Dienstag, 6. Dezember 2016

Jule Jakob Govrin: Sex, Gott und Kapital. Michel Houellebecqs Unterwerfung zwischen neoreaktionärer Rhetorik und postsäkularen Politiken



„In der spätkapitalistischen Krise des Begehrens schlägt der libidinöse Leistungszwang in Lustlosigkeit um. Der Glaube an die Verheißungen der sexuellen Liberalisierung erscheint zerrüttet. Was verbleibt ist allumfassende Sinnleere. Dieses Narrativ findet sich im Werk Michel Houellebecqs.“ (Seite 5)

Die Frage, warum sie den Roman nicht einfach nur als Roman liest, beantwortet die junge Philosophin, Queertheoretikerin und Literaturwissenschaftlerin mit dem Verweis auf die Wirkkraft des Werkes, das in Frankreich just an dem Tag erschien, als im Januar 2015 von islamistischen Terroristen der Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo verübt wurde.

Es reiht sich ein in einen Diskurs, der in Frankreich von den Neuen Philosophen zu den Neuen Rechten führte, vor dem Hintergrund so gesellschaftspolitischer Großereignisse wie der Massenproteste gegen die Homo-Ehe. Nicht zuletzt sorgt der Autor selbst immer wieder für Skandale mit Äußerungen, die mit Ressentiments spielen und sein Werk aus der reinen Kunst, die nichts anderes sein will, herausstellen.

Auf knapp 90 Seiten stellt Jule Jakob Govrin viele Bezüge her, ordnet ein und sortiert – parteiisch, wie sie gleich zu Beginn ihrer Studie selbst schreibt. Als Leser, der nicht viel Ahnung von den in Frankreich laufenden Diskursen hat, entsteht für mich ein beängstigendes Bild der Nachbarrepublik.

Automatisch muss ich an das gesellschaftliche Klima in Deutschland denken. Wie oft werden auch hier wieder Nation und Familie bemüht, die dann natürlich ausschließlich heteronormativ gedacht wird – als Angstreaktion auf ankommende Flüchtlinge. Jeder Vorfall, jede Straftat mit Beteiligung von geflüchteten Menschen gerät zum Beleg dafür, „dass die ja so sind“. Noch der letzte Sexist meint, er könne nun Rumpöbeln und brennende Flüchtlingsunterkünfte mit der Rettung der emanzipierten, deutschen Frau rechtfertigen. Obwohl, und die persönliche Bemerkung will ich mir nicht verkneifen, reichlich klar und offen zutage liegt, wer den Hass der Wutbürger_innen abbekommen wird, wenn die Grenzen nur mal dicht wären und keine Menschen mehr zu uns flüchten könnten.

Govrins Studie ist – das liegt in der Natur der Sache – keine ganz leichte Lektüre. Ich will sie aber gern allen ans Herz legen, die nach dem Zuklappen von Houellebecqs Roman das Buch noch nicht ganz weglegen können. Lest, geht mit offenen Augen durch die Welt und disktutiert mit anderen darüber!


#leseherbst #sachbuch #julejakobgovrin #editionassemblage #michelhouellebecq #europa #frankreich #islam #debatte #geschlechter #sex #zeitgeschehen #politik #literatur #lesen #leselust #bücher

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen