Hier nun also ein Paradebeispiel für die literarische
Variante des „das muss man doch mal sagen dürfen“.
Ich muss ja zugeben, dass ich den Roman von Houellebecq mit
etwas Widerwillen gekauft habe und eigentlich hauptsächlich, weil mich die
Studie „Sex, Gott und Kapital“ von Jule Govrin dazu interessierte. Die
Berichterstattung um das Erscheinen des Buches und skandalumwehte Hype hatten
mich schon ziemlich genervt und ließen wenig Vorfreude auf die Lektüre
aufkommen.
Unvoreingenommen begegnen konnte ich mich dem aber weder
aufgrund der Selbstinszenierung des Autors noch des gesellschaftlichen Klimas,
in dem das Buch nun einmal erschien. Dies sei schon einmal vorweg geschickt.
Im Frankreich der nahen Zukunft, so die Story, erringt ein
zunächst moderat wirkender muslimischer Kandidat die französische
Präsidentschaft. Es folgt ein zügiger Umbau der Gesellschaft nach islamischen
Prinzipien, der nicht ohne Gewalt und Gegengewalt von statten geht.
Die Hauptfigur Francois ist ein mittelalter, alleinstehender
Akademiker, der sich den Entwicklungen nicht widersetzen kann. Seine
Auseinandersetzung mit den dramatischen Veränderungen, sein Verhalten dazu, soweit
die Story.
Francois ist ein ziemlich widerlicher Typ - vereinsamt,
beziehungsunfähig und –unwillig, sexuell frustriert, mittelalt, weiß und
lebenssatt. Als Universitätsdozent macht er einen Job, der ihm eigentlich nicht
viel gibt. Sein Highlight ist es offenbar, zu Beginn jedes Semesters eine Affäre
mit einer neuen Studentin zu beginnen, die dann auch mit Ablauf des
Studienjahres wieder endet.
Die Geschehnisse in der realen Welt vor seiner Tür bringen ihn
schließlich dazu, sich vor dem Chaos des Regierungswechsels in ein Kloster zurückzuziehen,
wo ihm allerdings keine Erleuchtung zu Teil wird.
Zurück in Paris erlebt er einerseits, dass die jungen Frauen
ihre körperlichen Reize in der Öffentlichkeit verhüllen, während ihm
andererseits die Möglichkeit offeriert wird, mit einer Stellung im neuen,
islamischen System zugleich willige Frauen quasi zugeteilt zu bekommen, die ihn
allein aufgrund dieser Stellung schon anbeten würden. Er brauchte nur zum Islam
zu konvertieren.
In seinen Äußerungen und nicht zuletzt in seiner Rede zur
Annahme des Frank-Schirrmacher-Preises in diesem Jahr macht Houellebecq immer
wieder deutlich, dass er selbst seinen Roman nicht als Fiktion, nicht als
literarisches Was-wäre-wenn verstanden wissen will. Europa – die westliche Welt
– ist dekadent, verweichlicht und nicht mehr lebenswert. Schuld sind offenbar
Individualismus, Feminismus und alles, was herkömmliche, hierarchische
Gesellschaftsstrukturen in den letzten Jahrzehnten aufgebrochen hat.
Er beschreibt es als unausweichlich, dass diese verkommene
Gesellschaft sich einem in seiner traditionellen, reaktionären Form potenteren
Islam ergibt. Damit schließt er sich nicht nur den Zustandsbeschreibungen unserer
Welt an, wie sie Rechtspopulisten leider viel zu erfolgreich verbreiten,
zugleich breitet er auch noch jedes antimuslimische Klischee aus, damit das
Feindbild auch klar umrissen ist.
Das Bittere daran ist, dass dieses rechtsgewalkte Altmännergeschwurbel
mitten aus dem Bildungsbürgertum herausragt und bei allen kleinen und großen
Rechtrucken der letzten Zeit die gesellschaftlichen Koordinaten wieder ein
Stück zu verschieben hilft. „Das muss man doch mal sagen dürfen“ ist eben kein
reines Pegida-Phänomen mehr, das auf die Straßen Dresdens begrenzt ist. Wir
fanden es in Paris bei den großen Demonstrationen gegen die Homo-Ehe, bei den
Präsidentschaftswahlen in Österreich und schon länger in Ungarn – um nur wenige
der viel zu vielen Beispiele aufzuzählen.
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