Mittwoch, 15. Oktober 2025

Douglas Stuart: Shuggie Bain


„Der Tag war mau.“ (Seite 11)

Puh, diese Geschichte ist wirklich durch und durch trostlos. Schier unglaublich ist es, dass die Figuren dennoch auch ihre Momente der kleinen Hoffnung haben. Und, dieses Buch kann man nicht einfach wieder weglegen.

Shuggie ist ein kleiner, zierlicher Junge, der nicht so recht in das raue Glasgow der 80er Jahre passen will. Er lebt mit seiner Mutter, Schwester und Bruder als jüngstes Kind der Familie zusammen.

Als Familie würden das die beiden Ältesten vermutlich eher nicht beschreiben. Zu lange schon erleben und erdulden sie den anhaltenden Abstieg dieser Schicksalsgemeinschaft. Dass die Kinder unterschiedliche Väter haben, ist dabei das geringste Problem. Dass keiner von ihnen da ist, schon eher.

Agnes, die Mutter der drei, steht im Mittelpunkt des Romans. Das widerspricht insofern nicht dem Titel des Buches, der den Fokus auf Shuggie legt, weil sich das Leben der Kinder um ihre Mutter dreht.

Als junge Frau ist Agnes ins Leben gestartet mit großen Plänen, Hoffnungen und Erwartungen. Allein Zeit und Ort und vermutlich das Umfeld ließen ihr wenig Spielraum. Als auffallende Schönheit, die sich herauszuputzen weiß und das auch in ihren dunkelsten Stunden noch durchzieht, fällt sie auf. Männer umschwirren sie und sie wird die Hoffnung bei jedem nicht los, dass sich noch ein besserer findet. Letztlich findet sie sich ausgenutzt und abgeschoben in einer heruntergekommenen Bergarbeitersiedlung außerhalb der Stadt wieder.

Hier bewohnt die Familie zwar ein Haus, aber die seit langem geschlossene Zeche hat nichts als Armut und Hoffnungslosigkeit hinterlassen. In einem ihrer kurzen Momente von Aktivismus putzt Agnes Haus und Garten so gut heraus, wie es nun mal so geht. Die Nachbarinnen hassen sie ohnehin. Es ist die irgendwie ewige Geschichte der Alleinstehenden, die allein deswegen schon von den Männern wie Freiwild begafft und von deren Frauen argwöhnisch beäugt wird.

Was hier alle dann doch verbindet und sich zugleich durch Agnes Leben zieht, ist der Suff. Die offenbar einzige greifbare Möglichkeit, dem Hier und Jetzt zu entfliehen. Die drei Kinder kennen all die Phasen des Alkoholismus und richten ihr Leben danach aus. Die älteren Beiden haben längst verstanden, dass sie nur sich selbst werden retten können. Die Schwester wechselt gleich den Kontinent, heiratet dort und bleibt fernab. Shuggies Bruder braucht etwas länger, sieht aber auch zu, dass er auf eigenen Beinen steht und Abstand gewinnt. Einzig Shuggie ist für eine derartige Flucht noch zu klein. So lastet all die Verantwortung auf seinen schmalen Schultern. Das er sie nicht wird tragen können, ist so absehbar wie nur was.

Agnes Zustand bestimmt sein Leben. Er ist es, der den Zustand seiner Mutter mit Argusaugen bewacht und alles danach auszurichten lernt. Er holt das Geld vom Amt, er sorgt dafür, dass nicht alles Geld in Bierdosen fließt und wenigsten etwas zum Essen im Haus ist.

Auch dazu gehört, dass Agnes Shuggie eine Unbeugsamkeit lehrt, die ihm vermutlich das Leben retten wird. In ihren größten Niederlagen setzt sie sich selbst volltrunken noch an den Schminktisch, macht sich zurecht und zeigt der Welt, was eine Lady ist. Und wenn sie so loslegt, möchte man beim Lesen Beifall klatschen.

Diese Lektion, sich nicht auch noch von den anderen runtermachen zu lassen, braucht der kleine Shuggie, der es als Sohn einer alleinerziehenden Alkoholikerin schon schwer genug hätte. Dass er obendrein für seine sanfte Art, das „feminine“ Auftreten von den Kindern in der Nachbarschaft regelrecht gemobbt wird, ahnt Agnes allenfalls.

Es gibt die kleinen Momente im Roman, in denen kurz Hoffnung aufschimmert. Agnes versucht tatsächlich trocken zu werden. Aber wie soll das klappen in einem Umfeld, dass sie fallen sehen will, damit sie genauso tief am Boden liegt wie alle um sie herum?

Douglas Stuart braucht keine dramatische Sprache, um die Trostlosigkeit des Alltags einzufangen. Die klaren, unverblümten Beschreibungen fordern beim Lesen einiges. Und trotzdem lässt sich diese Geschichte einfach nicht beiseitelegen. So erging es zumindest mir.

Ich denke, es wird nicht lange brauchen, dass auch der zweite Roman des Autors, der inzwischen auf Deutsch vorliegt, ebenfalls auf meinem Lesestapel landen wird. 😉

Kurz und gut: Lesen, einfach nur lesen!

(Übersetzung: Sophie Zeitz)

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