Dienstag, 12. April 2022

Simon Strauss: Sieben Nächte


„DAS HIER SCHREIBE ICH AUS ANGST. Aus Angst vor dem fließenden Übergang. Davor, gar nicht gemerkt zu haben, erwachsen geworden zu sein.“ (Seite 11)

Ach, dieses Ding mit dem Erwachsenwerden! Wisst ihr noch, dieses erste Mal, als ihr gemerkt habt, dass eure Eltern sich mal so richtig irrten, eine richtig dumme Entscheidung trafen, obwohl sie es doch hätten besser wissen müssen, als sie kindisch darauf bestanden im Recht zu sein, obwohl sie es offensichtlich nicht waren? Vielleicht war das ja der Moment, in dem es angefangen hat – mit diesem kleinen Stolz darauf, es jetzt einfach mal besser gewusst zu haben?

 

Im Sommer 2017 stellte ein sympathischer 29jähriger Typ sein Buchdebut vor. In der auf die Lesung folgenden Diskussion kamen Fragen aus dem Publikum von vorrangig eher älteren Menschen als es der Autor zu diesem Zeitpunkt war. Aus den Fragen sprach Neugierde darüber, wie die Generation der um 1990 herum Geborenen sich die Welt der Erwachsenen erobert. Und ich fand das Gespräch dazu wirklich spannend – als einer der diese Schwelle formal wenigstens über eine Dekade vor dem Autor überschritten hatte.

 

Zu dieser Zeit rückten für mich immer mal wieder Fragen danach in den Mittelpunkt, wie verschiedene Generationen so geprägt sind, was sie ausmacht und natürlich auch, was das für meine eigene Generation bedeutet, die um die Zeit der Wende herum im Osten aufgewachsen ist.

 

Ich fand die pathetischen Fragen und Sorgen des Autors interessant, auch wenn ich sie kaum in Bezug zu mir selbst setzen konnte. Bei Strauss klang es so, dass seine Eltern und Großeltern im Grunde alles geklärt hätten. Aufklärung in so vieler Hinsicht in den 1960ern, alle großen gesellschaftlichen Schlachten geschlagen und nun muss diese Generation trotzdem einen Sinn im Leben finden.

 

Vielleicht war es ja auch ein Glücksfall, dass diejenigen, die in der Wendezeit Jugendliche waren, ihre Elterngeneration eben oft genug nicht als souverän, erfolgsverwöhnt etc. erlebt hatte. Vielleicht prägte es den Blick auf dieses Erwachsenwerden ja deutlich anders, wenn man die, die eigentlich Vorbilder sein sollten, dabei beobachten konnte, wie sie die Scherben ihres Lebens ganz oft ohne großen Erfolg zusammenkehrten und versuchten, einfach nur weiterzumachen, durchzukommen.

 

Aber es wäre auch reichlich albern, Generationen, die in den Wohlstand und die Sorglosigkeit ihrer Eltern hineingeboren werden, daraus einen Vorwurf zu machen. Egal, die Veranstaltung war interessant und ich neugierig auf den Text.

 

Als eine Art Initiationsritus oder Pfad der Erkenntnis lässt sich der Erzähler auf eine Wette ein. An sieben Tagen müsse er sich nach sieben Uhr je einer Todsünde stellen, sie durchleben und schonungslos offen darüber schreiben. Vielleicht ließe sich ja so etwas richtiges fühlen oder erkennen.

 

Leider empfand ich den Text und die geschilderten nächtlichen Erlebnisse dann deutlich weniger interessant oder gar inspirierend wie die Vorstellung des Buches.

 

Für meinen Geschmack ist das doch spannende Vorhaben im Text selbst zu bloßem Pathos geronnen. Vielleicht hab ich mir unter den Todsünden auch einfach etwas Aufregenderes als Zocken mit 2 Euro vorgestellt. Aber der Hauptpunkt ist, glaube ich, dass die Hauptfigur alle Ausflüge immer im festen Bewusstsein unternahm, hinterher wieder im Warmen sitzen zu können. Da war kein Leben ohne Netz, kein echtes Risiko sondern eher eine eigentlich recht fein wattierte und irgendwie biedere Vorstellung davon, was denn jetzt so richtig sündig wäre.

 

Aus dem Vorhaben, sieben Todsünden zu durchlaufen und dann irgendwie mehr über das Erwachsensein oder -werden zu wissen, spricht aber auch letztlich schon tieferliegende Vorstellung davon, wie es zu sein hat. Mut, Stärke, Risikobereitschaft, Libido – letztlich konnte ich mich des Eindruckes nicht erwehren, dass der Autor hier mit wohlgesetzten Worten eben doch einfach nur eine stockkonservative Weltsicht präsentiert. Ob ihm das so bewusst gewesen ist, sei dabei mal dahingestellt.

 

Erst viel später las ich davon, dass um Autor und Buch eine kleine Debatte entbrannt war. Strauss, so der Vorwurf der einen, öffne sich hier rechten Interpretationen. Das sei Humbug, weil doch hier ein junger Mensch und Autor einfach nur mutig Fragen stelle, so in etwa entgegneten die anderen.

 

Interessanterweise ließ sich in den letzten drei Jahrzehnten ja über Befragungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen beobachten, dass der Hang zu Familie, Stabilität etc. zugenommen habe. Nix mehr mit Sturm und Drang bei den jungen Leuten. Ich weiß zu wenig über Simon Strauss, um hier urteilen zu wollen oder zu können, aber mindestens dieses Bild empfinde ich bei seinem Text bestätigt. Interessant wäre zu erfahren, wie der Autor so in weiteren fünf Jahren klingt und was er dann für Fragen oder vielleicht auch Antworten hat.

 

Kurz und gut: Die Zeit ging über diesen Text hinweg. Kann man mal lesen!

 

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