Mittwoch, 18. Januar 2023

Cormac McCarthy: Die Straße

 

(Übersetzung: Nikolaus Stingl)

„Wenn er im Dunkel und in der Kälte der Nacht im Wald erwachte, streckte er den Arm aus, um das Kind zu berühren, das neben ihm schlief.“ (Seite 7)

Berlin in diesem grauen so-halb-Winter liefert genau die triste Stimmung, um sich auf die Welt einzulassen, die Cormac McCarthy in diesem Roman unerbittlich entworfen hat.

Nichts ist übrig von Amerika. Das Land liegt erstarrt unter einer Schicht aus grauer Asche. Gerade so viel blieb übrig, dass Brände sich durch die spärlichen Reste der Wälder fressen können. Städte, Dörfer sind vor dem allgegenwärtigen Tod erstarrt. Wo noch Menschen leben, tun sie sich schlimmes an, um einen weiteren Tag in dieser endlosen Trostlosigkeit zu erwachen.

Durch diese Welt ohne Vorher und Nachher schlurfen, stolpern ein kleiner Junge und dessen Vater. Sie meiden andere Menschen, schleppen sich von Rast zu Rast auf dem Weg an die Küste. Ich bin nicht einmal sicher, dass es Hoffnung ist, die sie noch antreibt.

Der Mann wacht über seinen Sohn, bereitet ihn aber gleichsam auf den Tag vor, da der Junge ohne ihn weitergehen muss. Und dieser Tag wird kommen, da ist sich der Mann sicher. Beim Lesen schnürt einem die Kehle zu, den Jungen Seite für Seite sich fast auflösen zu sehen.

Sie kauern spärlich bedeckt unter kahlen Bäumen, hinterlassen Fußspuren im Asche-Schneematsch. Selbst wenn sie einmal Essbares oder brauchbare Dinge finden, füllen sie allenfalls kurz den Magen, müssen sie doch allzu schnell wieder aufgegeben werden und sind nur kurz von Nutzen. Hier ist einfach alles vergänglich.

Vor den Menschen, die es noch gibt, nehmen sie sich in Acht. Der Mann hat genug davon gesehen, wozu Überlebende in dieser Welt fähig sind. Dass der Junge trotz allem daran glauben will, dass es noch gute Menschen gibt, ängstigt ihn, treibt ihn aber auch immer weiter an. Was aber könnte nur das Morgen in einer solchen Welt sein?

McCarthy schenkt seinen Figuren in dieser Geschichte nichts. Alles in dieser Welt zeugt vom Ende aller Zeiten, davon dass hier nur noch ein Überleben aber kein Leben mehr möglich ist. Der Text lässt nicht einmal bei den Leser:innen die Hoffnung aufkommen, am Ziel, an der Küste könnte wirklich irgendeine Art der Erlösung für die beiden zu finden sein.

Die stete Folge von mal kürzeren, mal längeren Absätzen sorgt für einen Leserhythmus, der sich mit dem Mann und dem Kind dahinschleppt. Die Sprache der Erzählstimme ist eher knapp und klar; hier gibt es nichts mit schönen sprachlichen Bildern zu beschreiben. Die Dialoge zeugen davon, dass es nichts mehr gibt, von dem sich ausufernd erzählen ließe. Mit der Kraft fliehen auch die Worte aus den Körpern der beiden.

Der Text entfaltet eine fast schon unheimliche Sogwirkung, gerade weil hier nichts schön ist. Ich habe mich streckenweise wirklich unbehaglich dabei gefühlt, den Mann und den Jungen zu beobachten und vergehen zu sehen. Sonst schreiben wir Leser:innen ja gern an dieser Stelle, dass wir das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen mochten. In diesem Fall allerdings musste ich den Band immer wieder wegpacken, eben weil er so gut geschrieben ist, dass die Geschichte, die Figuren so nahekommen.

Kurz und gut: In dieser Welt ist selbst die Hoffnung trostlos und grau. Lesen!

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