Samstag, 16. Oktober 2021

Steven Levitsky/ Daniel Ziblatt: Wie Demokratien sterben


(Übersetzung: Klaus-Dieter Schmidt)

„Ist unsere Demokratie in Gefahr? Nie hätten wir gedacht, dass wir einmal diese Frage stellen würden.“ (Seite 9)

Dieses Buch 2021 zu lesen, ließ mich schon das eine oder andere Mal bei der Lektüre sarkastisch auflachen. Levitsky und Ziblatt waren, wie wir alle, in den ersten beiden Jahren von Trumps Präsidentschaft offenbar schockiert. Erstreckten sich ihre Demokratiestudien sonst auf andere Teile der Welt, sahen sie sich nun genötigt, über die demokratische Verfasstheit des eigenen Landes nachzudenken.

Anhand verschiedener Beispiele von demokratisch gewählten und später autoritär oder autokratisch agierenden Regierungen stellen sie das Raster vor, nachdem sie einschätzen, wie sehr die Demokratie in einem Land schon gelitten hat, wie sehr sie schon ins autokratische gekippt ist. Die Anwendung dieser Überlegungen auf das Geburtsland der modernen Demokratie erschüttert sie selbst. Allerdings bleiben sie nicht bei dem simplen „Trump ist schuld“ stehen.

Sie liefern viele Beispiele aus der US-amerikanischen Geschichte, in denen die Demokratie, demokratische Verfahren und ihre Institutionen in Gefahr waren. So können sie auch illustrieren, wie beispiellos der Aufstieg und vor allem das Handeln Trumps waren. Und dabei konnten sie natürlich nicht einmal ahnen, was sich noch nach der Veröffentlichung ihres Buches 2018 ereignen sollte.

Genau vor diesem Hintergrund ist es aber spannend, dieses Buch heute zu lesen. Die verzweifelte Anzweiflung des Wahlergebnisses, die Aufstachelung der eigenen Basis bis hin zum Sturm auf das Kapitol aber eben auch Trumps Würgegriff, unter dem die Republikanische Partei zu zerbröseln scheint – all dies schimmert in den Überlegungen und Befürchtungen der beiden Autoren bereits hindurch.

Doch machen sie auch sehr deutlich, dass Trump nur das vorläufige Ende einer Entwicklung ist, die die amerikanische Gesellschaft bereits seit Jahrzehnten immer weiter spaltet. Die Schilderung wie die beiden großen Parteien der USA gleichsam den Platz im Parteiengefüge über einen langen Zeitraum hinweg getauscht haben und welchen Preis dafür insbesondere der wachsende nichtweiße Teil der Bürger:innen dafür zahlt, verbindet sich gut mit den zunehmend lauter und vehementer gewordenen Forderungen nach Gleichberechtigung und Kampf gegen den Alltagsrassismus.

Die Leitplanken der Demokratie, wie Levitsky und Ziblatt sie verstehen und beschreiben, klingen zunächst banal, stellen aber für die Autoren einen möglichen Schlüssel dar, um einen Heilungsprozess in Gang setzen zu können. Es sind im Wesentlichen einerseits die gegenseitige Achtung von politischen Gegnern und die institutionelle Zurückhaltung. Diese eher informellen Regeln und Normen dessen, was und wie in den USA Politik gemacht und das Politikmachen verstanden wird, bestimmen in bedeutendem Maße mit, ob die Buchstaben der Verfassung mit Leben erfüllt werden können oder ob sie ausgehöhlt und unterwandert werden.

Vor dem Hintergrund unserer eigenen Debatten in Deutschland um den Umgang mit randständigen Meinungen und zur Diskursverschiebung, die ganz bedeutend gerade die AfD hierzulande zu verantworten hat, liefert die Diskussion dieser Punkte durchaus auch heute interessante Aspekte und Anregungen.

Beim Lesen des Buches musste ich mir zwischendurch immer wieder mal klarmachen, dass hier zwei Amerikaner über ihr Verständnis von Politik und vom Parteiengefüge in den USA schreiben. Insofern lassen sich beileibe nicht alle Beispiele oder Analysen und Schlussfolgerungen einfach so auf europäische oder die deutsche politische Landschaft umrechnen. Lohnend ist die Lektüre für meinen Geschmack aber durchaus.

Kurz und gut: Der Band besteht auch, wenn die beschriebene Entwicklung schon drei Jahre weiter ist. Der Blick zurück lohnt aber. Lesen!

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