Sonntag, 10. März 2019

Goran Vojnović: Vaters Land



„Meine Kindheit endete unversehens an einem ganz gewöhnlichen Frühsommertag des Jahres 1991.“ (Seite 5)

Der elfjährige Vladan freut sich unbändig auf die Sommerferien und auf das Meer. Doch von einem Tag auf den anderen muss die Familie plötzlich ins Landesinnere umziehen. Mehr, als dass dies mit der Arbeit seines Vaters zu tun hat, der Offizier in der jugoslawischen Volksarmee ist, weiß der Junge, der hier seine Geschichte erzählt, lange Zeit nicht.

Er findet sich wieder auf einer Reise durch verschiedene Städte, zunächst in Serbien und schließlich in Slowenien. Während es anfangs darum geht, die Offiziersfamilie in Sicherheit vor möglichen Übergriffen zu bringen, entfremdet sich der eigentlich nur noch abwesende Vater zusehends von seiner Frau. Die zieht sich immer mehr in sich zurück, sodass der doppelt verlassene Vladan um die Aufmerksamkeit seiner Mutter ringt und zugleich mit der verblassenden Erinnerung an einen liebevollen Vater, der seine Familie für seinen Dienst in der Armee verließ.

Die Reise durch das durch Krieg zerbrochene Land endet vorerst in Slowenien. Hier wuchs Vladans Mutter auf, hier leben noch ihre Eltern. Der Junge wächst auf in einem ihm irgendwie unbekannten Land mit einer Sprache, die er erst erlernen muss. Vom geeinten Jugoslawien, in dem seine Eltern sich fanden und verliebten, ist da schon nichts mehr übrig.

In Ljubljana bleibt seine Mutter ein Schatten für Vladan, der ihre Zurückgezogenheit mit demonstrativer Distanz beantwortet. In einer ihm fremd bleibenden Stadt voller fremder Menschen versucht er sich zu behaupten, wird aber nie das Gefühl los, nirgendwohin zu gehören. Der Vater, so teilt ihm seine Mutter eines Tages mit, sei gestorben. Näheres erfährt der Junge nicht.

Erst viele Jahre später, es muss um 2007 herum sein, stößt Vladan als junger Mann im Internet auf den Namen seines Vaters im Zusammenhang mit Kriegsverbrechen. Er wird nach wie vor gesucht, muss also noch am Leben sein. Ohne recht zu wissen, was und wen er zu finden hofft, bricht Vladan auf zu einem Roadtrip in die Vergangenheit.

Goran Vojnović, der 1980 in Ljubljana geboren wurde, erzählt die Geschichte auf verschiedenen Ebenen. Erinnerungen an das abrupte Ende der Kindheit, die Jugendjahre in Slowenien und die Suche des jungen Mannes nach dem verschollenen Vater wechseln sich ab mit Szenen, die weiter in die Geschichte seiner Eltern zurückreichen.

Das alles erzählt Vojnović mit einer intensiven, immer wieder bitter-ironischen Sprache und ohne Angst vor zu lang geratenen Sätzen. Das ist nicht immer angenehm zu lesen, auch weil die Stimmung oft so unglaublich trostlos und düster ist. Die sonnendurchflutete Kindheit endete für Vladan im Frühsommer 1991 unwiederbringlich.

Der Text ist ein eindringliches Zeugnis davon, was Kriege, Bürgerkriege mit Menschen anrichten und für die nachkommenden Generationen hinterlassen. Gemessen daran, was alles an Patriotischem, Heroischem zur Rechtfertigung gern erzählt wird, beantwortet sich die Frage ganz von selbst, was solche Gewalt unter Menschen, die eben noch Nachbarn waren, denn rechtfertigen könnte. Aus Vladans Sicht verspielten diese Kriege um die Vergangenheit seine Zukunft.

Angesichts zunehmender rechter und nationalistischer Rhetorik in zu vielen Ländern braucht es neben den politisch notwendigen Antworten auf solches kurzsichtiges Gebaren immer wieder auch Romane wie diesen, die uns nicht nur daran erinnern, wohin das führen kann, sondern auch, was wir damit für die kommenden Generationen verspielen.

Kurz und gut: Das ist keine Bettlektüre, aber lohnenswert für alle, die sich Sorgen um unsere Zukunft machen. Dazu gehört es auch, die jüngste Geschichte nicht aus den Augen zu verlieren.

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