berge


(Übersetzung: Claudia Feldmann)

„Meine Großmutter hat mir oft erzählt, dass unsere Vorfahren, wenn sie sterben, nicht einfach verschwinden, sondern weiter über uns wachen.“ (Seite 13)

Familienepen, in denen sich die historische Kulisse, vor der sie sich abspielen, widerspiegelt, treffen ja schon meinen Geschmack. Vietnamesische Literatur ist jetzt auch nichts, was uns in heimischen Buchhandlungen alle Nase lang über den Weg läuft. Dieser Roman brauchte also nicht viel mehr, um meine Aufmerksamkeit zu erhalten.

 

Die Autorin ist Vietnamesin, schrieb das Buch aber auf Englisch. Die Sprache, in der sie auch studierte. Wie viel vom Roman zumindest biografisch angehaucht ist, vermag ich nicht zu sagen. Ich vermute aber, dass diese und ähnliche Geschichten für die Zeiten, aus denen die Autorin berichtet, beispielhaft stehen können.

 

Erzählt wird dieser Familienepos von zwei Frauen: von Großmutter Dieu Lan und von deren Enkelin Huong. Während Huongs Erzählstimme in der Jetztzeit des Romans, in den 70er Jahren angesiedelt ist, führen die Erzählungen der Großmutter über Jahrzehnte bis in die 30er Jahre zurück. Als Leser lauschte ich der Enkelin gleich dieser Familiengeschichte, die glücklich und im arbeitsreichen Wohlstand begann.

 

Doch nur zu bald ist das Schicksal der Familie verquickt mit Tragödien, die sich über lange Zeit in Vietnam aufeinander folgend abspielten. Der Besatzung durch die Japaner fällt der Urgroßvater zum Opfer. Während der kommunistischen Landreform verliert die Familie ihr Hab und Gut. Dieu Lan muss Hals über Kopf mit ihren fünf Kindern fliehen, um schließlich mit noch einem der Kinder in Hanoi anzukommen, um ein neues Leben zu beginnen. Die anderen Kinder musste sie auf dem Weg bei mal besseren, mal schlechteren Stationen zurücklassen, um das Überleben aller zu sichern.

 

Das Überleben gelingt, ein neues Leben in Hanoi könnte die Kehrwende für die Familie bedeuten. Doch das vietnamesische Volk kommt nicht zur Ruhe. Der Nord-Süd-Konflikt und schließlich der Vietnamkrieg zerreißen die Familie erneut.

 

Huongs Geschichte setzt mit dem Warten auf die Kriegsheimkehrer ein. Sowohl ihr Vater als auch ihre Mutter, die ihrem Mann folgte, bleiben lange vermisst. Doch die Heimkehr der Geschwister, die überleben konnten, bietet noch lange kein Happy End. Und auch Huong als Jüngste wird noch lange an der Last dieser Familiengeschichte zu tragen haben.

 

In einer Rezension las ich, die Sprache des Romans sei zu verkitscht und phrasenhaft, die Erkenntnisse blieben eher banal. Trotz meiner eigenen Kitschempfindlichkeit kann ich dem nicht so recht beistimmen. Ein sprachliches Feuerwerk bietet der Roman tatsächlich nicht. Aber für meinen Geschmack spinnt der Tonfall des Romans eine zarte, empfindsame und zutiefst humane Grundhaltung, die gerade im Kontrast zu den zum Teil wirklich brutalen und grausamen Szenen wirkt. Das ergibt vielleicht nicht die ganz große Weltliteratur, nimmt der Wirkung dieses Buches aber auch nichts.

 

Kurz und gut: Autorin und Stoff sind eine kleine Entdeckung und das Lesen unbedingt wert. Lesen!

 

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