„Der Zug hält auf offener Strecke, was nichts Außergewöhnliches ist. Das etwa dreihundert Meter von den Gleisen entfernte Waldstück brennt, ebenfalls nicht außergewöhnlich. Unklar ist nur, ob es einen Zusammenhang gibt.“ (Seite 7)
Ich sag mal so: Schnappt euch das bequeme Kissen für den Balkonstuhl oder die Liege auf der Terrasse, stellt die Leselampe bereit, ein paar Kaltgetränke – und der sommerliche Schmökerabend kann starten.
Wie schon in den letzten Bänden entwirft Zoë Beck auch hier eine spannende Geschichte, die in einer nahen, dystopischen Zukunft spielt. Der Klimawandel hat zugeschlagen, Wälder brennen, Wohlstand ist nur noch ein Versprechen für die Reichen – alle anderen leben wie Harriet, die Hauptfigur, zum Beispiel in ehemaligen Bürotürmen die meiste Zeit ohne Strom.
Harriet hatte bis zu einer schiefgelaufenen Hand-OP eine Karriere als Pianistin vor Augen. Nun verdient sie ihren Lebensunterhalt als Klavierstimmerin und als Sicherheitskraft. Ganz thrillermäßig bekommt ihr Leben ohne Vorwarnung Risse, als sie in einer Notsituation plötzlich Autor fahren kann. Ihre in einem Feuer verbrannten Dokumente werden ersetzt, mit dabei ein Führerschein, von dem sie nicht wusste, dass sie ihn jemals gemacht hatte. Und dann ist da noch diese alte Frau, die sie zu erkennen scheint, obwohl sie schwören könnte, sie nie zuvor gesehen zu haben.
Stück für Stück platzen die Risse in dem, was sie für die Erinnerungen an ihr Leben hielt, auf. Es schleichen sich Bilder und Szenen in ihren Kopf, die aussehen wie Erinnerungen, die sie sich aber nicht erklären kann. Die Suche nach Antworten führt sie aus ihrem Leben in Frankfurt/Main, wie sie es kennt, zurück in die Vergangenheit nach München. Hier ist sie aufgewachsen und muss feststellen, dass das Haus ihrer Kindheit noch immer steht, als wäre sie erst gestern ausgezogen. Das Nachbarsehepaar gibt es auch noch – und sie scheinen mehr zu wissen als sie selbst.
Dass wir unseren eigenen Erinnerungen nicht immer glauben können, ist ja eigentlich eine Binsenweisheit. Wir wissen, dass wir Dinge rückblickend verklären, vergrößern, verdrängen, uns bewusst oder unbewusst zurechtbiegen können. Normalerweise haben wir aber dennoch eine Art Grundvertrauen in sie.
Insofern ist es natürlich ein passender Aufhänger für einen Thriller damit zu spielen, dass Harriet durch scheinbar zufällige Details immer mehr an sich und ihren Erinnerungen zweifeln muss. Was ist meine Vergangenheit und wer bin, wenn sie anders war als ich bisher glaubte.
Im Zeitalter von allgegenwärtigen Smartphones und Social Media finde ich diese Frage noch einmal besonders spannend, weil ja scheinbar das ganze Leben dokumentiert wird oder zumindest die Möglichkeit dazu besteht. Bin ich aber, wenn ich meine Erinnerungen so aus mir selbst auslagere, noch Herr dieser Erinnerungen? Was passiert eigentlich, wenn sie buchstäblich löschbar sind? Vielleicht auch: Laufen wir Gefahr, dass tatsächliche Erinnern zu verlernen, je mehr wir aus unserem Kopf auslagern und was bedeutet das eigentlich für unsere individuelle Identität? Ok, soweit führt der Thriller dann doch nicht. 😉
Kurz und gut: Sehr solide Thrillerkost. Wenn du das willst, bekommst du auch genau das. Lesen!
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