„Sag mal, Papa, warum heiße ich eigentlich Tom?“ (Seite 7)
Nils ist Schüler an einer Schule, in der die Deutschlehrerin
Comics „einzieht“, der Geschichtslehrer heroische Geschichten aus dem Zweiten
Weltkrieg erzählt und in der ein neuer Mitschüler andere dazu anstiftet, rechte
Propaganda zu verbreiten – sehr zum Wohlgefallen eben jenes Geschichtslehrers.
Es nervt Nils ziemlich, dass dieses Neonazigehabe so unwidersprochen geduldet
wird. Also macht er denn Mund auf.
Schnell folgt die Reaktion. Die Möchtegern-Kameraden verprügeln
ihn in der Schultoilette und versuchen es später immer wieder. Hilfe bekommt
Nils einzig von einem älteren Schüler, Tom. Doch die Lage spitzt sich weiter
zu.
Aufgestachelt von ein paar Altnazis, die im Viertel unverblümt ihr
Unwesen treiben und unter Schülern ihren Nachwuchs rekrutieren, gipfeln die
Angriffe in einem Hinterhalt, der Nils fast das Leben kostet.
Dieser Comic erzählt die autobiografische Geschichte von Nils
Oskamp. Und sie spielt nicht im Osten der Republik, sondern in den
Achtzigerjahren in Dortmund. Nils hat nicht nur überlebt. Aus seiner Geschichte
wurde ein echtes Aufklärungsprojekt. Dem Comic folgte eine Ausstellung, die
durch Deutschland tourt und Schüler*innen einlädt, sich mit dem Thema
Rechtsextremismus auseinanderzusetzen.
Buch und Ausstellung folgen dabei einer didaktischen Idee, die dem
Titel DREI STEINE folgt. Diese drei Steine fand Nils als Jugendlicher auf einem
Friedhof, wo jüdische Gräber geschändet und die Grabsteine umgeworfen wurden.
Drei Steine, die er hier fand, begleiten ihn durch die Geschichte, in der sie
drei wichtige Marksteine geworden sind.
Der erste Stein steht dabei für Verteidigung und Notwehr – im
konkreten Fall gegen die Übergriffe der rechten Schüler. Mithilfe von Tom – und
einigen Selbstverteidigungskenntnissen – gelingt es Nils, sich hier zunächst
erst einmal zu behaupten.
Doch die Angreifer geben keine Ruhe. Ihre Pöbeleien und
Tätlichkeiten provozieren Nils solange, bis er ihnen fast selbst mit gleicher
Gewalt antwortet. Im letzten Moment erkennt er, dass Gewalt eben keine Lösung
ist. Er macht sich nicht mit seinen Verfolgern gemein – so schwer ihm das fällt.
Dafür steht der zweite Stein.
Der Dritte schließlich symbolisiert das Gedenken. Diese Erinnerung
an Vorbilder, die sich selbst schon gegen alte und neue Nazis zur Wehr setzen
mussten, schlägt einen plausiblen Bogen, der aus Nils persönlichen Erinnerungen
mehr als eine rein individuelle Geschichte macht. Dieser Stein weist über die
konkrete Geschichte eines jungen Menschen hinaus und erinnert uns daran, dass
Rechtsextremisten nie ganz verschwunden waren – weder in Ost noch in West. Der
Comic endet mit im Hier und Heute damit, dass Nils den dritten Stein in der
Gedenkstätte Yad Vashem in Isreal niederlegt.
Comics mit einer Mission laufen, wie ich bei Kate Evans´ Biografie
über Rosa Luxemburg einmal mehr feststellen musste, gern Gefahr zu viel zu
wollen. Nils Oskamp kann das mit seinem Werk vermeiden. Die Rahmenhandlung, in
der er seinem Sohn erzählt, woher der seinen Namen hat und sich zugleich an die
Ereignisse in den Achtzigern erinnert, schafft einen gelungenen Bogen in die
Gegenwart.
Dass in dieser Gegenwart der Comic der Anlass für eine Ausstellung
und umfangreiche Aufklärungsarbeit mit Jugendlichen bietet, hebt das Buch
zusätzlich hervor und von anderen Publikationen ab. Es bleibt zu hoffen, dass
noch viel mehr als die bisher rund 11.000 Besucher*innen der Ausstellung
erreicht werden können und dass die dazugehörigen Lesungen, Workshops und
Gesprächsrunden noch viele Schüler*innen erreichen.
Kurz und gut: Bei all den Klagen über einen Rechtsruck weltweit
und auch in Deutschland ist diese Geschichte mehr als ein guter Anlass sich vor
Augen zu halten, dass hier keine neuen Ideen am Werk sind, die tatsächlich
Alternativen anzubieten hätten. Lesen!
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