Sonntag, 13. Oktober 2024

Alexander Bogner: Die Epistemisierung des Politischen. Wie die Macht des Wissens die Demokratie gefährdet


„Würde man die Frage gestellt bekommen, in welcher Gesellschaft wir denn heute eigentlich leben, dürfte man mit einiger Sicherheit als Antwort erwarten: in der Wissensgesellschaft.“ (Seite 7)

Es ist doch voll verrückt. Einerseits ist die Rede von der Wissensgesellschaft als Hinweis darauf, dass dank rasant fortschreitender Forschung das Wissen an sich in immer weitere Bereiche erstreckt. Andererseits nimmt die Verunsicherung durch Fake News, alternative Fakten, gefühlte Wahrheiten, Verschwörungserzählungen und populistisches Gewäsch immer mehr zu. Führt also ein Mehr an gesellschaftlichem Wissen zu mehr Verwirrung der Einzelnen?

Alexander Bogners schmaler Band verknüpft diese Entwicklung mit der Frage danach, was dies denn für die Demokratie und fürs Regieren in der Demokratie bedeutet. Seine Antworten mögen manche überraschen, sind aber mindestens recht inspirierend.

Allein zwei Großkrisen in der unmittelbaren Vergangenheit und Gegenwart – Corona und der Klimawandel – taugen als gute Beispiele für seine Argumentation. Immerhin ließ und lässt sich da gut erleben, was passiert, wenn die Themen, um die gestritten wird, sich dem Alltagswissen der Menschen so weit entziehen. Mal wieder sind also Expert:innen gefragt. Und ganz schnell entsteht ein Zustand, in dem wir meinen könnten, es müsste doch ausreichen, wenn uns Wissenschaftler:innen sagen, was wir zu tun haben. Das ist so verführerisch wie vereinfachend, weil Gesellschaften natürlich schon sehr viel komplexer funktionieren.

Wäre dem so, dass wir einfach nur auf die Wissenschaft zu hören brauchten, stellte sich sehr wohl die berechtigte Frage, wofür es dann noch demokratische Verfahren und all die Zeit und die Kosten bräuchte, die sie verursachen. Damit wäre der erste bedenkenswerte Punkt gesetzt.

Dies weiterzudenken ist keine Theorie mehr, denn wir erleben ja tagtäglich, wie auch wissenschaftlich fundierte Meinungen diskreditiert werden, in dem nicht nur wissenschaftliche Gegenrede formuliert, sondern alternatives Wissen (alternative Fakten) in Stellung gebracht wird. Für das Publikum ist offenbar schon länger nicht mehr ersichtlich, ob es sich um einen üblichen wissenschaftlichen Disput oder eigentlich manipulierende politische Debatten handelt. All das Wissen scheint uns hier also wenig weiterzuhelfen.

Spannend bei der Lektüre fand ich den Hinweis, dass so viele Debatten als scheinbare Auseinandersetzungen um Wissen geführt werden, obwohl es sich eigentlich um das Ringen um Werte und Weltbilder handelt. Vorgebliche Wissensdebatten verschleiern also geradezu, worum es gerade tatsächlich geht.

Im Fall von Corona bedeutete dies, dass der Streit darüber, welcher wissenschaftlichen Einschätzung wir nun folgen sollten, darin eskalierten, das Wissenschaftler:innen als Expert:innen hochgejazzt und zum Teil gegeneinander aufgebaut wurden, als wenn es nicht eigentlich um die Frage ging, was an Einschränkungen eine demokratische Gesellschaft zu akzeptieren bereit ist und wie mit den Folgen umzugehen sei.

Die Folge all des für Einzelne gar nicht mehr zu überblickenden Wissens wäre also, entweder blindlings die politische Entscheidungsgewalt an Wissenschaftler:innen/Expert:innen abzugeben oder aber jede Erkenntnis so lange mit „alternativem Wissen“ anzugreifen, bis die Menschen bereit sind, nur noch gefühlten Wahrheiten zu vertrauen. Und letzteres wäre zwingend alles andere als noch einen Wissensgesellschaft.

Was schlägt Bogner also vor? Insbesondere für politische Bildung aber auch für unsere Medien wäre der Hinweis, dass die Sphären des Politischen und des Wissens wieder strikter voneinander geschieden sein sollten, besonders bedenkenswert. Gerade hier wird ja nun vermittelt, was denn die Aufgaben und gesellschaftlichen Funktionen des Einen wie des Anderen sind. Und ganz ehrlich, bei zahllosen Unterhaltungen und Debatten mit unterschiedlichsten Menschen lässt sich schon der Eindruck gewinnen, dies sei kein Allgemeinwissen (mehr).

Für die ganzen Debatten darüber, wie die Demokratie noch zu retten sei, erscheint mir dies ein kleiner hilfreicher Mosaikstein zu sein. Wer sich darüber Gedanken macht, wie wir leben wollen und was wir für gut und richtig halten, muss sich natürlich mit dem eigenen Weltbild auseinandersetzen. Für die Meinungsbildung müssen wir auf gemeinsames, gesichertes Wissen zurückgreifen – als Handwerkszeug und eben nicht als Meinungsersatz. Das ist offensichtlich so banal wie grundlegend.

Kurz und gut: Schmaler Band mit ganz viel Anregung. Lesen!

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