Mittwoch, 31. Juli 2024

Mosaik #584


Für mehr bunte Hefte anstatt graue Aktenordner!

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Dienstag, 30. Juli 2024

Elisabeth Wehling: Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht

 

„Menschen sind rationale Wesen.“ (Seite 17)

Ich sehe schon das Schmunzeln vieler vor mir, bei diesem Satz. Weil die Alltagswahrnehmung ja oft genug eine andere ist. Wenigstens, was das Handeln der anderen angeht. Das hehre Selbstbild tragen wir aber nicht nur individuell in uns, es findet sich auch als langes Erbe der Aufklärung gesellschaftlich wieder. So weit, so gut.

Spätestens seit dem Aufkommen von Rechtspopulist:innen und deren kommunikativem Handeln und den Folgen daraus für politische Diskurse, streift die Debatte ab und an auch die Frage, wie wir eigentlich politisch kommunizieren. Legt man, wie die Autorin das hier macht, daneben, was Neuro- und Kognitionsforschung so in den letzten Jahren erforschten, bekommt das hehre Selbstbild der aufgeklärten und rationalen Wesen doch einige Schrammen.

Die gute Nachricht ist: Sprache wirkt. Tatsächlich.

In diesem nützlichen und empfehlenswerten Band beschreibt Wehling, wie Sprache dazu beiträgt, dass in unseren Köpfen Deutungsrahmen entstehen, die im Weiteren unsere Weltsicht entscheidend prägen. Sie entstehen schon im frühesten Kindesalter mit dem Spracherwerb, sicherlich auch durch die weiteren Einflüsse, denen wir so tagein tagaus ausgesetzt sind – und werden durch Sprachgebrauch immer wieder aktiviert und verfestigt.

Wunderbar praktisch, mit hohem Wiedererkennungswert, beschreibt die Autorin zahlreiche Debattenbeispiele, die die Ausgangsthese wunderbar illustrieren. Hier ein paar Beispielthemen: Steuern, Sozialleistungen, Abtreibung, Zuwanderung und Asyl.

Vermutlich lässt sich hier schon gut erahnen, welchen Effekt das Buch beschreibt. Steuern sind natürlich eine Last, die drückt und bei Strafe eingetrieben wird und natürlich gemindert gehört. Selten taucht in diesem Frame auf, dass sie unser aller Beitrag zum Gemeinwesen sind.

Sozialleistungen – hier lohnt sich ein Blick auf die aktuelle Debatte ums Bürgergeld – werden selbstverständlich gnädig gewährt und ihre Bezieher:innen argwöhnisch beäugt. Vom Einfordern eines geregelten Anspruchs zum Gefühl dann doch nur zu betteln ist es für Betroffene nicht weit. Die Debatte führen aber die, die unter der Steuer- und Abgabenlast ächzen (siehe einen Absatz weiter oben) und oft genug selbst panische Angst davor haben, ihren Lebensstandard nicht halten zu können. Abzurutschen. Nach unten. Zu denen, die sich nicht genug anstrengen oder, schlimmer noch, gar nicht wollen. Framing eben.

Spannend finde ich, dass gerade aus den (rechts-)populistischen Ecken ja so unglaublich gern gegen das Gendern und alles, was damit in Zusammenhang gebracht wird, gewettert wird. Spannend deswegen, weil es von ebendieser Seite nichts anderes als Framing ist, was dort methodisch betrieben wird. Die Wirkmacht von Sprache (Frames) gezielt nutzen, um der Wirkung von Sprache zu widersprechen. Bei gleichzeitiger Behauptung, selbst unideologisch und nur rational zu handeln. Man möchte sich scheckiglachen, wenn es nicht so kreuzgefährlich wäre.

Und damit wären wir bei der Frage, die dieses Buch ja letztlich angesichts der ausgebreiteten Erkenntnisse und Beispiele stellt: Was bedeutet das für das Funktionieren von Demokratie?

Dieser Band hatte nicht zum Ziel hierfür erschöpfende Antworten zu liefern. Zum Glück gibt es eine breitere Debatte um die Zukunft unserer Demokratie. Angesichts der Angriffe auf das demokratische Selbstverständnis müssen wir viel intensiver klären, was wir darunter eigentlich verstehen wollen, uns diese Einsicht wieder und wieder erarbeiten und reflektieren. Dazu gehört zweifelsohne auch, Wissen, wie das um Frames, in Lehrpläne und Diskurse einfließen zu lassen.

Sprache wirkt, sollte sich doch eigentlich auch eindeutig positiv besetzen und nutzen lassen.

Kurz und gut: Kurz, knackig, informativ und definitiv anregend. Lesen!

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Sonntag, 28. Juli 2024

Edward P. Jones: Die bekannte Welt


„Henry Townsend, ein ehemaliger Schuhmacher und Sklave, ist selbst Sklavenhalter und Besitzer einer Farm geworden. Als er stirbt, zerbricht das fragile Gefüge. Seine Witwe Caldonia erstarrt in Trauer; Sklaven entfliehen; Familien, die unter dem Gewicht der Unfreiheit zusammenhielten, beginnen einander zu betrügen; weiße Patrouillen sehen zu, wie freie Schwarze in die Sklaverei verkauft werden. Die bekannte Welt erzählt davon, wie die Institution der Sklaverei ihre eigene Welt errichtet, wie sie Gedanken, Körper und Seele eines jeden Menschen – frei oder unfrei – durchdringt.“ (Umschlagtext)

Vor einigen Jahren kaufte ich mir ganz motiviert das englischsprachige Taschenbuch. Ich weiß ja, es gehört heute zum guten Ton, das Englische so gut zu beherrschen, dass man Bücher und Serien und Filme und so im Original genießen kann.

Zugegeben, dass wir hierzulande eine so ausgeprägte und gute Übersetzungskultur pflegen, macht es mir leicht, mich nicht genug auf den Hosenboden zu setzen und mein Englisch zu verbessern und stattdessen eben viele gute Übersetzungen zu lesen. 😉

(Übersetzung: Hans-Christian Oeser/ Anna Jäger)

„Die bekannte Welt im Jahr 1855 in Virginia: Wenigen Schwarzen gelingt es, sich die Freiheit zu erkaufen. Einzelne von ihnen halten selbst Sklaven.

Henry Townsend liegt in seinem Wohnhaus auf seiner Baumwollplantage im Sterben. Seinem Vater Augustus, einem begabten Tischler, war es gelungen, erst sich selbst, dann seine Frau und Jahre später auch seinen Sohn aus der Sklaverei freizukaufen. Henry entschied sich, Sklaven zu halten, um ein besserer Master zu werden, als ein Weißer es je sein könnte. Seine Sklaven sollen seine Schützlinge sein und er ihr guter Hirte, der sie mit Essen und Arbeit versorgt und ohne jede Gewalt führt. Doch das unmenschliche System der Sklaverei kann keine Menschlichkeit hervorbringen. Es bestimmt das Leben eines jeden, der darin verstrickt ist.

Ausgehend von einer nahezu unbekannten historischen Fußnote erzählt Edward P. Jones eine Geschichte aus der späten Zeit der amerikanischen Sklaverei – unmittelbar, bedrückend und von beispielloser Kraft. Die bekannte Welt ist eine literarische Sensation, vielfach ausgezeichnet und in überarbeiteter Übersetzung doch noch zu entdecken.“ (Klappentext)

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Mittwoch, 24. Juli 2024

Philippa Perry: Das Buch, von dem du dir wünscht, deine Eltern hätten es gelesen (und deine Kinder werden froh sein, wenn du es gelesen hast)


(Übersetzung: Karin Schuler)

„Dies ist kein Erziehungsbuch im engeren Sinn.
Es geht hier nicht ums Töpfchen-Training oder ums Abstillen, sondern vielmehr um die Beziehungen zu unseren Kindern und um die Frage, was einer guten Verbindung im Weg stehen und was sie verbessern kann.“ (Seite 9)

Als ich über diesen Band stolperte, musste ich selbst etwas darüber schmunzeln, dass mich der Titel irgendwie neugierig machte, obwohl ich ja in der Erwachsenenbildung unterwegs bin und nicht in der Kindererziehung. Im zweiten Gedanken enthüllte meine Neugierde aber einen eigentlich folgerichtigen Sinn: Die Zielgruppen, mit denen ich so arbeite, bestehen oft aus Eltern, die genau solche Bücher lesen. Oder es sind die nicht mehr kindlichen Kinder derjenigen, die solche Ratgeber lesen und womöglich unter anderem dadurch geprägt wurden.

Oder anders formuliert: Wenn ich als Kommunikationstrainer wissen will, was Teilnehmende in meinen Veranstaltungen so im Gepäck haben, erscheint es nur logisch, auch mal zu schauen, was diese Menschen als Kinder oder eben als Eltern so geprägt haben könnte. Und sind letztlich die Beziehungserfahrungen, die wir familiär von Klein an erfahren nicht ohnehin grundlegend für unseren späteren Umgang mit anderen in der Welt.

Spannend ist es natürlich ebenso, bei solcher Lektüre mal nebenher die Erinnerungen an die eigenen Eltern und deren Erziehungsmethoden und ihre Auswirkungen zu betrachten. Jaja, Mutti, so ist das. 😊

Im Mittelpunkt des Buches stehen die Beziehungen von Eltern zu ihren Kindern. Es geht um die Frage, wann und in welcher Art diese Beziehungsarbeit einsetzt. Die Autorin will, und das empfand ich als glaubwürdig, keine Rezepte bieten sondern eher Anknüpfpunkte, um das eigene Handeln zu reflektieren. Ein Ansatz, der mir sympathisch ist. 😉

Im Grunde dreht sich, wenig überraschend, alles um Kommunikation und kommunikatives Handeln. Das beinhaltet den Hinweis, dass Eltern sich über die eigenen Motive, Motivationen und Erfahrungen im Klaren sein sollten, wenn sie ihren Kindern erzieherisch gegenübertreten.

Gut und beispielreich herausgearbeitet empfand ich den Punkt, Kinder jedweden Alters in ihrem Wollen, Handeln usw. ernst zu nehmen, ohne dabei aus den Augen zu verlieren, dass es natürlich erst einmal ein ungleiches Beziehungsverhältnis ist. Wer mehr weiß, wer Verantwortung für wen trägt, wer über den anderen bestimmt – all das ist ja recht eindeutig verteilt und zugewiesen. Warum und wie dieses Ernstnehmen aber dennoch gelingen kann, das versucht die Autorin zu beschreiben.

Das dies kein Fachbuch für ein Fachpublikum ist, ist offensichtlich. Es richtet sich an Eltern, die im Zweifelsfall nicht ausgebildete Pädagogen sind. Das lässt die Beschreibungen oder Erkenntnisse für meinen Geschmack manchmal etwas banal wirken. Andererseits ist es sicher auch dem geschuldet, dass im englischsprachigen Raum immer etwas mehr Wert auf Eingängigkeit und Verständlichkeit gelegt wird. Und eingängig und verständlich ist der Text in jedem Fall.

Kurz und gut: Ob mit oder ohne Kinder: In Sachen Kommunikation und Beziehungsarbeit geht das Buch als Leseempfehlung durch. 😉

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Sonntag, 21. Juli 2024

Neal Stephenson/ Nicole Galland: Der Aufstieg und Fall des D.O.D.O.


„Ich heiße Melisande Stokes, und das ist meine Geschichte.“ (Seite 9)

Nicht mal 850 Seiten. Von wegen, ich würde nicht auch mal was Dünneres lesen. 😊

Ich bekenne ja hier regelmäßig, dass ich auch Fanboy von so manchen Autor:innen bin. Und Neal Stephenson gehört halt einfach dazu. Insofern könnt ihr schon mal von einer unbedingten Leseempfehlung ausgehen. 😉

Die Prämisse dieses überaus unterhaltsam geschrieben SciFi-Romans ist es, dass Magie real existiert hat. Ausgerechnet das Aufkommen der Aufklärung mit all ihren wissenschaftlichen Folgen sorgte dann für den langsamen Rückgang, bis sie 1851 schließlich ganz verschwand. Zurück blieben Hexen, ohne Kräfte, nachdem sie die Menschheitsgeschichte über die Trägerinnen von Magie waren.

In der Jetztzeit wird die Linguistin Melisande Stokes von einem Regierungstypen angeheuert, um diese Geschichte der Magie mittels alter Dokumente und Artefakte zu rekonstruieren und herauszufinden, was sie genau hat verschwinden lassen. Selbstverständlich wird sie fündig, und es braucht nur noch einen findigen Wissenschaftler, der ein Gerät entwickeln kann, was Magie zumindest auf überaus begrenztem Raum wieder ermöglicht.

Was läge nun also näher, als in der Zeit zurückzureisen, um den Verlust der Magie im Hier und Heute auszugleichen. Schließlich ergäben sich ungeahnte vor allem militärische Möglichkeiten für den Staat, der Magie einsetzen könnte.

D.O.D.O. soll genau das für die US-amerikanische Regierung schaffen. Das Department of Diachronic Operations – eine offizielle und generalstabsmäßig aufgezogene Regierungsbehörde. Mit zunehmenden, erfolgreichen Missionen in die Vergangenheit wird die Behörde immer größer, wichtiger und immer mehr zum Spielball mächtiger Interessen.

Natürlich meldet sich auch die Vergangenheit zu Wort und sorgt für so einiger Überraschungen und Herausforderungen. Melisande und die ihr nahestehenden Beteiligten kommen also gut ins Schwitzen.

Ich mogele mich auch bei diesem Band ein wenig darum herum zu viel zu verraten, weil es dem Lesespass natürlich die Überraschung nähme. Ein paar Gedanken zum Roman hab ich aber noch. 😊

Grandios finde ich die sehr anschauliche beschriebene Entstehung einer Behörde. Das ist so unglaublich witzig zu lesen, wie sich im Management- und Projektsprech plötzlich alles um die korrekte Verwaltung gekümmert wird. Auf der anderen Seite stehen die Wissenschaftler, die mit Leidenschaft um der Sache willen forschen und Leib und Leben riskieren – natürlich ohne ebenso hinreichend Klischees aus dem Genre zu bedienen.

Neben diesen beiden Gruppierungen mit Interessen und Motivationen kommen schnell noch Militärs und Politiker hinzu, für die natürlich nur die Frage relevant ist, was sich mit Magie zur eigenen Machtsteigerung anfangen lässt. Gestalten mit ausgeprägtem Machtinteresse finden sich auch in der Vergangenheit. Und weil da nun andauernd Agent:innen aus der Zukunft herumlaufen, bleibt das nicht unbemerkt und sorgt für einen weiteren Plottwist. Schließlich gibt es noch die Hexen aus den verschiedenen historischen Zeiten. Verwundert es, dass auch sie anfangen, ein ganz eigenes Interesse an den Entwicklungen zu entdecken?

Großartig ist, wie Stephenson und Galland all das zu einer witzigen und gar nicht kitschen Story zusammenbauen, die mit allen einschlägigen Klischees spielt, sie aber eben nicht zu wichtig nimmt. Dafür nutzt das Duo die Möglichkeit, verschiedenen Protagonist:innen die Erzählstimme zu leihen. Das hält das Tempo über die ganze Story hinweg hoch. Und obwohl früh klar ist, wie das Ende vermutlich aussehen wird, bleibt es dennoch spannend.

Lustig ist es übrigens auch, wenn man ganz nebenher mal Dodo googelt. Das aber nur am Rande. 😊

Kurz und gut: Was soll ich lange drumherum reden? Lest Neal Stephenson! Alles!

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Freitag, 19. Juli 2024

Grit Lemke: Kinder von Hoy. Freiheit, Glück und Terror


Nullte Stunde, Montagmorgen, Planetarium.“ (Seite 7)

Mal wieder literarisch im Osten unterwegs – dieses Mal: Hoyerswerda. Ich war da noch nie, kenne zwar Bilder, mindestens die von 1991, aber darin erschöpft es sich auch. Dokumentarischer Roman klingt ja auch erstmal interessant. Also hab ich neugierig angefangen zu lesen.

Grit Lemke erzählt im Wesentlichen eine Geschichte ihrer Generation, sie ist 1965 geboren, mit der sie in Hoyerswerda aufwuchs und erwachsen wurde. Spannend an diesem Projekt ist, dass sie in ihre autobiografisch fundierte Erzählung Stimmen von Menschen mischt, die Teil ihrer Vergangenheit sind. Das wirkt kein Stück gekünstelt und verstärkt den Eindruck, hier mehr als nur eine Perspektive lesen zu können.

Die Generation, von der hier die Rede ist, kam nach Hoyerswerda, weil ihre Eltern zumeist im Energiekombinat „Schwarze Pumpe“ gearbeitet haben. Und ihr Hoyerswerda bestand aus den zehn geschichtslosen, neugebauten Wohnkomplexen, der Platte eben. Diese neu hochgezogene Stadt hatte offenbar auch im innerstädtischen Beziehungsgeflecht wenig mit der Altstadt zu tun.

Freiheit und Glück im Untertitel beziehen sich sicher auf die geschilderte Erfahrung einer Kindergeneration, für die diese Neustadt ein großer Abenteuerspielplatz gewesen sein dürfte. Die Eltern arbeiten im Schichtbetrieb und alle werden irgendwie auch von den Eltern der Freund:innen oder den Nachbar:innen mitgroßgezogen. Da die Neustadt anscheinend im Wesentlichen von jungen Familien, deren Kindern und kaum von alten Menschen bewohnt war, dürfte das den Eindruck verstärkt haben, ohne so manche Zwänge aufzuwachsen, wie sie an anderen Orten durchaus Gang und Gäbe waren.

Die Autorin und ihre Freund:innen begeistern sich als Jugendliche und junge Erwachsene für Kunst und Kultur, gründen ihren eigenen Klub, in dem auch Gerhard Gundermann eine Rolle spielt. Geplant, ungeplant finden sie sich mit dadaistischen Experimenten in kulturell-künstlerischer Opposition wieder. Und soweit könnte das ja eine irgendwie friedvolle Geschichte gewesen sein.

Allein es ist natürlich vollkommen klar, dass die Entwicklung in der Stadt und damit das Leben dieser jungen Menschen eben genau auf die unsäglichen Ereignisse 1991 zusteuert, mit denen Hoyerswerda in der Geschichte traurige Berühmtheit erlangte. Als mit der Wiedervereinigung auch in dieser Stadt die ökonomische Abrissbirne herumschwingt und einen Kahlschlag hinterlässt, machen Neonazis Jagd auf ausländische Arbeitskräfte, die zuvor von der DDR angeheuert wurden. Das Ziel: eine „ausländerfreie Stadt“.

Die hier beschriebene Generation vermag dem nichts entgegenzusetzen. Was bitter genug ist, weil es ihren vermutlichen Idealen entsprochen haben dürfte. Aber auch ihre Eltern haben offenbar geschwiegen, wenn sie nicht gar inmitten der Einwohnerscharen ebenfalls Beifall geklatscht haben. Hätten sie anders agieren können, sollen, müssen?

Die Schilderung, wie sie einen Kulturabend veranstalten, währen wenige hundert Meter entfernt der Mob tobt, war beim Lesen für mich ein Schlag in die Magengrube. Auch, weil ich gar nicht mal sagen kann, ob ich es diesen damals jungen Menschen vorwerfen wollte. Aber dieses laute Schweigen dröhnt beim Lesen wirklich schmerzhaft in den Ohren.

Die DDR, in der ich zehn Jahre nach Grit Lemke zur Welt kam und in der ich aufwuchs (in Nordwest-Thüringen), wirkt auf mich nachträglich wie auf einem anderen Planeten. Nicht wahnsinnig weit entfernt aber weit genug, um diese Geschichten wie durch ein Fernglas wahrnehmen zu können. Genügend Details erkenne ich selbst wieder in den Anekdoten und Beschreibungen ihrer doch glücklichen Kindheit.

Und wenn ich so drüber nachdenke, fallen mir auch Parallelen aus der Nachwendezeit ein. In meinem Dorf war natürlich alles ganz gesittet, aber nicht weit entfernt, galt die Trennung in Rechts oder Punk auch. Wir hörten das immer wieder. Dazu brauchte es nicht mal tatsächlich ausbrechende Pogromstimmung. Gewalttätig war die Erfahrung dieser „Baseballschlägerjahre“ genannten Zeit für viele alle mal.

Ergänzen würde ich noch die Faszination all des Neuen und Möglichen für uns Jugendliche damals. Aber dieses Aufbruchgefühl blieb stets umrahmt von einer oft gespürten Unsicherheit, Resignation, Zukunftsangst der Eltern, also derer, die uns hätten einen Halt geben sollen. Diese Eltern kommen in dem Buch von Grit Lemke vor allem in dieser Zeit bemerkenswerterweise auch so gar nicht mehr vor.

Letztlich lese ich solche Bücher ja auch, um mir selbst ein Bild davon machen zu können, was mit uns Ossis denn nun eigentlich los ist, angesichts der Zustimmungsraten, die die Nazis der AfD und andere derzeit gerade im Osten so erfahren. Gab es zum Beispiel nach den Hasstaten von Hoyerswerda oder Rostock einen Moment, in dem die Menschen spürten, wie unsäglich falsch das alles war?  Sorgte die Scham darüber angesichts der Gewalt versagt oder geschwiegen zu haben dafür, dass das Schweigen darüber immer weiter ging. Und ist die irgendwie erkennbare Trotzhaltung heute immer noch Ergebnis dieser Scham über sich selbst? Und ja, ich weiß, dass es hierauf keine einfachen Antworten gibt. Außer, dass wir alle in der Hand haben, wie wir heute handeln.

Dieser Band hat mich beim Lesen berührt und böse aufgewühlt, auch wenn ich trotzdem noch mehr Fragen als Antworten habe. Unterm Strich fand ich die Lektüre dieses Bandes um Längen hilfreicher als die Polemik von Dirk Oschmann. Dem will ich ja gar nix Böses, aber „Kinder von Hoy“ hat für mich sehr viel mehr Substanz und Wucht.

Kurz und gut: Ostalgie, die wehtut. Gut so, unbedingt lesen!

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Donnerstag, 18. Juli 2024

Zoë Beck: Memoria


„Der Zug hält auf offener Strecke, was nichts Außergewöhnliches ist. Das etwa dreihundert Meter von den Gleisen entfernte Waldstück brennt, ebenfalls nicht außergewöhnlich. Unklar ist nur, ob es einen Zusammenhang gibt.“ (Seite 7)

Ich sag mal so: Schnappt euch das bequeme Kissen für den Balkonstuhl oder die Liege auf der Terrasse, stellt die Leselampe bereit, ein paar Kaltgetränke – und der sommerliche Schmökerabend kann starten.

Wie schon in den letzten Bänden entwirft Zoë Beck auch hier eine spannende Geschichte, die in einer nahen, dystopischen Zukunft spielt. Der Klimawandel hat zugeschlagen, Wälder brennen, Wohlstand ist nur noch ein Versprechen für die Reichen – alle anderen leben wie Harriet, die Hauptfigur, zum Beispiel in ehemaligen Bürotürmen die meiste Zeit ohne Strom.

Harriet hatte bis zu einer schiefgelaufenen Hand-OP eine Karriere als Pianistin vor Augen. Nun verdient sie ihren Lebensunterhalt als Klavierstimmerin und als Sicherheitskraft. Ganz thrillermäßig bekommt ihr Leben ohne Vorwarnung Risse, als sie in einer Notsituation plötzlich Autor fahren kann. Ihre in einem Feuer verbrannten Dokumente werden ersetzt, mit dabei ein Führerschein, von dem sie nicht wusste, dass sie ihn jemals gemacht hatte. Und dann ist da noch diese alte Frau, die sie zu erkennen scheint, obwohl sie schwören könnte, sie nie zuvor gesehen zu haben.

Stück für Stück platzen die Risse in dem, was sie für die Erinnerungen an ihr Leben hielt, auf. Es schleichen sich Bilder und Szenen in ihren Kopf, die aussehen wie Erinnerungen, die sie sich aber nicht erklären kann. Die Suche nach Antworten führt sie aus ihrem Leben in Frankfurt/Main, wie sie es kennt, zurück in die Vergangenheit nach München. Hier ist sie aufgewachsen und muss feststellen, dass das Haus ihrer Kindheit noch immer steht, als wäre sie erst gestern ausgezogen. Das Nachbarsehepaar gibt es auch noch – und sie scheinen mehr zu wissen als sie selbst.

Dass wir unseren eigenen Erinnerungen nicht immer glauben können, ist ja eigentlich eine Binsenweisheit. Wir wissen, dass wir Dinge rückblickend verklären, vergrößern, verdrängen, uns bewusst oder unbewusst zurechtbiegen können. Normalerweise haben wir aber dennoch eine Art Grundvertrauen in sie.

Insofern ist es natürlich ein passender Aufhänger für einen Thriller damit zu spielen, dass Harriet durch scheinbar zufällige Details immer mehr an sich und ihren Erinnerungen zweifeln muss. Was ist meine Vergangenheit und wer bin, wenn sie anders war als ich bisher glaubte.

Im Zeitalter von allgegenwärtigen Smartphones und Social Media finde ich diese Frage noch einmal besonders spannend, weil ja scheinbar das ganze Leben dokumentiert wird oder zumindest die Möglichkeit dazu besteht. Bin ich aber, wenn ich meine Erinnerungen so aus mir selbst auslagere, noch Herr dieser Erinnerungen? Was passiert eigentlich, wenn sie buchstäblich löschbar sind? Vielleicht auch: Laufen wir Gefahr, dass tatsächliche Erinnern zu verlernen, je mehr wir aus unserem Kopf auslagern und was bedeutet das eigentlich für unsere individuelle Identität? Ok, soweit führt der Thriller dann doch nicht. 😉

Kurz und gut: Sehr solide Thrillerkost. Wenn du das willst, bekommst du auch genau das. Lesen!

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Mittwoch, 17. Juli 2024

Steffen Mau: Ungleich vereint. Warum der Osten anders bleibt


„Wer in der Ost-West-Debatte mit Schuldbegriffen operiert, ist schon auf dem Holzweg.“ (Umschlagtext)

Hah, schon wieder dieser Ossikram. 😉

Da schrieb ich jüngst noch meine persönliche Unzufriedenheit mit Dirk Oschmanns meinungsstarkem Text, landete kurz darauf auf meiner Lesereise in Hoyerswerda und lernte mit Grit Lemke „Die Kinder von Hoy“ kennen. Und schon landet der neue Band von Steffen Mau auf meinem Lesestapel.

Seit „Lütten Klein“ bin ich ja unbedingt Fan des Soziologen. Was mich tatsächlich abholt ist die unaufgeregte und wissenschaftliche Art über Ostdeutschland, Ostdeutsche und die Transformationsgeschichte zu schreiben. Nicht, dass ich nicht auch gelegentlich eine ordentliche Polemik angebracht finde. Aber Erkenntnisgewinn ziehe ich dann doch eher aus Texten wie denen von Steffen Mau.

In diesem Sinne freue ich mich auf die Lektüre und ahne, dass in diesem Jahr Ostdeutschland ohnehin noch oft und lang genug Thema sein wird. Wahlen und so. Ihr wisst schon. ^^

„Die Diskussion über Ostdeutschland und das Verhältnis zwischen Ost und West flammt immer wieder auf. Sei es anlässlich runder Jubiläen, sei es nach Protesten. Und dennoch gibt es in dieser Debatte keine Verständigungsfortschritte. Sie dreht sich im Kreis, auf Vorwürfe folgen Gegenvorwürfe: ‚Ihr seid diktatursozialisiert!‘ – ‚Ihr habt uns ökonomisch und symbolisch kleingemacht!‘
Im November 2024 jährt sich der Mauerfall zum 35. Mal. Bereits zuvor könnte die AfD aus drei Landtagswahlen als stärkste Partei hervorgehen. In dieser Lage meldet sich Steffen Mau mit einer differenzierten Intervention zu Wort. Der Soziologe setzt sich mit prominenten Beiträgen auseinander und widerspricht der Angleichungsthese, laut der Ostdeutschland im Lauf der Zeit so sein werde wie der Westen. Aufgrund der Erfahrungen in der DDR und wichtiger Weichenstellungen in den Wendejahren wird der Osten anders bleiben – ökonomisch, politisch, aber auch, was Mentalität und Identität betrifft. Angesichts der schwachen Verwurzelung der Parteien plädiert Mau dafür, alternative Formen der Demokratie zu erproben und die Menschen etwa über Bürgerräte stärker zu beteiligen.“ (Klappentext)


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Sonntag, 14. Juli 2024

Colson Whitehead: Underground Railroad


„Die furiose Odyssee einer Sklavin durch das Land der vermeintlichen Freiheit. Basierend auf der wahren Begebenheit der Underground Railroad, einem informellen Netzwerk aus Gegnern der Sklaverei, das Sklaven die Flucht ermöglichte.

Colson Whiteheads Bestseller über eines der dunkelsten Kapitel der Geschichte Amerikas – ausgezeichnet mit dem Pulitzer-Preis 2017.“ (Umschlagtext)

Kennengelernt habe ich Whitehead mit den „Nickel-Boys“, einer tragischen und aufwühlenden Geschichte, die ebenfalls um das Thema Rassismus in den USA kreist. Der Stil war so klar und eindringlich zugleich, dass ich blindlings auch diesen hochgelobten Roman gekauft habe.

Wie so oft, wenn historische Stoffe als literarische Vorlage dienen, bietet die Story ganz sicher genügend Anlass, über die gegenwärtige Lage in den Staaten nachzudenken. Ob nun der sich zuspitzende und immer weiter polarisierende Wahlkampf in den USA, aufflammende Bewegungen, wenn mal wieder ein Schwarzer Opfer von Polizeikugeln wurde usw.

Nachdem ich bereits die Verfilmung des Romans als Serie gesehen habe, bin ich umso gespannter auf den Text.

„Cora ist nur eine von unzähligen Schwarzen, die auf den Baumwollplantagen Georgias schlimmer als Tiere behandelt werden. Alle träumen von der Flucht – doch wie und wohin?
Da hört Cora von der Underground Railroad, einem geheimen Fluchtnetzwerk für Sklaven. Über eine Falltür gelangt sie in den Untergrund und es beginnt eine atemberaubende Reise, auf der sie Leichendieben, Kopfgeldjägern, obskuren Ärzten, aber auch heldenhaften Bahnhofswärtern begegnet. Jeder Staat, den sie durchquert, hat andere Gesetze, andere Gefahren. Es bleibt jedoch bis zum Schluss die Frage: Wartet am Ende die Freiheit?
Colson Whiteheads Roman ist eine virtuose Abrechnung damit, was es bedeutet, in Amerika schwarz zu sein.“ (Klappentext)

(Übersetzung: Nikolaus Stingl)

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Sonntag, 7. Juli 2024

Dirk Oschmann: Der Osten: eine westdeutsche Erfindung


„Das vorliegende kleine Buch stellt die erweiterte Fassung eines Artikels zur innerdeutschen Gemengelage dar, den ich am 4. Februar 2022 unter dem Titel Wie sich der Westen den Osten erfindet in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht habe.“ (Seite 11)

Na huch, eine wilde Debatte im Feuilleton und ich lese mal wieder schonungslos hinterher. Also so zeitlich gesehen. 😉 Das soll mich aber wie immer nicht davon abhalten, trotzdem noch ein paar Gedanken zur Lektüre aufzuschreiben.

Vorneweg aber wieder mal die Erkenntnis: Je weiter mein Aufwachsen in der DDR zurückliegt, umso öfter führt mich meine Lesereise dann doch wieder zurück. Meist spielt die Wendezeit eine Rolle, häufiger noch aber die Zeitspanne seither, als aus der DDR Ostdeutschland wurde. Lausche ich in mich hinein, verbinden sich persönliche Anekdoten, die eine Biografie nun einmal auch ausmachen, mit Einschätzungen, die wohl oft erst mit zeitlichem oder räumlichem Abstand möglich und erträglich werden. Man bekommt das Kind aus dem Osten heraus aber niemals den Osten aus dem Kind? – Mal in kleiner Abwandlung einer dieser Volksweisheiten und irgendwie rhetorisch gefragt.

Es gibt so einige Dinge, bei denen ich den Erfahrungen und Schilderungen Oschmanns bestens folgen kann. Das Sich-Erklären-Müssen zum Beispiel. Nach dem Abitur hab ich, zumindest für die Arbeitswoche, den Osten verlassen. Und immer dann, wenn ich mit Menschen aus den alten Bundesländern – oder eben Wessis – zu tun hatte, ergaben sich Gesprächssituationen, die mich geradezu zwangen oder dafür sorgten, dass ich mich gezwungen sah, mich zu erklären – als Ossi. Ob das nun politische Einschätzungen oder Einstellungen waren oder Alltagserfahrungen, immer wieder war etwas zu erklären, habe ich mich erklärt. In den 90ern war das schon noch massiver und alltäglicher als heute.

Heute entdecke ich mich doch ab und an dabei, dass ich Gespräche, Reaktionen und Handlungen anderer danach abscanne, ob ich eine Ostsozialisation ausmachen kann oder halt „typische Wessis“. Komisch, weil es mir eigentlich egal ist. Offenbar bin ich aber, egal ob ich will oder nicht, Teil einer Identitätsdebatte.

Ein anderes Ding: Ja, die Ossis sind auch in meiner Wahrnehmung erst nach dem Ende der DDR aufgetaucht. War deren Erfindung eine der Wessis, die all die unsäglichen Zurücksetzungen rechtfertigten, oder aber war es eine Trotzreaktion derer, die sich betrogen fühlten, betrogen um ihre Biografien, ihre Vergangenheit, ihrer Gegenwart oder auch ihrer Zukunft? Vielleicht stimmt ja auch beides gleichzeitig. Zumindest fügten sich die Menschen irgendwie in das System, dass sie zu DDR-Bürger:innen machte, ebenso wie in das neue System, in dem sie dann Ossis wurden.

Ja, schon klar, das ist grob gehauen, weil es ja immer und überall auch Leute gab und gibt, auf die das Raster nicht zutrifft. Aber jeder Besuch zuhause im Osten, ob in den 90ern oder auch später, schien mir dieses Raster zu bestätigen.

In dieses eher passive Sicheinfügen, gepaart mit viel Jammern und Klagen (hier ohne Wertung der Berechtigung oder nicht) mischte sich aber auch nach meiner Wahrnehmung schon früh Wut. Und Wut spricht ja schon auch aus dem lautstarken Text von Oschmann. Das ist, und dafür bin ich Autor und Text dankbar, eine andere Wut als die, die PEGIDA und Co. irgendwann anfingen auf die Straße zu tragen. Aber es ist eine Wut, die natürlich mit Identität zu tun hat, sei sie nun selbstgereift, übergestreift oder angeheftet worden.

Es gibt, wenn ich so drüber nachdenke, tatsächlich gar nicht so viel in dem Buch, wo ich dem Autor widersprechen möchte. Aber dennoch verursachte mir die Lektüre ein Unwohlsein. Ich verstehe die vehement vorgetragene Kritik, ich teile das Entsetzen und die Enttäusch über zum Beispiel die beschämend niedrigen Zahlen von Ossis in Führungsverantwortung selbst im Osten. Und trotzdem, hab ich den Drang widersprechen zu wollen.

Vielleicht behagt mir eine mögliche Konsequenz nicht, die sich bösartig aus dem Buch ziehen ließe, bei der ich mir schon recht sicher bin, dass der Autor sie nicht gemeint hat. Die Konsequenz wäre möglicherweise das Freisprechen von eigenen Unzulänglichkeiten, Dummheiten und Schlimmerem. Und damit lande ich natürlich zielsicher beim Wahljahr 2024, dass sich 2022 zur Fertigstellung des Buches ja erst in der Ferne abzeichnete.

Das ist der Moment, in dem ich mit Blick auf Wahlergebnisse, Debatten vor Ort etc., selbst am Osten verzweifeln mag. Gerade weil ich hier und da so viele grandiose Menschen kennenlernen konnte, die Oschmanns Kritik sicher teilen und trotzdem anders handeln. Anders als der medial vermittelte „Ossi“, den ich aber eben auch gut genug aus der freien Wildbahn kenne. Was hilft da aber dieses Buch?

Wenn die Intention war, der zutiefst westdeutsch geprägten Gesellschaft ordentlich einen einzuschenken und mit dem Holzhammer Punkte einzuhämmern, die allseits bekannt und leider gar nicht neu sind, dann ist das sicherlich für einen kurzen medialen Moment gelungen.

Im Osten aber befürchte ich, dass es über ein lapidares „endlich sagts mal eener“ kaum hinausgeht. Den Ossis hat dieses Buch, für mein Gefühl nicht viel zu sagen. Vermutlich, nein ganz sicher, wurde das Dirk Oschmann schon oft genug gesagt, dass sein Debattenband letztlich genau nach den Regeln der Debatte spielt, die er beklagt. Ich glaube, das ist auch, was mir das Unwohlsein beim Lesen verursacht hat. Aber es ist ja, zum Glück, nicht das einzige Buch zum Osten. Einige mehr fanden ja schon ihren Weg auf meinen Lesestapel und auch in mein Lesetagebuch.

Kurz und gut: Ich hab mich an dem Text gerieben, bin aber froh, dass ich ihn letztlich doch gelesen habe. Ist doch mal was. 😉

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Donnerstag, 4. Juli 2024

Mosaik #583


Verregneter Julitag – ganz überraschend empfehle ich mal wieder was Buntes. Mit Spannung, Spaß und Wissen noch dazu. Guckstdu! 😉

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