Sonntag, 17. April 2022

Rainald Goetz: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft


„Als die Winter noch lang und schneereich und die Sommer heiß und trocken waren –

Da stand der schwarzgläserne Büromonolith sinnlos riesig in der Nacht, am Ortsrand von Krölpa, Krölpa an der Unstrut, dahinter die Wälder, die Krölpa nördlich zu Warthe hin abgrenzten, da leuchtete einsam, böse und rot das glutrote Firmenlogo von Arrow PC […]“ (Seite 11)

 

Auf der Rückseite des Taschenbuches steht nur „# wütend schritt ich voran“. „Krölpa an der Unstrut“ im ersten Satz des Romans ließ mich kurz auflachen. (Wer nicht aus Thüringen und aus der Nähe der Unstrut stammt, hat definitiv noch nie etwas von diesem Fluss gehört. Ich weiß, wovon ich spreche.  ^^) Außerdem lasse ich mich offenbar gern mal auf Texte von Autor:innen ein, die ich eigentlich kennen könnte, aber naja … es gibt halt so viele. ;)

 

Der Roman erzählt die Geschichte eines Machtmenschen. Die Erzählung setzt 2001 ein, als Johann Holtrop als Vorstandsvorsitzender eines global agierenden Medienkonzerns auf dem Höhepunkt seiner Karriere angekommen ist. Von hier aus geht es nur noch abwärts; er weiß es nur noch nicht. Und sympathischer wird er durch seinen Absturz auch nicht.

 

Ein Psychogramm der handelnden und auftretenden Figuren bietet der Text nicht. Was er aber beschreibt, ist ein System, in dem Macht zum Fetisch erstarrt ist, Menschen, Werte und solch Kram einfach gar nichts mehr zählen. Fast alles gerinnt hier zur hohlen Phrase. Und das zu beschreiben findet Rainald Goetz zu einem kühlen, eher distanzierten Erzählton, der das Untersuchungsobjekt zugleich passend vertont.

 

Die Nullerjahre, das war nun die Zeit, als die Krisenhaftigkeit unserer Art zu wirtschaften deutlich nicht mehr zu übersehen war. Der Turbokapitalismus hat aber trotzdem noch mal ordentlich aufgedreht. Mir klingt noch das Mantra in den Ohren, wie viel besser ja alles sei, was privatwirtschaftlich organisiert würde. Dass der Markt nur ordentlich entfesselt werden müsste, Hartz IV war da als Idee schon nicht mehr weit.

 

Mit dem Nachzeichnen dieses Systems von innen gelingt Goetz eine ordentliche Entzauberung dieser Glitzerfassade. Hinter der wird nämlich letztlich auch nur mit Wasser gekocht. Und der marktkonforme Egoismus produziert letztlich nur Wohlstand für wenige. Jetzt möchte man fast Mitleid bekommen mit Typen wie Johann Holtrop, der erkennbar kein Reflexionsvermögen hat, um bei einem Blick in den Spiegel erkennen zu können, dass es auch ihm eigentlich um nichts geht, auch er im Grunde nur eine austauschbare Nummer im System ist – und dass er mit seinem Verhalten dieses System füttert. Ich habe „fast“ geschrieben. Denn Johann Holtrop ist ein Arschloch ohne doppelten Boden. Es gibt keine versteckte private, vielleicht doch sympathische Seite. Denn die könnte er sich in diesem System auch gar nicht leisten.

 

Das System pfeifft auf einzelne Menschen, genauso wie es auf Umwelt, Klima oder gesellschaftliche Werte pfeifft. Trotzdem funktioniert dieses System eben nur, weil wir alle es am Leben erhalten.

 

Johann Holtrop stürzt ab. Endgültig. Aber auch zehn Jahre nach dem Erscheinen des Romans ließe sich nicht behaupten, dass nun alles besser geworden wäre. Holtrops Nachfolger:innen mögen die Fassade etwas grüner angestrichen haben, behaupten, dass sie jetzt für gesellschaftlichen Fortschritt mit Diversität und Bio stünden, ganz woke. Aber hat sich am System so im Vergleich wirklich etwas geändert? Sind es heute wirklich andere Typen, die es in die kahlen Flure der Macht im System Wirtschaft schaffen?

 

Kurz und gut: Ein Text mit Sogwirkung, auch wenn es schwer ist, mit den Figuren mitzufühlen. Lesen!

 

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