Sonntag, 17. August 2025

Phil Klay: Den Sturm ernten


„ABEL 1986-1999

Mein Dorf befand sich auf einem kleinen Hügel am Fluss, an dessen Ufern nichts als Sand lag.“ (Seite 9)

Dass Krieg und die Gewalt, die er hervorbringt, von Übel sind und nichts als Elend und zerstörte Menschenleben hinterlässt, wissen wir – theoretisch. Was diese Gewalt noch bevor Kriegshandlungen einsetzen und auch jenseits der Kriegsschauplätze, die es in die Nachrichten schaffen, aber alles beinhaltet, wie sie Herzen und Köpfe vergiftet, das scheint uns unbegreiflich und sehr weit weg. Dieser Roman schickt uns direkt in die vermeintliche Vorhölle, obwohl die Hölle schon längst ausgebrochen ist.

Phil Klay, ein US-amerikanischer Ex-Soldat, erzählt anhand der Lebenswege verschiedener Charaktere von der schier ausweglosen Lage in einer kolumbianischen Grenzregion, in der vermutlich niemand, auch nicht die Beteiligten, sagen kann, wer hier auf der guten oder der bösen Seite steht. Und was Gut und Böse hier überhaupt noch für eine Aussagekraft hätten.

Da ist der kleine Junge aus einem Dorf, der damit aufwächst, dass Jahr für Jahr mal die eine, mal die andere Kampftruppe im Dorf auftaucht, Leute erschießt, andere zwangsrekrutiert und wieder abzieht. Die Bevölkerung hat sich, wenn sie nicht ohnehin irgendwann in eine ruhigere Region flüchtet, dem für sie unerklärlichen Machtspiel längst ergeben. Es geht nicht um sie, nicht um ihre Belange, Interessen oder ihr Wohlbefinden, auch wenn jede der kämpfenden Seiten irgendwie behauptet.

Wie wird der Lebensweg des Jungen aussehen? Wird er mangels anderer Perspektiven auch irgendwann bei einer der Gruppen anheuern? Oder wird er zwangsrekrutiert, ideologisiert und gehirngewaschen, bis er selbst all die wirren Phrasen glaubt, die da alle Seiten vor sich hertragen?

Oder die amerikanische Journalistin, die so viel auf Kriegsschauplätzen dieser Welt unterwegs war, dass ein Leben in der friedlichen Welt, in der wir, die wir dieses Buch in aller Ruhe lesen können, inzwischen weit ihrer eigenen Vorstellungskraft liegt. Darum zieht es sie unnachgiebig ins nächste Krisengebiet. Die stille Hoffnung, mit ihrer Berichterstattung auch nur irgendwas bewirken zu können, geht ihr nicht aus dem Kopf. Dazu muss sie keine Aktivistin sein, nur an die Macht der Wahrheit glauben. Aber was bedeutet die Wahrheit, wenn sie mit ihrer Arbeit selbst von verschiedenen Seiten instrumentalisiert wird und ihr Bericht eben auch echte Gefahr für reale Menschen bedeutet?

Da wäre auch noch die Tochter eines kolumbianischen Armeegenerals (beim Dienstrang bin ich mir gerade nicht sicher), die wohlbehütet als Privilegierte des Systems aufwächst, aber dennoch Gutes tun will. Also wendet sie sich einem Projekt zu, dass wissenschaftliche Interviews führen will – mitten im Kriegsgebiet, das gar nicht offiziell so bezeichnet werden muss, weil dieser Krieg so viele Seiten hervorgebracht hat, dass ohnehin kaum noch jemand durchblickt. Mit ihrer prominenten Herkunft bringt sie Menschen in Gefahr, denen sie eigentlich eine Stimme geben wollte – und kann das nicht mal klar erkennen. Ihr bisherigen Leben jedenfalls war von all dem in diesem Dschungel mindestens so weit entfernt wie wir als Leser:innen.

Ein paar Figuren mehr spielen mit ihrem Weg in diesem Roman eine Rolle. Sie kommen abwechselnd zu Wort. Und wenig überraschend sind diese Leben am Ende miteinander verwoben. Nur dass es hier kein versöhnliches Ende gibt oder auch nur geben kann.

Es bleibt die alte Wahrheit, dass Krieg und Gewalt solange weiter stattfinden werden, wie es Gruppierungen oder Einzelne gibt, die in irgendeiner Form davon profitieren. Ob es der Soldat ist, der seine Befehle befolgt und mit dem Ergebnis seiner Karriere seine Familie gut versorgen will, ob es Politiker:innen sind, die machtpolitische oder einfach nur wirtschaftliche Interessen verfolgen, ob es Kämpfer:innen aus einfachsten Verhältnissen sind, denen ideologische Erzählungen einen Sinn zu geben scheinen, wo es doch oft genug einfach nur ums Überleben geht – oder ob es eine Großmacht wie die USA ist, die Konflikte anderswo nutzt, um ihren Status als Global Player unter Beweis zu stellen und ganz nebenher auch gute Geschäfte zu machen, ob mit Waffen oder Rohstoffen oder was auch immer.

Man sollte meinen, es gäbe genügend Antikriegsgeschichten, ob in Büchern oder Filmen. Anscheinend reicht all das aber immer noch nicht aus – gegen die Hilflosigkeit und die Resignation.

Klays Geschichte ist hart und er erzählt sie mit aller Härte. Inhaltlich und sprachlich hat dieses Buch in jedem Fall ein großes Publikum verdient. Zumal es Klay gelingt, den Menschen, von denen er erzählt, angemessen zu begegnen. Niemand ist per se und von Natur aus böse. Aber die Welt, in der diese Figuren leben und zu überleben versuchen, formt sie entscheidend. Und daran haben wiederum andere Menschen, ob in guter oder welcher Absicht auch immer, regen Anteil.

Kurz und gut: Die Story schmerzt und ist ungeschönt erzählt. Aber so ist Krieg. Lesen!

(Übersetzung: Hannes Meyer)

#lesesommer #roman #philklay #suhrkamp #kolumbien #krieg #gewalt #menschenleben #überleben #imperialismus #nowar #lesen #leselust #lesenswert #leseratte #bücher #literatur

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen