Donnerstag, 6. Oktober 2016

Paco Roca: Die Heimatlosen



Irgendwie schreibt dann doch das Leben die dramatischsten Geschichten. Wie diese von Miguel Ruiz, einem republikanischem Kämpfer aus dem Bürgerkrieg gegen das faschistische Franco-Regime.

Mit Paco Rocas Bearbeitung der Erinnerungen von Ruiz entdeckte ich einmal mehr ein Kapitel europäischer Geschichte, von dem ich bisher kaum eine Vorstellung hatte. Das in Form einer Graphic Novel, eines Comics also, zu entdecken, bestätigt einmal mehr die Möglichkeiten, die in diesem Medium stecken – weit über bunte Bildergeschichten für Kinder hinaus.

Die Erzählung setzt ein mit der Flucht republikanischer Kämpfer vor dem vorrückenden Franco-Regime im März 1939. Miguel Ruiz und einigen seiner Kameraden gelingt es gerade noch auf das letzte Schiff zu kommen, das den Hafen von Alicante verlassen kann. Tausende aber bleiben zurück.

Von Rettung kann allerdings für diejenigen, die es auf das Schiff geschafft haben, auch nur schwer die Rede sein. Gerade so erreichen sie erreichen sie den Hafen von Oran an der algerischen Küste, werden aber von den dortigen Behörden zunächst nicht von Bord gelassen. Statt Freiheit im unfreiwilligen Exil erleben die Spanienkämpfer schließlich Gefangenschaft in Arbeitslagern. Als Spielball der Geschichte gestehen ihnen die Außenposten des Vichy-Regimes am Ende nicht einmal den Status von Kriegsgefangenen zu.

Erst die Landung der Alliierten in Nordafrika befreit sie endlich aus diesem trostlosen Schicksal und stellt sie vor die Entscheidung, an der Seite auch ihrer bisherigen französischen Peiniger nun gegen die Deutschen und den Faschismus kämpfen zu können. Als Teil der französischen Befreiungsarmee unter de Gaulle formieren sie sich schließlich zu einer vorwiegend spanisch besetzen Einheit in Bataillonsstärke. Nach der Landung der Alliierten nehmen sie nun an vorderster Front an der Befreiung Frankreichs teil und bilden sogar die Spitze bei der Befreiung von Paris.

In all den Kriegswirren treibt diese spanischen Kämpfer_innen an, dass der Sieg über Hitler-Deutschland auch den Sieg über Franco und sein faschistisches Regime in Spanien bringen soll. Doch mehr und mehr wird ihnen klar, dass außer ihnen offenbar niemand ein Interesse daran hat, auch Spanien zu befreien.

Miguel Ruiz versucht einen Weg zurück in seine Heimat zu finden, muss aber feststellen, dass ihm der durch die langlebige Franco-Diktatur verwehrt bleibt. Er lässt sich letztlich in Frankreich nieder, nimmt ein einfaches, arbeitsreiches Leben auf und schweigt so lange über sein Leben, bis er es selbst vergessen zu haben scheint.

Paco Roca verbindet zwei Erzählebenen miteinander. Im Hier und Heute versucht der Zeichner Paco aus Spanien den Überlebenden Miguel Ruiz dazu zu bringen, sich zu erinnern. In ihren Gesprächen wird deutlich, wie sehr ein Menschenleben zwischen die großen Mühlräder der Geschichte geraten kann. In den Rückblenden werden die verschiedensten Stationen auf Miguels Weg lebendig.

Dieser dicke Wälzer hat mich zutiefst berührt. Die Story, die Aufteilung der Bilder, die Zeichnungen und auch die zeichnerisch gestaltete Atmosphäre in jeder einzelnen Szene – es stimmt wirklich alles.

Puh, was soll ich da noch groß sagen? Lesen, Leute! Entdeckt Paco Roca, wenn ihr ihn nicht schon kennt.

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