„Die alte
Schulfreundin, der Kollege, das Familienmitglied, die neuerdings davon raunen,
dass sie ihre Freiheit bedroht sehen – die meisten von uns können wohl von
solchen Begegnungen berichten.“ (Seite 9)
Vor gerade
mal zwei Jahren, 2022 nämlich, erschien diese Studie vor dem Eindruck der zunehmend
lauter und medial wirkmächtiger werdenden und sich festigenden Szene der
Corona-Leugner:innen/-Kritiker:innen. Dieser ursprüngliche Anlass nimmt dem
Band leider nichts an seiner Aktualität.
Das hier
untersuchte Phänomen von Menschen, die sich ultra-libertär gebärden, ihre
Freiheit vollumfänglich bedroht sehen, überall diktatorische Entwicklungen am
Werk sehen und sich stets und ständig bedroht und unterdrückt wähnen, findet
sich heute nicht weniger stark ausgeprägt. Ganz im Gegenteil findet diese
Haltung in mindestens der #noafd aber letztlich auch im BSW parteipolitische
Vertretungen, die bereit sind, sie in die politische Arena, in die Parlamente
zu tragen.
Es erscheint
mir zumindest geradezu grotesk, dass die Anlässe für die Behauptung einer Meinungsdiktatur
dicht gestaffelt und durch ihre Häufung inzwischen nahezu bedeutungslos
geworden sind. Waren es zunächst die Zumutungen, die uns alle unter dem
Eindruck der Coronapandemie ereilten, Maskenpflicht, eingeschränkte Bewegungsfreiheit
etc., reichten kurz darauf behauptete Meinungsverbote, die lautstark öffentlich
beklagt wurden, und selbst ein geplantes Gesetzesvorhaben zu Heizungen, das zum
Zeitpunkt der Debatte noch nicht mehr als ein internes Papier weit vor dem
Stadium eines Gesetzesentwurfes war.
Kurz, die
Haltung des libertären Autoritarismus ist nunmehr ein gefestigtes Phänomen,
dass leider alles andere als randständig ist, sondern vielmehr die Mitte der
Gesellschaft erreicht zu haben scheint. Dies wenigstens lassen die letzten Landtagswahlergebnisse
in Ostdeutschland vermuten, wenn man die Zahlen für #noafd und BSW zusammenrechnet.
Beide
vereint, dass sie wie die Corona-Leugner:innenszene zuvor ihre je individuelle
Freiheit derartig überbetonen und in den Mittelpunkt rücken, dass jedes
gesellschaftliche Ansinnen, das uns alle betreffen müsste, sofort als Angriff
auf dieselbe angesehen wird. Die hier eingeforderte Freiheit beinhaltet kaum
mehr einen gesellschaftlichen Zusammenhalt, der Einzelnen womöglich
Beschränkungen auferlegt, um gesellschaftlich wirksam werden zu können.
Ob menschengemachter
Klimawandel, Migration, gendergerechte Sprache – alles stellt eine
Einschränkung der eigenen Freiheit dar, egal ob es diese Einschränkungen in
Form von gesetzlichen Regelungen überhaupt gibt oder nicht. So passieren so
absurde Dinge wie, dass gesetzliche Regelungen auf den Weg gebracht werden, die
das Gendern untersagen, wo es zuvor keinerlei Regelungen gab, die das Gegenteil
versucht hätten. Alles im Namen der Freiheit.
Außerdem bietet
die hier untersuchte Haltung die Möglichkeit, sich selbst jederzeit als gekränkt,
unterdrückt und eingeschränkt zu empfinden. So wird jede noch so banale und
selbstverständlich mögliche Meinungsäußerung zum Widerstand stilisiert – und wer
das anders sieht, wird zum Feind.
Die bevorstehenden
Neuwahlen zum Bundestag und der nunmehr deswegen angelaufene Wahlkampf lassen
leider befürchten, das von den größten Kritiker:innen der Westbindung Deutschlands
und Europas eine weitere Amerikanisierung der hiesigen Verhältnisse befeuert
wird. Und sie beklatschen das, wie sich an dem Jubel über die Einmischungen von
Elon Musk in die deutsche Politik beobachten lässt.
Wie so oft,
hab ich nun etwas weiter ausgeholt, glaube aber, dass der Band von Amlinger und
Nachtwey vor diesem Hintergrund alles andere als überholt ist. Die Lektüre erfordert
schon einige Konzentration. Das ist kein politischer Kommentar, der sich mal
nebenher zwischen Abendbrot und Tatort lesen lässt. Aber die Mühe lohnt, weil
viel Wiedererkennen und Erhellendes garantiert sind.
Kurz und
gut: Eigentlich gruselige aber eben wichtige Erkenntnisse. Lesen, unbedingt!
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