Sonntag, 3. März 2019

Yann Martel: Die Hohen Berge Portugals



„Tomás beschließt, zu Fuß zu gehen.“ (Seite 9)

Tomás ist die erste von drei Hauptfiguren und führt uns im ersten Teil des Romans in die Hohen Berge Portugals. Das tut er aber keineswegs zu Fuß, sondern mit diesem komischen, neuartigen Ding – einem Automobil. Es ist 1904; solch ein Gefährt ist also ein echter Hingucker. Tomás hat natürlich keine Ahnung, wie er dieses Monster bedienen soll. Andererseits gibt es in dieser Gegend aber so wenig Verkehr, dass ihm genug Zeit zum Üben bleibt.

Dieser erste Teil des Buches ist „Heimatlos“ überschrieben und endet, trotz aller herrlich komischen Momente während der Reise, tragisch. Tomás war als frischer Witwer losgezogen, um seiner Trauer zu entfliehen und ein verschollenes altes Kruzifix wiederzufinden, auf das er in alten Texten gestoßen war. In einem gottverlassenen Kaff in den Hohen Bergen wird er fündig. Ein kleiner Junge aus dem Dorf bezahlte seine Neugierde auf das Automobil mit dem Leben, Tomás seine Reise mit der Schuld, den Jungen ungewollt überfahren zu haben.

„Heimwärts“ heißt der zweite Teil des Romans. Wir finden uns wieder in Portugal in der Silvesternacht, die das Jahr 1939 einläutet. Ein alter Arzt sitzt in seiner Pathologie und wird in einem Traum von seiner verstorbenen Frau heimgesucht. Die Heimsuchung besteht aus einem langen, langen Monolog über den Glauben und die Nähe von den Romanen Agatha Christies zur Bibel. Aber auch eine alte Frau taucht auf – aus einem Dorf in den Hohen Bergen. Der Arzt solle den Leichnam ihres verstorbenen Ehemanns untersuchen. Dabei erzählt sie aus ihrem Leben in dem Dorf.

Im letzten Teil „Heimat“ schließlich sind wir in der Gegenwart angekommen, in der ein alter Senator aus dem fernen Kanada sein Leben dort aufgibt, um in die Heimat seiner Eltern überzusiedeln. Er spricht die Sprache nicht, kennt weder Land noch Leute, und adoptiert kurz zuvor Odo, einen Affen. Mit ihm gemeinsam landet er – in eben dem uns nun schon bekannten Dorf in den Hohen Bergen Portugals.

Yann Martel verwebt alle drei Erzählstränge geschickt und unterhaltsam miteinander. Da ist das Dorf, in das die Erzählung immer wieder zurückkehrt. Alle drei Hauptfiguren sind Witwer. Ein Affe spielt in allen drei Teilen eine wichtige Rolle – ja, ich habe nur einen davon erwähnt. 😉

Wo kommen wir her? Das ist die Frage, die sich durch das ganze, philosophisch angelegte Buch zieht. Und die drei Hauptfiguren fragen sich dies in existenziellen Momenten. Für Tomás hängt die Frage an dem Kruzifix, das vor langer Zeit in Afrika hergestellt wurde; für den Pathologen drängt sie sich durch seinen surrealen Traum auf; beim ehemaligen Senator spielt nicht mehr der Glauben die Rolle für diese Frage. Wie zur Antwort lebt er mit einem Affen, unserem evolutionären Vorfahren zusammen.

Mich hat auch dieser Roman von Yann Martel gefesselt und begeistert. Schon mit „Schiffbruch mit Tiger“ bestand ja kein Zweifel, dass er ein großartiger Erzähler ist. Ihm gelingen tragikomische Momente ebenso wie erschütternde und nachdenkliche Szenen. Das Ganze ist gelungen komponiert. Nix zu meckern. 😉

Kurz und gut: Ein wunderbar erzählter Roadtrip durch die Zeit in die Hohen Berge Portugals, philosophische Reflexionen und atmosphärisch herrlich erzählte Momente inklusive. Lesen!

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