„Die Sonne brach durch einen Pilgerzug aus Wolken und schaute mit
unerbittlichem Auge herab auf das Mississippimeer.“ (Seite 17)
Wenn man eine Reihe Artikel über die Spaltung der amerikanischen
Gesellschaft liest und eine Idee davon gewinnen will, wie die Entwicklung
womöglich weiter verlaufen könnte, dann lohnt sich ein Griff zu diesem 2017 in
den USA erschienen Roman. Ich verrate sicher nicht zu viel, wenn ich jetzt
schon schreibe: Das Buch bietet eine verstörend dystopische Version der
Zukunft.
Am Ende des 21. Jahrhunderts wurde unübersehbare Realität, was das
Amerika von Trump nicht wahrhaben will. Das Klima hat sich radikal gewandelt.
Ein steigender Meeresspiegel lässt weite Küstengebiete untergehen. Die Menschen
müssen sich in einer Welt zurechtfinden, die immer weniger dem ähnelt, was sie
lange für unveränderbar hielten.
Die Spaltung der Gesellschaft führte zu zwei Bürgerkriegen, die
sich unter anderem entlang der Frage entzündeten, wie die Energie der Zukunft
gewonnen werden soll. Alle weiteren Zerwürfnisse zwischen Arm und Reich,
konservativ und liberal, im Umgang mit Migration, Rassismus etc. schwelen
weiter und brechen immer wieder in offenen Kampfhandlungen aus. Dabei steht ein
konservativer, geschrumpfter Süden im Südosten der USA, wie wir sie kennen, dem
Rest des Landes gegenüber.
Aber auch der Rest ist weit entfernt davon, noch Sehnsuchtsort und
Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu sein. Der Status als Weltmacht oder auch
nur als Regionalmacht hat sich erledigt. Andere Länder und Regionen haben die
Führung übernommen, während die USA heillos in innere Konflikte und Kämpfe
verstrickt ist.
Flüchtlingslager, Hoffnungslosigkeit, Hunger, Selbstmordattentate,
Anschläge, rohe Gewalt – Amerikaner gegen Amerikaner – das ist die Realität am
Ende des Jahrhunderts.
Der Roman erzählt die Geschichte einer Flüchtlingsfamilie im
Süden, deren Kinder nach dem unsinnigen Tod des Vaters in einem der zahllosen
Camps aufwachsen. Der Sohn schließt sich den Rebellen an, und die Hauptfigur
Sarat Chestnut wird in ihrem Kampf ums Überleben selbst zur Waffe.
Die Geschichte ist trost- und hoffnungslos durch und durch. Den
Atem anhaltend hab ich beim Lesen zugeschaut, wie das eigentlich Vorhersehbare
erbarmungslos entfaltet. Mein zivilisiertes Wohlstandsgewissen rebellierte,
weil wir doch sehr wohl um die Spirale von Gewalt, Hunger und
Perspektivlosigkeit wissen. Leider agieren die Figuren in der Geschichte
genauso kurzsichtig, rachsüchtig, gewalttätig und irrational wie wir Menschen
offenbar noch immer sind.
Der Roman bleibt immer dicht seiner Hauptfigur auf den Fersen. Die
großen Zusammenhänge liefern den Hintergrund, die Begleitmusik. Intensiv gezeichnet
entfaltet sich das durch und durch vermurkste Leben von Sarat Chestnut. Obwohl
sie selbst das Ausmaß ihres zerstörten Lebens immer klarer sieht, kann und will
sie letztlich nicht mehr umsteuern. Ihr Leben ist eine Warnung in Sachen
Ausweglosigkeit und davor, wozu Menschen ohne Perspektive sich getrieben fühlen
können.
Kurz und gut: Passend für nasskalte, trübe Herbsttage – intensiv,
verstörend, dystopisch und schnörkellos erzählt.
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