Dienstag, 9. April 2024

Sebastian Barry: Tausend Monde


(Übersetzung: Hans-Christian Oeser)

„Ich bin Winona.“ (Seite 9)

Manchmal wiederhole ich mich ja gern: Lest Sebastian Barry! Ernsthaft!

In „Tage ohne Ende“ lernte ich Thomas McNulty und John Cole kennen. Die Geschichte ihrer Freundschaft und ihrer Liebe in der rauen Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs ist so anrührend wie herzzerreißend. Nicht weniger ist es die von Winona, ein Lakota-Mädchen, dass die beiden Männer als Tochter bei sich aufnahmen. In diesem Band erzählt sie ihre Geschichte.

Der Bürgerkrieg hat tiefe Wunden geschlagen. Sie zerfurchen ein zerschundenes Land, ragen fast unüberwindbar zwischen den Menschen und verknoten so manches Herz. Thomas und John haben im Henry County in Tennessee ein Zuhause auf einer Farm außerhalb der Stadt gefunden. Aus Winona, dem Lakota-Mädchen, dass sie wie eine Tochter lieben, ist eine junge Frau geworden.

Sie arbeitet bei einem gutherzigen Anwalt in der Stadt. Die Arbeit erfüllt sie. Doch die Stadt ist auch der Ort, wo sie die Blicke auf sich zieht: abschätzige, begehrliche, hasserfüllte. So trifft sie auch auf ihre erste Liebe Jan Jonski, der womöglich auch ihr Vergewaltiger war.

Die Dinge spitzen sich zu, während die Welt um sie herum immer weiter im Chaos versinkt, niemand mehr weiß, wer eigentlich die Guten oder die Bösen sind, weil es eigentlich egal ist, wer dich ausraubt, aus dem Hinterhalt erschießt oder Schlimmeres.

In die Schilderungen mischen sich Rückblenden, Erinnerungen daran, wie Winona bei ihrem Stamm aufwuchs, bevor Thomas und John sich ihrer annahmen. Aber nun kann und will sie ihre Angelegenheiten auch selbst regeln, auch um ihre Väter zu schützen. Kann es sowas wie ein Happy End in einer Welt geben, die nur Ende und keinen Anfang zu kennen scheint?

Auch in diesem Band steckt nichts von Wild-West-Romantik. Eine raue, kaum gezähmte Landschaft wird von rauen Menschen bevölkert, versehrt an Körper oder Seele oder beidem. Zärtlichkeiten sind hier nur minimale Gesten, das, was nicht ausgesprochen wird, aber einem dennoch das Herz zuschnürt. Auch Winona spricht mit dieser Stimme, die so authentisch klingt.

Ich kann gar nicht recht erklären, was bei Barrys Texten so einen Sog verursacht, dass man gar nicht wieder aus dieser Welt auftauchen mag und die Charaktere dort zu … naja, echten Menschen macht, deren Herzschlag beim Lesen spürbar auf jeder Seite pulst. Aber es wirkt!

Nicht zuletzt kann ich dem Steidl Verlag nicht genug danken, für die unaufgeregte und trotzdem so wunderbare Gestaltung für diesen wunderbaren Roman.

Kurz und gut: Falls ich es noch nicht deutlich genug gesagt habe: Lest Sebastian Barry! Und los! 😊

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