Samstag, 18. August 2018

Alexander Münninghoff: Der Stammhalter. Roman einer Familie



„Was ich an einem leeren Nachmittag auf dem Dachboden unseres Hauses in Vooburg fand, brachte mich zum ersten Mal mit den Geheimnissen in Berührung, die mein Leben beherrschen sollten.“ (Seite 10)

Autobiografische Familiengeschichten sind für meinen Geschmack oft genug eine Gratwanderung. Nicht alles, was als Kaffeetischtratsch unterhaltsam wäre und vielleicht auch als spannend durchgeht, ist das dann auch zwischen zwei Buchdeckeln. Was Alexander Münninghoff über seine Familie zu berichten weiß, ist allerdings dann doch so unerhört, dass sich das Aufschreiben für ein größeres Publikum nun wirklich gelohnt hat.

Als vom Großvater auserkorener Stammhalter kam ihm selbst die Rolle des Wahrers der Familientradition, des Verwalters des Vermögens und des Trägers der großartigen Zukunft des Namens Münninghof zu. Allerdings zerbrach die Familie an ihren Geheimnissen und Sturheiten offenbar so nachhaltig, dass der Stammhalter nun dieses Familiendrama vor uns ausbreiten kann.

Dem Großvater gelang es, und da setzt Münninghoffs Erzählung auch ein, als Niederländer in Riga in der Zwischenkriegszeit ein beträchtliches Firmenimperium aufzubauen. Ihm gelang dies mit viel Tatkraft, einer guten Vernetzung unter den Deutschbalten in der Region, besten Verbindungen zur regionalen Oberschicht und einer hinreichenden Portion Skrupellosigkeit.

Zwei Entwicklungen sorgten letztlich dafür, dass dieser Erfolg nicht von Dauer blieb und der Niedergang unausweichlich einsetzte. Die Umwälzungen, die der Zweite Weltkrieg, das Vorrücken der Roten Armee und die Nachkriegsordnung in Europa mit sich brachten, erzwangen die Umsiedelung der Familie zurück in die Niederlanden. Hier konnte „der Alte“ zunächst an seine erfolgreichen Geschäfte anknüpfen. Zu gut war er auch hier vernetzt mit der Politik und schaffte es, sowohl durch die Bedingungen der Besetzung durch Deutschland Geld zu verdienen als auch sich nahtlos in der Zeit des Wiederaufbaus unersetzlich zu machen.

Um all dies für die Zukunft abzusichern und in die nächsten Generationen zu übertragen, hätte es allerdings wohl einer anderen Familie bedurft oder einer anderen Art von Familie. So scheiterte dieser Clan am Ende an sich selbst.

Schon früh wurde deutlich, dass des Großvaters Verhältnis zu seinen eigenen Kindern nicht dazu angetan war, die Familie zusammenzuhalten. Patriarchale Strenge und gleichzeitiges Desinteresse an den Nachkommen sorgten dafür, dass hier kaum Zusammenhalt entstehen konnte. Gleichzeitig forderte er aber unentwegt die Unterwerfung seiner Kinder unter seine Interessen als Oberhaupt der Familie, die letztlich immer geschäftliche waren. So trieb er Alexander Münninghoffs Vater derart in Opposition zu sich, dass der sein Heil in einer Überidentifikation mit den Deutschbalten suchte und sich freiwillig zum Dienst in der SS meldete.

So sehr der Großvater den eigenen Sohn daraufhin verstieß, so konsequent setzte er alles daran, dass sein Enkel, ausgerechnet der Sohn dieses SS-Veteranen, sein Stammhalter würde. Dabei schreckte er nicht davor zurück, die ungeliebte Mutter des Jungen damit zu drangsalieren, dass sie nur als notwendiges Übel in der Familie geduldet wurde. Als sie sich schließlich zur Flucht entschließt, der Krieg ist da schon vorüber, lässt er rechtlich nichts unversucht, des Jungen habhaft zu werden, bis hin zur Entführung.

Nach dem Tod des Alten in den Fünfzigerjahren gelingt es niemandem das wieder erstarkte Firmengeflecht zu übernehmen und weiter erfolgreich zu führen. Neid, Missgunst und eine fast schon ererbte Gefühlskälte sorgen für Entfremdung unter den Kindern und ihrer Familien. Die von Alexander Münninghoff selbst ist mit der Trennung seiner Eltern nachhaltig zerbrochen.

Bemerkens- und lesenswert ist der Blick, den Alexander Münninghoff auf die historischen Entwicklungen wirft. Er kann dies aus der Sicht eines Niederländers tun, dessen Vorfahren nur in der Person seines Vaters direkt mit dem nationalsozialistischen Deutschland verbandelt waren. Sein Großvater blieb Zeit seines Lebens Niederländer, seine Kinder blieben zwischen Riga und den Niederlanden verhaftet und letztlich nur den geschäftlichen Interessen des Alten verpflichtet. Interessant sind Münninghoffs Beschreibungen dieses merkwürdigen Deutschlands während des Krieges und danach, weil sie sowohl auf dem deutschbaltischen Erbe der der Familiengeschichte beruhen aber zugleich auch aus der distanzierten Perspektive dessen, der nach Ende des Krieges in einem Nachbarland aufgewachsen ist.

Nicht weniger interessant ist natürlich die Beschreibung des Innenlebens einer Familie, die schnell sehr reich geworden ist und letztlich doch wieder alles verlor und daran scheiterte, das Erbe der nächsten Generation mitzugeben.

Das alles erzählt Münninghoff in angenehmem, immer wieder selbstironischem Ton, der die Lektüre sehr unterhaltsam macht. Etwas schade finde ich, dass er sein eigenes Erwachsenenleben nur sehr grob skizziert und auf die Verknüpfungen mit den ausführlich vorgestellten Verwandten reduziert. Welche Auseinandersetzungen bedeutete es für ihn, seinen Weg in den Journalismus zu gehen? Wie viel bewusste Abkehr von der Familie war dafür notwendig und möglich? Je dichter die Familiengeschichte an sein eigenes Erwachsenenleben heranrückt, desto weniger gibt er preis. Dies mag auch dem Selbstschutz geschuldet sein. Ich hätte das durchaus spannend gefunden.

Andererseits schreibt zwar das Leben, so will es das Klischee, die spannendsten Geschichten. Aber das Leben passiert trotzdem doch eher selten in Romanform, so dass willkürliche Beschränkungen unumgänglich sind.

Kurz und gut: Was Alexander Münninghoff zu erzählen hat und die Art, wie er das kann und auch macht, ist unterhaltsam, interessant, spannend, erschütternd – und ganz sicher lesenswert!

Dank sage ich dem C.H. Beck Verlag, von dem ich einmal mehr ein kostenloses Leseexemplar erhalten habe. ;)

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