Dienstag, 7. Januar 2025

Cormac McCarthy: Ein Kind Gottes


„Sie kamen in der Morgensonne wie eine Karawane von Schaustellern durch die mit Bartgras bewachsenen Senken und über den Hügel, der Lkw schaukelte und schlingerte in den Furchen, die Musiker, die auf den Stühlen auf der Ladefläche saßen, schwankten, während sie ihre Instrumente stimmten, der fette Gitarrist gestikulierte grinsend in Richtung anderer in einem Wagen dahinter, beugte sich vor, um dem Fiddler einen Ton anzugeben, und dieser drehte lauschend und mit gerunzelter Stirn an einem Wirbel.“ (Seite 7)

Ok, dieses Buch ist definitiv nichts für kuschelige Weihnachtsfeiertage oder eine leichte Weißweinlaune unterm Sonnenschirm am Strand. Ich glaube, sehr starker Kaffee oder etwas Gebranntes passen da besser und ein Halblicht, das noch nicht zu viele Schatten wirft, aber schon etwas leicht Dramatisches in sich hat.

Karg ist das Leben von Lester Ballard in Tennessee in den 60ern des letzten Jahrhunderts. Wie so oft bei McCarthy ist alles irgendwie in eine triste Wildwest-Romantik getaucht, nur ohne Romantik. Denn das ist so ziemlich das Letzte, was einem bei Lester Ballard einfallen würde.

Es ist schon wieder eine Weile her, dass ich den Roman gelesen habe. Im Kopf geblieben ist mir eine zottelige, abgerissene und wirklich zutiefst bemitleidenswerte Nicht-Figur. Aber selbst das Mitleid löst sich auf wie der Morgendunst wenn eine trübe Sonne über dem tristen Land aufgeht und ihren Blick auf diese Existenz am Rand wirft.

Es braucht gar nicht viel zu wissen über Lester Ballard, denn McCarthy beschreibt einfach und zugleich poetisch den Abstieg dessen, der eigentlich schon unten angekommen zu sein scheint. Haft, Psychiatrie – wie viel tiefer kann es noch gehen?

Lester Ballard zieht sich buchstäblich unter die Erde zurück, wo er alles Menschliche gänzlich zu verlieren scheint, die Opfer seiner Serienmorde ansammelt, ein Dasein führt, für das es in der Welt, der er so weit entrückt ist, schlicht keine Worte mehr gibt.

Besonders ist mal wieder die Sprache McCarthys, die ohne sprachlichen Zierrat auskommt und das Grauen umso besser trifft. Hier geht es ihm aber eben nicht um den Effekt, der Grusel der Zuschauer, auf den billige Horrorfilme abzielen würden. McCarthy lässt die Frage, wo das, was uns als menschlich auszeichnet, anfängt oder vielmehr aufhört. Einsamkeit, purer Instinkt und Trieb, gerade mal der Wille irgendwie zu überleben?

Das Mitleid verfliegt, schrieb ich oben. Und tatsächlich zeichnet McCarthy mit Lester Ballard eine Figur, die, als von der Gesellschaft Ausgestoßener, in einer endlosen Abwärtsspirale gefangen ist. Das schreit doch nach Mitleid. Aber nein, wenn die letzte Seite gelesen ist, folgt eher ein Aufatmen, dass dieses Phantom ein Ende hat. Auf dem Weg dahin ist es schier unerträglich.

Damit hebt McCarthy umso mehr hervor, wie unaufhaltsam diese Spirale geraten kann – für einen Ausgestoßenen wie für diejenigen, die ihn einfach nur noch weghaben wollen, wie menschliches Ungeziefer.

Der Roman buchstabiert die gesellschaftliche Ebene nicht aus, muss er aber auch gar nicht. Auch wenn am Ende immer noch kein echtes Mitleid mit Lester Ballard steht, machte sich bei mir zumindest eine Beklommenheit breit, die mich noch eine Weile beschäftigt hat.

Kurz und gut: Das ist düster. Lesen!

(Übersetzung: Nikolaus Stingl)

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