Mittwoch, 30. Oktober 2024

Fabian Scheidler: Der Stoff aus dem wir sind. Warum wir Natur und Gesellschaft neu denken müssen


„Die industrielle Zivilisation hat das Antlitz der Erde innerhalb der letzten zwei Jahrhunderte radikal verändert: An die Stelle von beinahe endlosen Wäldern und vielfältigen Kulturlandschaften sind Megastädte und Industriegebiete, Straßengeflechte und Containerhäfen, landwirtschaftliche Monokulturen und Abraumhalden getreten.“ (Seite 9)

Physik und Biochemie sind jetzt nicht meine bevorzugten Themen. Insofern bin ich ganz froh, dass dieses Buch von einem Journalisten fachkundig – wie ich vermute – geschrieben wurde. 😊

Nach vielen Ausflügen in die jüngste Geschichte insbesondere von Ostdeutschland, war es doch ganz wohltuend, den Blick mal wieder etwas zu weiten. So aufs Große und Ganze schauen. Denn letztlich lässt sich die Frage, wie wir als Menschen leben wollen, eben doch nicht von unserer Umwelt, der Natur trennen. Das zumindest ist inzwischen unbestritten. Dass es dazu eben doch noch mitunter skurril anmutende Debatten gibt, verdeutlicht für meinen Geschmack, die Dringlichkeit und Wichtigkeit, uns Menschen wieder viel mehr als Teil der Welt zu begreifen.

Im ersten Schritt referiert Scheidler den Stand der Erkenntnisse in der Physik (und ein wenig den Weg dorthin). Ich fasse es mal für mich so zusammen: Je tiefer wir in die stoffliche Welt hineinschauen können, um so weniger Greifbares findet sich. Zellen, Atome, Atomkerne – und dann löst es sich in im Wesentlichen fließende Energie und Information auf.

Biochemisch weitergedacht findet sich offenbar das gleiche Phänomen, egal wie fest uns der Stein, die Baumrinde oder der Sixpack erscheinen mögen. Besser noch, Energien und Informationen fließen ständig hin und her und über die Grenzen dessen, was wir als feste oder geformte Körper wahrnehmen hinweg. Die Folgerung liegt nahe, dass wir auf dieser Ebene im steten molekularen Austausch mit unserer Umwelt stehen, egal wie sehr wir das Gefühl haben, die Welt zu beherrschen.

Anhand von Beispielen aus der Wissenschaftsgeschichte zeichnet Scheidler ein Bild, bei dem Forschende eine Welt beschreiben, die sehr viel verbundener ist, selbstorganisierter als es in unserem seit Jahrhunderten geprägten mechanistischen Weltbild erkennbar ist. Während wir noch glauben, wir müssten da nur etwas hinbauen, hier etwas konstruieren etc., wird klar, dass wir nie alle Querverbindungen, Variablen und Auswirkungen werden berechnen können.

Spannend ist auch der nicht ganz neue Hinweis darauf, dass uns Menschen unter anderem ausmacht, dass wir uns eine innere Welt aus Gefühlen, Wahrnehmungen etc. schaffen können. Hippiekram halt. Trotzdem bauen wir Gesellschaften, die ausschließlich mechanistisch gedacht sind – mit all den Auswirkungen auf uns als Individuen und unseren Umgang miteinander und mit unserer Umwelt. Vielleicht lässt sich so verstehen, warum wir in Debatten ernsthaft fragen, wer Klimaschutz bezahlen soll, obwohl uns klar ist, dass die Natur, die Physik, die Biochemie etc. keinen Kredit geben.

Ein wenig verblüffend ist der Effekt, wenn man von dieser Lektüre zurück zu Texten wechselt, die ausschließlich um uns als Menschheit und menschliche Interaktionen kreisen. 😉

Kurz und gut: Wissenschaft und Nachdenken über das große Ganze können so Spaß machen und inspirieren. Lesen!

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