„Sie kam an einem Morgen zu Frühlingsbeginn hier an. Die Bäume
waren noch kahl. Bis auf die Trauerweiden.“ (Seite 7)
In diesem Roman ist nichts kuschelig. Beim Lesen rutschte ich
unwillkürlich, unbehaglich berührt auf dem weichen, bequemen Sofa hin und her.
Denn in der Welt, die Shumona Sinha hier schildert, stimmt so vieles nicht. Und
es ist genau unsere Welt, die sie beschreibt. Die Welt, in der wir leben.
Mina lebt in einem Dorf in Bengalen in einer Bauernfamilie. Ihr
Leben ist hart und läuft in traditionellen Bahnen. Das bedeutet, es ist nicht
vorgesehen, dass Mina oder jemand wie sie sich auflehnt, die Stimme erhebt. Als
das Land ihrer Eltern zu Bauland werden soll, macht sie aber genau das – in einer
Welt, in der Frauen nichts zu sagen haben, sondern schweigen und erdulden. Als
wäre das nicht genug, liebt sie auch noch den falschen Mann und wird schwanger.
Woher nimmt Mina ihren Mut, wo findet sie die Kraft, sich zu widersetzen?
Es ist die Begegnung mit Marie, die im fernen Paris lebt, wo sie als Kind aus
einem indischen Waisenhaus von einem französischen Ehepaar adoptiert wurde.
Obgleich Marie selbst hin und her gerissen ist zwischen den Welten, durch
Bildung und Sozialisation befähigt, für ihre Interessen einzustehen und gewappnet
mit Wissen, um Zusammenhänge zu erkennen und Ungerechtigkeiten zu benennen, ist
ihr Pendeln zwischen Frankreich und Indien eine Suche nach ihren Wurzeln, ihrem
Ort, ihre Verwundbarkeit.
Mina muss sie, die starke, toughe Frau aus dem Westen, als ein
Wunder erscheinen. Ein Wunder, aus dem sie die Kraft schöpfen kann, sich mit dem
Politiker anzulegen, der über den Kopf ihrer Familie hinweg über das Schicksal
dieser Familie entscheiden will. Die Kraft, an der Liebe zu ihrem Cousin und den
Folgen dieser Liebe nicht zu verzweifeln.
Esha schließlich, die dritte Frau in diesem Roman, kennt Mina von
deren Posts im Internet und stammt selbst aus Kalkutta. Aus einer wohlhabenden
Familie stammend hatte sie die Wahl, sich für ein Leben in Paris zu
entscheiden, wo sie Jugendliche in einem Problemviertel unterrichtet. Doch
hier, im freien Westen, ziehen sich die Fesseln ihrer Herkunft immer fester um
ihr selbstbestimmtes Leben und rauben ihr zusehends die Luft zum Atmen.
Mit gerade einmal 159 Seiten in der gebundenen Ausgabe ist der
Roman nicht sonderlich lang geraten. Und doch hat mich die Intensität der
Schilderungen von Verzweiflung und auch Gewalt ziemlich mitgenommen. Die
Bedingungen, unter denen Frauen leben, die Frage von Heimat und Wurzeln oder
der Möglichkeit Anzukommen und Wurzeln zu schlagen, wenn man an diesem Bild
festhalten mag – so viele Realitäten, die so verschieden sind von meiner
eigenen, wohnen nur eine Tür weiter.
Wie ich erst im Nachhinein las, verlor Shumona Sinha ihren Job bei
der französischen Migrationsbehörde nach dem Erscheinen ihres ersten Romans. Selbst
ohne viel mehr über sie nachgelesen zu haben, kann ich mir auch anhand der
Intensität dieses dritten Romans vorstellen, dass sie als Autorin aneckt. Das
macht ja aber die Entdeckung von Literatur auch immer wieder aus.
Kurz und gut: Hart, prägnant und intensiv. Eine Lektüre, die sich
für mich unbedingt gelohnt hat!
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