Sonntag, 23. Juli 2023

T.C. Boyle: Die Terranauten


(Übersetzung: Dirk van Gunsteren)

„Man hatte uns von Haustieren abgeraten, desgleichen von Ehemännern oder festen Freunden, und dasselbe galt natürlich für die Männer, von denen, soviel man wusste, keiner verheiratet war.“ (Seite 13)

In den frühen 90ern fand in Arizona, USA, das Biosphere2-Experiment statt. Ein Milliardär finanzierte eine Glaskuppel über ca. 1,6 Hektar, unter der ein sich selbst erhaltendes, ökologisches System entstehen und über jeweils zwei Jahre von einer menschlichen Crew bewohnt und betrieben werden sollte. Die erste Mission dauerte tatsächlich zwei Jahre. Allerdings wurde der Anspruch eines geschlossenen Systems durchbrochen, weil es wegen einer medizinischen Behandlung eines Crewmitglieds kurzzeitig zu einer Öffnung und einem Materialaustausch kam. Der zweite Einsatz dauerte dann nur sechs Monate. Warum er offenbar abgebrochen wurde, darüber konnte ich nichts finden.

T.C. Boyle nahm diese für sich schon fantastische Geschichte, um daraus einen Science-Fiction-Stoff zu weben, der auf der Erde der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts angesiedelt ist. Er erzählt die Geschichte der zweiten Mission, die in seiner Version aber tatsächlich die gesamten zwei Jahre andauert.

Die Prämisse des Romans ist die Vorgeschichte der ersten Mission in Biosphere2, auch mit ihrem Scheitern an der kurzzeitigen Kontamination. Daraus folgt hier der unbedingte Wille der Nachfolgecrew, die gesamten zwei Jahr durchzustehen. Welche Fokussierung und eigentlich Zurichtung der Terranauten und welches ideologische System drumherum dafür notwendig sind, das breitet Boyle vor uns aus.

Die Zeit vor dem Einschluss, das erste und das zweite Jahr sowie den Wiedereintritt, wie es hier in schönster Astronautenart heißt, berichten drei Menschen: Dawn, Ramsey und Linda. Ihre Leben sind eng miteinander verwoben und aufeinander bezogen, auch während Dawn und Ramsey unter der Glaskuppel eingeschlossen sind, während Linda außerhalb damit hadert, nicht selbst dort zu leben, und stattdessen die Mission mit Überwachungsaufgaben unterstützt.

Wie viel Idealismus es braucht, um sich auf solch ein Unterfangen einzulassen, wie viel Überzeugung und Überwindung, das lässt sich gut an den Berichten vor und kurz nach dem Einschluss erahnen. Und, ganz erwartbar, bekommt dieser Idealismus im Fortschreiten des Experimentes erst feine und später immer klaffendere Risse. Dass dieses Großexperiment nicht nur ein biologisch-ökologisches sein kann, sondern eben auch ein menschliches sein muss, das erschließt sich sofort. Und so ist es neben technischen Fragen eben hauptsächlich der Faktor Mensch, der hier über Gelingen oder Scheitern bestimmt.

Bei allem Training, aller Routinen, die das Leben der Terranauten prägen und bestimmen, sind es in Boyles Version der Geschichte eben individuelles Verhalten, persönliche Bedürfnisse und die Dynamik innerhalb eine abgeschlossenen, auf sich selbst bezogenen Kleingruppe, die hier alles am Laufen – oder eben auch nicht.

Boyle ist auch mit den drei Erzählstimmen, die hier abwechselnd berichten, ein grandioser Autor. Es braucht gar nicht die vollkommen unvorhersehbaren Ereignisse und Schocker, um es im sozialen Gefüge dieser Versuchsanordnung ordentlich krachen zu lassen. Es reichen die Abgeschlossenheit der Gruppe drinnen, sowie die eben doch vorhandenen sozialen Interaktionen mit denen draußen. Und spannenderweise ließ mich der Eindruck nicht los, dass die Crew, die die Mission von außen betreibt und am Laufen hält, nicht weniger hermetisch von der Außenwelt abgeschlossen wirkt als die unter der Glaskuppel.

Kurz und gut: T.C. Boyle beobachtet und schreibt hervorragend. Lesen, unbedingt!

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