„Ein Weihnachtsbaum kam die Eleventh Avenue herauf.“ (Seite 15)
Eines schon mal vorweg: Dieser wirklich dicke Schinken war viel zu gut, um ihn abzubrechen. Aber ich habe eine halbe Ewigkeit gebraucht und etliche Leseabschweifungen dabei mitgenommen.
Kennt ihr das: Immer, wenn man mal wieder eine erste Seite gelesen hat, mag man das Buch gar nicht so schnell weglegen. Aber trotzdem gibt es eine Hürde, immer wieder dazu zurückzukommen?
An der Story hat das definitiv nicht gelegen. Das ist schon, wie der Umschlagtext verspricht, ein New York Roman. Die Stadt vorrangig in den Siebzigern ist das literarische Spielfeld und auf jeder Seite präsent. Ob es der Gegensatz zwischen heruntergekommenen Vierteln, die nur darauf warten, dass sie zum Spekulationsobjekt werden, und dem unfassbaren und protzig zur Schau gestellten Reichtum ist. Oder das Lebensgefühl entweder am Abgrund zu leben oder unfassbar satt und zugleich gierig zu sein. Das Leben nur noch mit Drogen zu betäuben oder mit rotzigem Punk oder mit beidem. Sex auch, weil man nichts Besseres zu tun weiß. Und ein bisschen Apokalypsenfeeling obendrauf.
Der Hauptbogen spannt sich zwischen einer Winternacht, in der Entwicklungen in Gang gesetzt werden, und dem darauffolgenden Sommer, in dem ein Blackout nicht nur die ganze Stadt lahmlegt, sondern gleich noch unumkehrbare Einsichten bringt.
Wie lose Enden verfolgt die Geschichte das Leben zweier Punk Teenager aus der Vorstadt, einen an sich selbst scheiternden Möchtegernautor, zwei viel zu reich geborene Geschwister, die beide an ihrem Erbe verzweifeln, einen Fast-noch-Ehemann auf abwegigen Abwegen, einen zweifelnden Polizisten mit mehr als einem Gebrechen, einen nicht ganz so rasenden Reporter. Und natürlich haben alle etwas miteinander zu tun.
Der Roman lässt sich auch gut Zeit damit, die Verbindungen aufzudecken. Erzählt das aber letztlich recht unterhaltsam, durchaus auch mit ironischem Ton. Immer wieder hab ich mich dabei ertappt, dass ich dachte, dass auf den letzten 30 Seiten auch gut hätte mehr passieren können. Es ist aber nicht so, dass mich diese Art der Langsamkeit tatsächlich genervt hätte.
Zwischendurch habe ich immer wieder überlegt, ob das Lebensgefühl in diesen westlichen Metropolen – auch über die Zeiten hinweg – nicht letztlich immer große Ähnlichkeiten aufweist. Ich meine, eine Stadt der Gegensätze ist Berlin durchaus auch. Menschen, die glauben, sie hätten schon alles gesehen und erlebt oder die einfach lebenssatt und bis ins Mark gelangweilt sind – das klingt doch irgendwie bekannt.
Da ich in den Siebzigern gerade zur Welt kam, kann ich nicht recht ermessen, was das Lebensgefühl in diesem Jahrzehnt ausgemacht haben könnte. Aber es wirkt in diesem Roman alles so merkwürdig dazwischen. Die gute alte Zeit scheint definitiv vorüber zu sein, ohne dass schon klar wäre, ob die kommende eine bessere würde oder eben nicht. Irgendwas zwischen Aufbruch und Resignation. Und vielleicht ist auch alles egal. Aber das sind eher nur meine Assoziationen.
Ist das ein guter Roman? Ich denke schon. Er ist unterhaltsam, nachdenklich, geschrieben mit genauem Blick auf Details und ohne Angst, Situationen wirklich auszuerzählen. Trotzdem wird er wohl eher ins Regal wandern, ohne dass ich daran denke, ihn vielleicht irgendwann noch einmal zu lesen. Irgendwie dazwischen halt.
Kurz und gut: Sind doch nur knapp 1070 Seiten. Kann man lesen!
(Übersetzung: Tobias Schnettler)
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