Montag, 5. Dezember 2016

Michel Houellebecq: Unterwerfung



Hier nun also ein Paradebeispiel für die literarische Variante des „das muss man doch mal sagen dürfen“.

Ich muss ja zugeben, dass ich den Roman von Houellebecq mit etwas Widerwillen gekauft habe und eigentlich hauptsächlich, weil mich die Studie „Sex, Gott und Kapital“ von Jule Govrin dazu interessierte. Die Berichterstattung um das Erscheinen des Buches und skandalumwehte Hype hatten mich schon ziemlich genervt und ließen wenig Vorfreude auf die Lektüre aufkommen.

Unvoreingenommen begegnen konnte ich mich dem aber weder aufgrund der Selbstinszenierung des Autors noch des gesellschaftlichen Klimas, in dem das Buch nun einmal erschien. Dies sei schon einmal vorweg geschickt.

Im Frankreich der nahen Zukunft, so die Story, erringt ein zunächst moderat wirkender muslimischer Kandidat die französische Präsidentschaft. Es folgt ein zügiger Umbau der Gesellschaft nach islamischen Prinzipien, der nicht ohne Gewalt und Gegengewalt von statten geht.

Die Hauptfigur Francois ist ein mittelalter, alleinstehender Akademiker, der sich den Entwicklungen nicht widersetzen kann. Seine Auseinandersetzung mit den dramatischen Veränderungen, sein Verhalten dazu, soweit die Story.

Francois ist ein ziemlich widerlicher Typ - vereinsamt, beziehungsunfähig und –unwillig, sexuell frustriert, mittelalt, weiß und lebenssatt. Als Universitätsdozent macht er einen Job, der ihm eigentlich nicht viel gibt. Sein Highlight ist es offenbar, zu Beginn jedes Semesters eine Affäre mit einer neuen Studentin zu beginnen, die dann auch mit Ablauf des Studienjahres wieder endet.

Die Geschehnisse in der realen Welt vor seiner Tür bringen ihn schließlich dazu, sich vor dem Chaos des Regierungswechsels in ein Kloster zurückzuziehen, wo ihm allerdings keine Erleuchtung zu Teil wird.

Zurück in Paris erlebt er einerseits, dass die jungen Frauen ihre körperlichen Reize in der Öffentlichkeit verhüllen, während ihm andererseits die Möglichkeit offeriert wird, mit einer Stellung im neuen, islamischen System zugleich willige Frauen quasi zugeteilt zu bekommen, die ihn allein aufgrund dieser Stellung schon anbeten würden. Er brauchte nur zum Islam zu konvertieren.

In seinen Äußerungen und nicht zuletzt in seiner Rede zur Annahme des Frank-Schirrmacher-Preises in diesem Jahr macht Houellebecq immer wieder deutlich, dass er selbst seinen Roman nicht als Fiktion, nicht als literarisches Was-wäre-wenn verstanden wissen will. Europa – die westliche Welt – ist dekadent, verweichlicht und nicht mehr lebenswert. Schuld sind offenbar Individualismus, Feminismus und alles, was herkömmliche, hierarchische Gesellschaftsstrukturen in den letzten Jahrzehnten aufgebrochen hat.

Er beschreibt es als unausweichlich, dass diese verkommene Gesellschaft sich einem in seiner traditionellen, reaktionären Form potenteren Islam ergibt. Damit schließt er sich nicht nur den Zustandsbeschreibungen unserer Welt an, wie sie Rechtspopulisten leider viel zu erfolgreich verbreiten, zugleich breitet er auch noch jedes antimuslimische Klischee aus, damit das Feindbild auch klar umrissen ist.

Das Bittere daran ist, dass dieses rechtsgewalkte Altmännergeschwurbel mitten aus dem Bildungsbürgertum herausragt und bei allen kleinen und großen Rechtrucken der letzten Zeit die gesellschaftlichen Koordinaten wieder ein Stück zu verschieben hilft. „Das muss man doch mal sagen dürfen“ ist eben kein reines Pegida-Phänomen mehr, das auf die Straßen Dresdens begrenzt ist. Wir fanden es in Paris bei den großen Demonstrationen gegen die Homo-Ehe, bei den Präsidentschaftswahlen in Österreich und schon länger in Ungarn – um nur wenige der viel zu vielen Beispiele aufzuzählen.

Dass, auch dies will ich gern schreiben, Houellebecq sein Handwerk als Autor versteht, ist keine Frage. Der Roman ist bestens lesbar, ohne allzu leichte Kost zu sein. Seinen Erfolg finde ich aber dennoch und umso mehr erschütternd.

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