„In der spätkapitalistischen Krise des Begehrens schlägt der
libidinöse Leistungszwang in Lustlosigkeit um. Der Glaube an die Verheißungen
der sexuellen Liberalisierung erscheint zerrüttet. Was verbleibt ist
allumfassende Sinnleere. Dieses Narrativ findet sich im Werk Michel
Houellebecqs.“ (Seite 5)
Die Frage, warum sie den Roman nicht einfach nur als Roman
liest, beantwortet die junge Philosophin, Queertheoretikerin und
Literaturwissenschaftlerin mit dem Verweis auf die Wirkkraft des Werkes, das in
Frankreich just an dem Tag erschien, als im Januar 2015 von islamistischen
Terroristen der Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo verübt wurde.
Es reiht sich ein in einen Diskurs, der in Frankreich von
den Neuen Philosophen zu den Neuen Rechten führte, vor dem Hintergrund so
gesellschaftspolitischer Großereignisse wie der Massenproteste gegen die
Homo-Ehe. Nicht zuletzt sorgt der Autor selbst immer wieder für Skandale mit
Äußerungen, die mit Ressentiments spielen und sein Werk aus der reinen Kunst,
die nichts anderes sein will, herausstellen.
Auf knapp 90 Seiten stellt Jule Jakob Govrin viele Bezüge
her, ordnet ein und sortiert – parteiisch, wie sie gleich zu Beginn ihrer
Studie selbst schreibt. Als Leser, der nicht viel Ahnung von den in Frankreich
laufenden Diskursen hat, entsteht für mich ein beängstigendes Bild der
Nachbarrepublik.
Automatisch muss ich an das gesellschaftliche Klima in
Deutschland denken. Wie oft werden auch hier wieder Nation und Familie bemüht,
die dann natürlich ausschließlich heteronormativ gedacht wird – als Angstreaktion
auf ankommende Flüchtlinge. Jeder Vorfall, jede Straftat mit Beteiligung von
geflüchteten Menschen gerät zum Beleg dafür, „dass die ja so sind“. Noch der
letzte Sexist meint, er könne nun Rumpöbeln und brennende Flüchtlingsunterkünfte
mit der Rettung der emanzipierten, deutschen Frau rechtfertigen. Obwohl, und
die persönliche Bemerkung will ich mir nicht verkneifen, reichlich klar und
offen zutage liegt, wer den Hass der Wutbürger_innen abbekommen wird, wenn die
Grenzen nur mal dicht wären und keine Menschen mehr zu uns flüchten könnten.
Govrins Studie ist – das liegt in der Natur der Sache –
keine ganz leichte Lektüre. Ich will sie aber gern allen ans Herz legen, die
nach dem Zuklappen von Houellebecqs Roman das Buch noch nicht ganz weglegen
können. Lest, geht mit offenen Augen durch die Welt und disktutiert mit anderen
darüber!
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