Donnerstag, 11. April 2024

Jasmin Schreiber: Endling


„Eine Nachricht von meiner kleinen Schwester.“ (Seite 7)

Ein Endling ist der letzte seiner Art. Titelgebend ist eine Schnecke, die eine zugegeben eher passive Rolle im Text spielt. Vielleicht geht es aber auch um unsere Art, die Menschheit.

Im Jahr 2041, in der Welt des Romans, ist nichts besser geworden. Das Klima konnte nicht gerettet werden, die Umwelt rebelliert gegen die Menschen, das Aussterben immer weiterer Arten ist das sichtbare Zeichen des menschlichen Versagens. Auch gesellschaftlich sieht es nicht besser aus. Der Rechtsruck hat sich weiter fortgesetzt, das politische Klima ist repressiv und richtet sich insbesondere gegen Frauen und deren Rechte, die immer weiter beschnitten werden. Das klingt nicht heimelig und hoffnungsfroh und soll es auch nicht.

Zoe ist Biologin, arbeitet in München und hat noch Familie in Frankfurt. Die besteht aus ihrer Mutter, ihrer kleinen Schwester Hanna und der im gleichen Haus wohnenden Tante Auguste. Wegen immer wieder auftretender Epidemien ist das Reisen schwierig. Als die Mutter zu einer Reha muss, kommt Zoe aber nach Frankfurt, um sich um Hanna und Auguste zu kümmern.

Hanna ist eine aufgeweckte und altersgerecht aufgekratzte Teenagerin, die ohne große Erinnerung an eine Welt ohne Abtreibungs- und Verhütungsverbote aufwächst. Die Tante Auguste, ebenfalls Biologin, hat über die Jahre aufgegeben, wurde immer schrulliger und verlässt einfach nicht mehr das Haus. Zoe, vermutlich in ihren Dreißigern, gehört zu der Generation, die alt genug ist, sich daran zu erinnern, was alles mal anders war, ist aber jung genug, um zu versuchen sich zu arrangieren, um nicht zu verzweifeln.

Die Konstellation allein reichte sicher schon aus, um anhand dieser drei Frauen zu erwählen, wohin ein weiterlaufender Rechtsruck in der Gesellschaft führen könnte, welche Auswirkungen das auf das Leben von Frauen hätte und wie verschiedene Generation ihren Umgang damit zu finden versuchen.

Als sich das Trio vollkommen ungeplant und selbst davon überrascht auf einer Reise von Frankfurt nach Italien und weiter bis nach Schweden wiederfindet, spannt die Autorin den Bogen weiter. In dieser kaputten Welt verschwinden Tierarten nach und nach, doch auf ihrer Reise entdecken sie Orte, an denen sie unverhofft wieder auftauchen. Doch an diesen Orten sammeln sich nicht nur ausgestorben geglaubte Arten, auch auf Gruppen von Frauen treffen sie, die jenseits und abseits der Welt leben. Nur Männer gibt es dort keine. Und was noch mysteriöser ist, kommen Männer in die Nähe, erkranken sie auf geheimnisvolle Weise und sterben. Einfach so.

Ich mochte die Prämissen des Romans, das Setting und auch die Beschreibung der Welt über einen Blick auf bedrohte und aussterbende Tierarten. So trägt jedes Kapitel den Namen einer Art, die dann im Kapitel selbst auch einen Auftritt hat. Das gilt auch für den Endling aus dem Titel, hinter dem sich eine Schnecke verbirgt.

Etwas schade fand ich, dass das für mein Gefühl holpernde Tempo der Handlung dazu führte, dass spannende Momente nicht weiterverfolgt und auserzählt würden. Gerade da, wo diese mysteriösen Orte mit den nicht weniger mysteriösen Frauengruppen auftauchen, hätte ich mich über ein Breitmachen der Erzählung gefreut. Die exemplarische Konstellation der drei Frauen hätte so eine Einbettung in eine größere Erzählidee gefunden, die es ziemlich zweifellos auch gab.

Auch bei meinem offenbar aktuellen Lieblingsthema, den Dialogen, muss ich etwas rumkritteln. Und die Frage, wie sich den Figuren angemessene Stimmen geben lassen, die uns Lesenden authentisch erscheinen, ist ja keine ganz einfache. Schreiber hat hier zum Beispiel Versatzstücke von Jugendlichen aus den 2010er Jahren genommen und sie Zoe in den Mund gelegt, um sie in ihrem Alter zu Kennzeichnen. Vielleicht war die Idee, damit auch eine Verknüpfung zu unserer realen Welt zu legen. Für mich war das nicht wirklich überzeugend, den Tonfall von vor zehn Jahren als Stimme in der Zukunft zu hören.

Insgesamt glaube ich, dass dem Text noch etwas mehr Zeit und Bearbeitung (Lektorat?) gut getan hätte. Der Roman ist zweifellos unterhaltend und auch gut geschrieben, bleibt aber an dem, was ich an Anspruch meine herausgelesen zu haben, eben doch unter seinen Möglichkeiten. Vielleicht gab es ja Produktionszwänge, die hier eine Rolle gespielt haben. Das soll aber insgesamt gar kein Vollverriss sein.

Kurz und gut: Coole Idee, unterhaltsam aber mit noch mehr Potential, das hier leider nicht ganz eingelöst wurde. Kann man lesen, ist aber noch kein Muss!

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