„Zwischen den Bänden herrscht Dunkelheit. Eine rabenschwarze und saukalte isländische Dunkelheit. Doch keine ganz stille, denn Wind pfeift hindurch, Nordwind mit nassen Böen, sie prasseln auf die kleine arktische Ortschaft ein, die wir uns im ersten Band aufgebaut haben.“ (Seite 9)
Ich habe ja diesen Hype um Urlaubsreisen in skandinavische Länder schon nicht verstanden. Und Island ist, was das angeht, ja quasi die kahlere und noch trostlosere Ausgabe. Aber diese Lesereise mit Hallgrímur Helgason ist jede Seite wert.
Schon den ersten Band der Roman-Trilogie zu Islands Reise in die Moderne, 60 Kilo Sonnenschein, war sprachlich grandios. Tolle Geschichten rund um das Leben des jungen Gestur und die Menschen im fiktiven Segulfjördur kurz vor der Schwelle zur Moderne.
So viel kann ich unumwunden sagen: Der zweite Band hält in vollem Umfang, was der Erste versprach.
Die Geschichte folgt weiterhin dem nun langsam erwachsen werdenden Gestur und erzählt ganz nebenbei von den unglaublichen Umwälzungen, denen sich eine im Grunde noch fast im Mittelalter lebende Gesellschaft gegenübersieht.
Norweger und Dänen entdecken den Fjörd und die See davor als lukratives Fanggebiet für Hering und bauen in der kleinen Ortschaft Landungsstege und Verarbeitungsmöglichkeiten auf. Und plötzlich können die Menschen vor Ort für ihre Verhältnisse richtig Geld verdienen, Geld das zuvor noch gar keine große Relevanz in ihrem Leben spielte. Aus ihren Erdhäusern ziehen sie in gebaute, moderne Häuser, Straßen werden angelegt, die Frauen verdienen mit Akkordarbeit im Heringausnehmen ihr eigenes Geld.
Kein Wunder, dass auch Gestur angesichts dieser Möglichkeiten sein Leben in die eigenen Hände nehmen will und sich seine Zukunft erkämpfen. Während das zunächst noch eine ungeformte Idee ist, entdeckt Gestur inmitten eines Schneesturms die Liebe. Oder die Lust. Vielleicht auch beides. Schon steht er mitten in diesem Erwachsenenleben, und es dauert nicht lang, dass er sich nicht nur in der Rolle des Liebhabers, des Verliebten und eines Vaters wiederfindet.
Der Verkauf von Land, dass schon einmal unter einer Gerölllawine begraben wurde, soll ihm endlich den Wunsch nach einem richtigen Haus erfüllen. Doch auf dem Weg dahin, verteilt das Schicksal so einige Kinnhaken. Gestur stemmt sich dem entgegen und will seine Zukunft in keinem Fall kleiner denken. Das gilt spiegelbildlich ebenso für die inzwischen aufblühende Stadt, auch als der Hering plötzlich ausbleibt.
Interessant finde ich, dass in diesem Band die Erzählstimme immer stärker auch als Kommentator aus der Zukunft Islands auftritt, also unserer heutigen Gegenwart. Erzählerisch gelingen so immer wieder selbstironische Bemerkungen über die Entwicklungen, die die isländische Gesellschaft beim Hineintapsen und Stolpern in die Moderne so nimmt. Außerdem macht das mal so richtig Spaß zu lesen.
Kurz und gut: Epos mit Selbstironie und viel Humor. Lesen, unbedingt!
(Übersetzung: Karl-Ludwig Wetzig)
#lesewinter #roman #hallgrimurhelgason #tropen #island #geschichte #moderne #gesellschaft #hering #zeitenwende #armut #lesen #leselust #lesenswert #leseratte #bücher #literatur
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen