Dienstag, 23. Januar 2024

J.D. Vance: Hillbilly-Elegie. Die Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft in der Krise


(Übersetzung: Gregor Hens)

„Ich heiße J.D. Vance, und ich denke, ich sollte mit einem Geständnis beginnen: Ich finde die Tatsache, dass es dieses Buch gibt, das Sie in Händen halten, einigermaßen absurd.“ (Seite 7)

Endlich mal diese Trump-Wähler verstehen, diese weiße Unterschicht, verarmte Arbeiterklasse, white trash – oder auch Hillbillies, wie sie uns J.D. Vance vorstellt. 2016 schaffte es dieser autobiografische Bericht von einem, der es rausgeschafft hat, immerhin in die Bestsellerlisten der USA. Dabei war der Autor da gerade mal knapp über dreißig Jahre alt. Weil es aber vielversprechend klang, landete das Buch auf meinem Lesestapel. 😊

Im Kopf hatte ich, als ich es auf den Lesestapel packte, dass der Autor sich selbst als konservativ bezeichnete aber mit Trump auch hart ins Gericht ging. Ein Konservativer gegen Trump – vielleicht mag das ja zum Erfolg des Buches beigetragen haben in einer polarisierten Gesellschaft deren liberaler Teil ja bis heute händeringend nach Erklärungen sucht, wieso ein Typ wie Trump bei denen, die nichts von ihm zu erwarten haben, so gut ankommt.

Bevor ich dann aber zu lesen anfing, hatte das Leben des J.D. Vance schon eine weitere Wendung genommen. Inzwischen ist er Senator für Ohio, also von einer Investmentfirma in die Politik gewechselt. In seinem Wahlkampf 2022 suchte er explizit die Unterstützung Trumps – und bekam sie auch, inklusive Wahlsieg. Ich schreibe das gleich vorweg, weil ich vermute, dass es meinen Blick auf den Text schon sehr beeinflusst haben dürfte.

Verwundert bin ich nach der Lektüre über diesen Weg des Autors tatsächlich nicht. Der begann für den jungen J.D. in einer Familie, in der sich manche auf den Weg aus dem Elend der weißen Unterschicht gemacht haben, mit mehr aber meist eher weniger Erfolg, während andere nicht einmal mehr Gründe fanden, etwas zu ändern. Die Familie stammt aus dem bergigen, waldigen Hinterland Kentuckys, dem Kernland der Hillbillies, wenn ich Vance da richtig verstanden habe.

Seine Großeltern, die ihn hauptsächlich großgezogen haben, verließen die Gegend und kamen in einer mittleren Stadt im Rust Belt bei Columbus unter, die von einem Stahlwerk geprägt war. Mit dem Aufstieg klappte es nur bedingt – Gewalt, Alkohol, Drogen und dem familiären Chaos entkamen sie offenbar nie. So wuchs J.D. zwar mit einer Großfamilie aber weitgehend ohne seine Eltern auf. Er beschreibt durchaus eindrücklich, wie sich das Fehlen von festen, sicheren Beziehungen zu den eigenen Eltern, andauernde Enttäuschungen und ein ruppig bis gewalttätiger Umgang untereinander auf ein Kind auswirken.

Mit ein paar wenigen Unterstützer:innen, die in den richtigen Momenten für ihn da waren, gelang es ihm mit einem vierjährigen Umweg über die US Marines und einen Einsatz im Irak letztlich an der Yale University Jura zu studieren, gut abzuschließen und vor seinem Wechsel in die Politik bei einer Investmentfirma zu arbeiten.

Aufsteigergeschichten haben natürlich etwas für sich. Aber was genau ließe sich denn nun zur Erklärung der Trumpwählerschaft lernen? Warum geht es der weißen Arbeiterschaft so schlecht? Und lässt sich aus einem Aufstieg wie dem vom Autor etwas lernen?

Bei den Antworten auf diese und weitere Fragen, die über das anekdotische, persönliche hinausführen, empfand ich das Buch leider als ziemlich dünn. Das der Autor stolz ist auf seinen Weg, geschenkt. Aber leider bleibt der Text dann doch bei Plattitüden stehen wie: Wir müssen uns selbst helfen und niemand sonst. Die da Oben wissen und verstehen nichts von der Welt, aus der der Autor kommt. Liberale Großstädter haben ohnehin keine Ahnung. Jemand wie J.D. Vance schon, weil er zu den wenigen gehört, die das Leben verstanden haben. Achja, und die USA sind natürlich das großartigste Land der Welt, weil nur da so ein unglaublicher Aufstieg wie der seine überhaupt möglich ist. Ok, mir rutscht hier langsam ein sarkastischer Unterton heraus.

Für meinen Geschmack feiert J.D. Vance sich und seinen Weg ein bisschen zu sehr und zu unreflektiert. Den Stolz auf das selbst Erreichte in allen Ehren fehlt mir hier dann doch der Blick über den persönlichen Tellerrand hinaus. Ein so verstandener Individualismus konservativer Prägung, gemischt mit einem ordentlichen Schuss Patriotismus – ich bin letztlich nicht überrascht, dass J.D. Vance dann letztlich doch bei Trump gelandet ist – und sich dabei vermutlich auch auf der richtigen Seite wähnt.

Schon beim Lesen stolperte ich immer wieder über eine gelegentlich doch recht unstrukturiert wirkende Ansammlung persönlicher Erinnerungsstücke. Da, wo der Bezug aufs Größere, eine Einordnung und Kontextualisierung tatsächlich Erklärungen für die eingangs gestellten Fragen hätten liefern können, da bleibt der Text im Vagen aber eigentlich vor allem belanglos.

Kurz und gut: Zu belanglos und ohne Folgen. Schade eigentlich. Muss man nicht gelesen haben.

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