Montag, 11. April 2022

Ole Nymoen/ Wolfgang M. Schmidt: Influencer. Die Ideologie der Werbekörper


„Der Influencer ist eine der wichtigsten Sozialfiguren des digitalen Zeitalters. Er ist ein die Pop- und Konsumkultur, die Werbebranche und den Kapitalismus prägendes Phänomen, das längst nicht mehr nur auf das Netz begrenzt ist.“ (Seite 7)

Hab ich früher Thomas Gottschalks Gesicht in einer Werbung gesehen, wusste ich, es geht um Gummibärchen. Bei den Jungs aus der Fußballnationalmannschaft waren es Chips oder was zum Rasieren. Und selbst bei den Schauspieler:innen, die mitunter zu kultigen Werbefiguren wurden, war immer klar: das ist Werbung und die spielen da nur eine Rolle. In diesem Früher hab ich aber auch noch TV mit einem Fernseher geschaut.

 

Den Fernseher hab ich seit Jahren stillgelegt. TV schaue ich allenfalls über Angebote aus den Mediatheken. Und auf die stoße ich oft genug – richtig, über die sozialen Medien, also über den Ort, an dem die Influencer:innen wachsen und gedeihen.

 

Allerdings gehöre ich mit über 30 eindeutig zu denen, von denen die Autoren dieses Bandes vermuten, dass sie influencenden jungen Erwachsenen und Jugendlichen vermutlich schon mal gesehen haben aber deren Namen nicht kennen. Im Gegensatz zur Zielgruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

 

Wie viele andere auch nehme ich die neuen Stars eher schmunzelnd zur Kenntnis, wenn sie „ganz privat“ Produkte auspacken, ausprobieren und lobend besprechen. Entweder sind die Videos herrlich hausbacken oder so überinszeniert, dass ich beides so recht nicht ernst nehmen mag.

 

Mit dem vorliegenden Buch in der Hand lassen sich Influencer:innen aber tatsächlich noch einmal neu entdecken. Nymoen und Schmitt stellen die Vertreter:innen dieses neueren Phänomens in eine Reihe mit Erkenntnissen zu Werbung, Marketing und Inszenierung unter kapitalistischen Bedingungen. Darauf aufbauend sezieren sie das Phänomen weiter als Werbekörper bis hin zu den vermittelten Körperbildern. Es geht um vorgelebte Geschlechterrollen, die natürlich total authentisch daherkommen, um die Frage, wie kreativ das Ganze eigentlich tatsächlich ist und letztlich um die Erkenntnis, dass Haltungen und Werte, die hier durchaus vermittelt werden, reichlich altbacken, konservativ und so gar nicht progressiv sind.

 

Und tatsächlich braucht man ja nicht viele Klicks, um bei Instagram oder TikTok fündig zu werden. Da fand ich den Trend, immer ganz viele Trends mitmachen zu müssen, um im Trend zu bleiben, eher befremdlich. Wenigstens zunächst etwas lustig war noch die Nummer, bei der sich Leute einen Eimer Eiswasser über den Kopf gossen – gern auch mal für die gute Sache. Auch tanzen finde ich jetzt nicht so schlimm. Aber mit welcher Inbrunst geshoppt wird, von Getränkedosen bis hin zu Makeup etc., und dann ausgepackt und voll natürlich getestet wird, um ganz kumpelhaft Tipps weiterzugeben – das wirkt zunehmend absurd, wenn man sich dann auch noch vor Augen hält, dass da richtig viel Geld seitens der Hersteller hin zu Influencermarketing verschoben wurde und wird.

 

Selbst mit meinem kleinen, bescheidenen Kanal hier profitiere ich ja mitunter davon, dass mir Rezensionsexemplare angeboten werden – auf die ich im Idealfall tatsächlich Lust zum Lesen habe. Aber muss das per se alles so schlimm und rückschrittlich sein, wie es sich – absolut unterhaltsam im Übrigen – in diesem Band liest?

 

Einerseits wird von Influencer:innen das Bild von Toleranz, Vielfalt und so recht hochgehalten. So kann ich mir schon vorstellen, dass viele von ihnen interessante Rolemodells für ihre Zielgruppen abgeben. Aber können sie, bei steigendem Erfolg, eigentlich noch auseinanderhalten, was nur eine Rolle und was sie selbst wirklich sind? Immerhin dreht sich letztlich eben doch alles um Konsum, ob nun gerade etwas ausgepackt wird oder nicht. Hintergründe, Zimmer müssen ansprechend eingerichtet werden und stehen eben für einen Lebensstil, Technik wird benötigt, Klamotten etc. Und damit wird schon die Schwierigkeit deutlich, trennen zu können, was eigentlich wirklich mal eine Haltung, eine inhaltliche Aussage ist, und was eben letztlich – nur Werbung.

 

Und da die Klickzahlen, Zustimmungen, Likes etc. eben bestimmen, ob Influencer:innen von ihrem Tun auch leben können, werden sie also zwangsläufig darauf schauen müssen, was sich verkauft – was also genug Mainstream ist. Und damit werden Aussagen in Sachen Toleranz schnell zur Phrase, weil man das halt sagt. Und trotz „body positivity“ achten sie natürlich darauf, all den Klischees zu entsprechen, die sie angeblich relativieren wollen.

 

Also ja, ich kann mit der Einordnung und Bewertung des Phänomens durch Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt mitgehen. Und ich bin wirklich froh über dieses Buch. Es ist einfach notwendig, das die Gesellschaft mit diesem Phänomen und den erwartbaren Folgen bei den Konsument:innen auseinandersetzt. Viel zu viel an dieser Digitalisierung haben wir bisher immer noch nicht verstanden.

 

Großartig fand ich beim Lesen, dass die Autoren immer wieder Bezüge herstellen zu Theorien, Fragestellungen etc., die zum Teil ja schon älteren Datums sind und damit gar nicht erst den Eindruck entstehen lassen, wir hätten nicht genügend Methoden zur Verfügung, um dieses Geschehen zu analysieren und auch zu bewerten.

 

Kurz und gut: Auf den Punkt, bissig, kurzweilig und fundiert – lesen!

 

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