„Tomás beschließt, zu Fuß zu gehen.“ (Seite 9)
Tomás ist die erste von drei Hauptfiguren und führt uns im ersten
Teil des Romans in die Hohen Berge Portugals. Das tut er aber keineswegs zu Fuß,
sondern mit diesem komischen, neuartigen Ding – einem Automobil. Es ist 1904; solch
ein Gefährt ist also ein echter Hingucker. Tomás hat natürlich keine Ahnung,
wie er dieses Monster bedienen soll. Andererseits gibt es in dieser Gegend aber
so wenig Verkehr, dass ihm genug Zeit zum Üben bleibt.
Dieser erste Teil des Buches ist „Heimatlos“ überschrieben und
endet, trotz aller herrlich komischen Momente während der Reise, tragisch. Tomás
war als frischer Witwer losgezogen, um seiner Trauer zu entfliehen und ein
verschollenes altes Kruzifix wiederzufinden, auf das er in alten Texten
gestoßen war. In einem gottverlassenen Kaff in den Hohen Bergen wird er fündig.
Ein kleiner Junge aus dem Dorf bezahlte seine Neugierde auf das Automobil mit
dem Leben, Tomás seine Reise mit der Schuld, den Jungen ungewollt überfahren zu
haben.
„Heimwärts“ heißt der zweite Teil des Romans. Wir finden uns wieder
in Portugal in der Silvesternacht, die das Jahr 1939 einläutet. Ein alter Arzt
sitzt in seiner Pathologie und wird in einem Traum von seiner verstorbenen Frau
heimgesucht. Die Heimsuchung besteht aus einem langen, langen Monolog über den
Glauben und die Nähe von den Romanen Agatha Christies zur Bibel. Aber auch eine
alte Frau taucht auf – aus einem Dorf in den Hohen Bergen. Der Arzt solle den
Leichnam ihres verstorbenen Ehemanns untersuchen. Dabei erzählt sie aus ihrem
Leben in dem Dorf.
Im letzten Teil „Heimat“ schließlich sind wir in der Gegenwart
angekommen, in der ein alter Senator aus dem fernen Kanada sein Leben dort
aufgibt, um in die Heimat seiner Eltern überzusiedeln. Er spricht die Sprache
nicht, kennt weder Land noch Leute, und adoptiert kurz zuvor Odo, einen Affen.
Mit ihm gemeinsam landet er – in eben dem uns nun schon bekannten Dorf in den
Hohen Bergen Portugals.
Yann Martel verwebt alle drei Erzählstränge geschickt und
unterhaltsam miteinander. Da ist das Dorf, in das die Erzählung immer wieder
zurückkehrt. Alle drei Hauptfiguren sind Witwer. Ein Affe spielt in allen drei
Teilen eine wichtige Rolle – ja, ich habe nur einen davon erwähnt. 😉
Wo kommen wir
her? Das ist die Frage, die sich durch das ganze, philosophisch angelegte Buch
zieht. Und die drei Hauptfiguren fragen sich dies in existenziellen Momenten.
Für Tomás hängt die Frage an dem Kruzifix, das vor langer Zeit in Afrika
hergestellt wurde; für den Pathologen drängt sie sich durch seinen surrealen
Traum auf; beim ehemaligen Senator spielt nicht mehr der Glauben die Rolle für
diese Frage. Wie zur Antwort lebt er mit einem Affen, unserem evolutionären
Vorfahren zusammen.
Mich hat auch
dieser Roman von Yann Martel gefesselt und begeistert. Schon mit „Schiffbruch
mit Tiger“ bestand ja kein Zweifel, dass er ein großartiger Erzähler ist. Ihm
gelingen tragikomische Momente ebenso wie erschütternde und nachdenkliche
Szenen. Das Ganze ist gelungen komponiert. Nix zu meckern. 😉
Kurz und gut: Ein
wunderbar erzählter Roadtrip durch die Zeit in die Hohen Berge Portugals,
philosophische Reflexionen und atmosphärisch herrlich erzählte Momente
inklusive. Lesen!
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