„Menschen sind rationale Wesen.“ (Seite 17)
Ich sehe schon das Schmunzeln vieler vor mir, bei diesem Satz. Weil die Alltagswahrnehmung ja oft genug eine andere ist. Wenigstens, was das Handeln der anderen angeht. Das hehre Selbstbild tragen wir aber nicht nur individuell in uns, es findet sich auch als langes Erbe der Aufklärung gesellschaftlich wieder. So weit, so gut.
Spätestens seit dem Aufkommen von Rechtspopulist:innen und deren kommunikativem Handeln und den Folgen daraus für politische Diskurse, streift die Debatte ab und an auch die Frage, wie wir eigentlich politisch kommunizieren. Legt man, wie die Autorin das hier macht, daneben, was Neuro- und Kognitionsforschung so in den letzten Jahren erforschten, bekommt das hehre Selbstbild der aufgeklärten und rationalen Wesen doch einige Schrammen.
Die gute Nachricht ist: Sprache wirkt. Tatsächlich.
In diesem nützlichen und empfehlenswerten Band beschreibt Wehling, wie Sprache dazu beiträgt, dass in unseren Köpfen Deutungsrahmen entstehen, die im Weiteren unsere Weltsicht entscheidend prägen. Sie entstehen schon im frühesten Kindesalter mit dem Spracherwerb, sicherlich auch durch die weiteren Einflüsse, denen wir so tagein tagaus ausgesetzt sind – und werden durch Sprachgebrauch immer wieder aktiviert und verfestigt.
Wunderbar praktisch, mit hohem Wiedererkennungswert, beschreibt die Autorin zahlreiche Debattenbeispiele, die die Ausgangsthese wunderbar illustrieren. Hier ein paar Beispielthemen: Steuern, Sozialleistungen, Abtreibung, Zuwanderung und Asyl.
Vermutlich lässt sich hier schon gut erahnen, welchen Effekt das Buch beschreibt. Steuern sind natürlich eine Last, die drückt und bei Strafe eingetrieben wird und natürlich gemindert gehört. Selten taucht in diesem Frame auf, dass sie unser aller Beitrag zum Gemeinwesen sind.
Sozialleistungen – hier lohnt sich ein Blick auf die aktuelle Debatte ums Bürgergeld – werden selbstverständlich gnädig gewährt und ihre Bezieher:innen argwöhnisch beäugt. Vom Einfordern eines geregelten Anspruchs zum Gefühl dann doch nur zu betteln ist es für Betroffene nicht weit. Die Debatte führen aber die, die unter der Steuer- und Abgabenlast ächzen (siehe einen Absatz weiter oben) und oft genug selbst panische Angst davor haben, ihren Lebensstandard nicht halten zu können. Abzurutschen. Nach unten. Zu denen, die sich nicht genug anstrengen oder, schlimmer noch, gar nicht wollen. Framing eben.
Spannend finde ich, dass gerade aus den (rechts-)populistischen Ecken ja so unglaublich gern gegen das Gendern und alles, was damit in Zusammenhang gebracht wird, gewettert wird. Spannend deswegen, weil es von ebendieser Seite nichts anderes als Framing ist, was dort methodisch betrieben wird. Die Wirkmacht von Sprache (Frames) gezielt nutzen, um der Wirkung von Sprache zu widersprechen. Bei gleichzeitiger Behauptung, selbst unideologisch und nur rational zu handeln. Man möchte sich scheckiglachen, wenn es nicht so kreuzgefährlich wäre.
Und damit wären wir bei der Frage, die dieses Buch ja letztlich angesichts der ausgebreiteten Erkenntnisse und Beispiele stellt: Was bedeutet das für das Funktionieren von Demokratie?
Dieser Band hatte nicht zum Ziel hierfür erschöpfende Antworten zu liefern. Zum Glück gibt es eine breitere Debatte um die Zukunft unserer Demokratie. Angesichts der Angriffe auf das demokratische Selbstverständnis müssen wir viel intensiver klären, was wir darunter eigentlich verstehen wollen, uns diese Einsicht wieder und wieder erarbeiten und reflektieren. Dazu gehört zweifelsohne auch, Wissen, wie das um Frames, in Lehrpläne und Diskurse einfließen zu lassen.
Sprache wirkt, sollte sich doch eigentlich auch eindeutig positiv besetzen und nutzen lassen.
Kurz und gut: Kurz, knackig, informativ und definitiv anregend. Lesen!
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