Sonntag, 5. August 2018

Adolf Muschg: Heimkehr nach Fukushima



„Trotz aufgeklebter Warnung war der Briefkasten, den Paul Neuhaus eine Woche nicht mehr geleert hatte, mit Reklame verstopft – er war keine Anlaufstelle freudiger Erwartung mehr.“ (Seite 9)

Unter all der unerwünschten Werbung findet Paul Neuhaus, alternder, philosophierender Architekt, einen Brief aus Japan. Freunde, die vor Jahren als junges Paar Deutschland besuchten, laden Paul ins Japan nach der Katastrophe von Fukushima ein. Ein Dorf in der kontaminierten aber wieder mit Einschränkungen freigegebenen Zone radioaktiver Verstrahlung soll wieder besiedelt werden. Um die Ängste der geflüchteten Einwohner vor einer Rückkehr zu beschwichtigen, möchte er, Paul, überlegen, ob er nicht eine Künstlerkolonie gründen könne und wolle. Die solle dann ein sichtbares Zeichen werden für die Wiederbesiedelung.

Paul nimmt die Einladung an, wenn offenbar auch eher aus Neugierde denn aus Überzeugung. Der Roman begleitet ihn auf seiner Reise. Im Gepäck hat Paul einen Band von Adalbert Stifter, dessen Text im Verlauf der Reise immer wieder in den Text eingeflochten wird.

In Japan angekommen, tritt er die Reise nach Fukushima entgegen des ursprünglichen Plans allein mit der jungen Frau Mitsuko. Ihr Mann bleibt aus zunächst unklaren Gründen zurück. Mitsuko dient Paul als Reiseführerin, Dolmetscherin und Begleitung. Erst nach und nach wird ihre Verbindung deutlich zu dem Dorf, um das es geht, zu dem Bürgermeister, der die Idee für die Künstlerkolonie hatte und zum Haus, das dafür zur Verfügung steht.

Beeindruckend fand ich das Aufblättern dieser Vorgeschichte wie auch die Beschreibung der unsichtbar kontaminierten Landschaft. Die Natur scheint unbeschädigt und erobert sich ehemals besiedeltes Gebiet langsam zurück. Wenige Menschen blieben oder kehren als Pendler immer wieder heim. Das Trotzen gegen die Folgen der menschengemachten Katastrophe scheint eine Frage der Ehre zu sein in diesem Land, in dem die Wahrung dieser Ehre höher geschätzt wird als das Risiko und die Gefährdung der Menschenleben.

Weniger erreicht hat mich die Person der Hauptfigur, bei der ich mich bis zum Schluss gefragt habe, was sie dort eigentlich macht. Ich erlebte einen alternden Protagonisten, dessen unkonventionell geführte Ehe offenbar kurz vor der Reise endgültig beendet ist, der so gänzlich ohne eigene Motivation durch die Handlung schlurft. Einzig sein Interesse an der deutlich jüngeren Mitsuko zeugt davon, dass im greisen Gebein noch etwas Leben steckt. Die Liebesszenen schließlich klingen für meinen Geschmack auch genauso nach Altherrenphantasien, wie sie zu diesem mir fremd gebliebenen Paul Neuhaus passen.

Unzugänglich blieb mir ebenso der Grund dafür, dass die Textauszüge von Adalbert Stifter so viel Raum einnehmen. Da mag sicher erschwerend hinzukommen, dass ich mit Stifter selbst nicht viel anfangen kann.

Interessant wiederum fand ich zu entdecken, dass Muschg offenbar eine innig gepflegte Liebe zu Japan pflegt. Dies mag für mich auch die Stärke der Passagen erklären, in denen es um Japan, das Land und auch die Menschen dort geht.

Immer wieder fand ich auch den Erzählstil aufblitzen, der mich im „Roten Ritter“ so großartig unterhalten hat. Für mein Gefühl bleibt „Heimkehr nach Fukushima“ dahinter aber insgesamt deutlich zurück.

Fukushima – die uns immer noch vor Augen stehende, mahnende Katastrophe – und dieses so rätselhafte Japan als Hintergrund für die erzählte Geschichte sprachen mich sofort an und bieten so unglaublich viel Stoff zum Erzählen. Eingelöst davon hat Adolf Muschg für meinen Geschmack hier nur einen Teil. Andere Leser*innen wird das Buch sicher eher erreichen können. Für mich bleibt es nur bei einer bedingten Leseempfehlung.

Einmal mehr geht mein Dank an den C.H. Beck Verlag für das Leseexemplar! ;)

Kurz und gut: Trotz einiger starker Teile hätte ich den Roman wirklich gern mehr gemocht. Liebhaber*innen von Adolf Muschgs Werk werden trotzdem auf ihre Kosten kommen können.

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