Sonntag, 22. Januar 2023

Kai Matthiesen/ Judith Muster/ Peter Laudenbach: Die Humanisierung der Organisation. Wie man dem Menschen gerecht wird, indem man den Großteil seines Wesens ignoriert


„Die Kommunistische Partei Chinas, Kindergärten, Automobilhersteller, Amnesty International, die Universität Bielefeld, das Rüstungsunternehmen Heckler & Koch, Staatstheater und psychiatrische Anstalten haben mindestens eine Gemeinsamkeit.“ (Seite 9)

Sie bilden arbeitsteilige Strukturen zur Um- und Durchsetzung konkreter Ziele. Es sind Organisationen, in denen Menschen arbeiten. Und der Frage nachzugehen, wie Organisationen am besten funktionieren, woran sie immer wieder auch scheitern und wie Menschen sich in diesen Strukturen bewegen ist immer wieder spannend und faszinierend. Auch, weil das ja zumeist auch Alltag von uns selbst ist.

In meinem ersten Post zu diesem Buch schrieb ich, dass ich auf den ersten Seiten schon ganz viel genickt habe und gleichzeitig herzlich widersprechen wollte. Das zog sich so durch das ganze Buch – und ich bin schwer begeistert. 😊

Organisationen bilden also Strukturen aus, um ihre Ziele zu erreichen. Diese Ziele werden von Menschen definiert. Ebenso entstehen die Strukturen natürlich nicht aus sich selbst heraus, sondern sind menschengemacht. Trotzdem entsteht so etwas wie eine den jeweiligen Organisationen innewohnende Eigenlogik, die getragen wird von den Menschen, die in der Organisation arbeiten. Diese Eigenlogik prägt das Selbstverständnis der Organisationsmitglieder und formiert gewissermaßen auch ein Werteschema, das im Idealfall auch praktisch gelebt wird.

Spannend wird es nun, wenn Ziele nicht erreicht werden, Unfälle passieren, Abläufe haken etc. Die Autor:innen beschreiben, wie in diesen Fällen oft genug der Mensch als Störfaktor ausgemacht wird. Indem Schwierigkeiten auf den Schultern von konkreten Mitarbeitenden abgeladen werden, wird der oft genug notwendige Blick darauf, ob vielleicht die Strukturen fehlerhaft sein könnten, verstellt. Auch hier greift die Organisationslogik, die natürlich davon ausgeht, dass es nicht die eigenen Strukturen sein können, denn dann wäre ja die Organisation selbst fehlerbehaftet. Also müssen einzelne Menschen Schuld haben.

Nicht weniger spannend ist es, den Blick auf Menschen zu richten, die sich in Organisationen bewegen. Ihnen kommen Rollen zu, die mit bestimmten Aufgaben, Funktionen verknüpft sind. Oft genug werben Organisationen aber nun mit besonders flachen Hierarchien, eine familiären Atmosphäre. Was ist denn nun davon zu halten, wenn es doch eigentlich um „nur“ um die Erfüllung von konkreten Aufgaben geht? Ist es, so fragen die Autor:innen, denn nicht übergriffig, wenn Organisationen mehr als das Ausfüllen der Organisationsrolle erwarten und gleich den ganzen Menschen vereinnahmen wollen?

In einer Welt, in der wir oft genug lernen, nicht nur als etwas zu arbeiten, sondern dann vielmehr mit unserer beruflichen Rolle, also der Organisationsrolle, gleichsam zu verschmelzen, in so einer Welt muss die oben gestellte Frage schon fast seltsam anmuten. Dies gilt umso mehr, wenn die Organisationsziele nicht allein profitorientiert sind. Was ist mit NGO´s, wohltätigen Verbänden, Gewerkschaften, Parteien?

Ich hätte aus meiner Arbeitserfahrung heraus schon das Gefühl, dass Organisationsmitglieder neben ihren Rollen innerhalb der Organisation auch als Menschen mit Interessen jenseits der Rolle, mit Wertvorstellungen etc. gesehen werden wollen. Was aber wäre nun das richtige Maß, um einer Entgrenzung der Organisationsrolle entgegenzuwirken?

Hier und bei einer ganzen Reihe weitere spannender Fragen liefern die Autor:innen eine Menge Anregungen zum Nachdenken. Ich zumindest kam gar nicht umhin, immer wieder beim Lesen innezuhalten und auf mein eigenes Berufsleben zu blicken.

Zwei Punkte seien außerdem zu dem Buch noch unbedingt erwähnt: Zum einen finde ich die Gestaltung für ein Sachbuch wirklich gelungen. Toll gestaltete Bücher in diesem Bereich sind leider die Ausnahme, umso mehr fällt dieses hier auf. Zum anderen macht es wirklich Spaß, den Gedanken der Autor:innen und auch den vielen Beispielen und Theorieexkursen zu folgen, denn der Text ist wirklich gut geschrieben. Auch dies ist in diesem Bereich eher eine Ausnahme – es sei denn, ich las da bisher immer die falschen Bücher. 😊

Kurz und gut: Um an diesem Buch Spaß zu haben und es mit Gewinn zu lesen, muss niemand Organisationsentwickler:in sein. Du bist selbst in irgendeiner Form Teil einer Organisationsstruktur? Dann los und lesen! 😊

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