Samstag, 15. Februar 2025

Ed Firth: Horny & High. Vol I


„Liebeskummer, Poppers-Rausch und der Kater am Tag danach – wenn der britische Comic-KĂŒnstler Ed Firth den Stift zĂŒckt, werden all diese Stimmungen spĂŒrbar. In seinem ersten Comic entfĂŒhrt der Erfinder des Kult-Zines ‚Pound Shop‘ die Lesenden auf eine melancholische Nachtbus-Fahrt, einen aus dem Ruder laufenden Chill-Out und einen ‚idyllischen‘ Cruising-Trip in den Park. Ein furioser Höllenritt durch die schwule Großstadtgegenwart – kompromisslos, authentisch und meisterhaft gezeichnet.“ (Umschlagtext)

Ich finde ja, dass heute ein wunderbarer Tag ist, um diesen Comic zu posten, der schon seit der #lbm24 in meinem BĂŒchereingangsstapel schlummert. Heute, weil in anderthalb Stunden in Berlin der #winterpride startet – als ein außerordentlicher CSD von gut 40 deutschlandweit. Angesichts von Diskursverschiebungen von Rechts, erstarkenden populistischen Parteien (rechts bis rechtsextrem oder immerhin rechtsoffen) ist das vor der Bundestagswahl am kommenden Wochenende ein wichtiges Zeichen: #wĂ€hltliebe

Ein solcher Blick in „die Szene“ ist ein TĂŒröffner zum VerstĂ€ndnis von Vielfalt. Vielfalt an LebensentwĂŒrfen, die einer wieder der andere berechtigt und wichtig sind. Darum darf dies nichts sein, um Menschen gegeneinander aufzuhetzen.

Genau das machen aber all die Illiberal-AutoritĂ€r-Verliebten, in dem sie ihre eigenen LebensentwĂŒrfe absolut und ĂŒber alle anderen setzen. Und damit ist auch klar, das nach einer Hetze gegen Migrant:innen, die Hetze gegen Trans-Menschen, die Hetze gegen anders Liebende, die Hetze gegen Frauen … Das lĂ€sst sich wirklich leicht ausrechnen und hat leider genĂŒgend historische VorlĂ€ufer.

Ein kleines Mosaiksteinchen, das einen kleinen Beitrag gegen diese Entwicklungen beitragen kann, ist Sichtbarkeit und Pride. Darum sind solche Comics wichtig, solche Storys und solche Demos – mit allen Klischees, die zum GlĂŒck dabei sind. Also: #wĂ€hltliebe

(Übersetzung: Timm Stafe)

#lesewinter #comic #edfirth #mĂ€nnerschwarm #salzgeber #london #gay #szene #liebe #lust #großstadt #polbil #lesen #leselust #leseratte #bĂŒcher #literatur #indiebook #yesyoucomican

Freitag, 14. Februar 2025

Annika Brockschmidt: Amerikas Gotteskrieger. Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefÀhrdet


„Demokratie als GotteslĂ€sterung, der Ausschluss von Nicht-Christen aus der Gesellschaft, staatliche Bildung als das Werk des Teufels – was wie krude Vorstellungen aus vormodernen Zeiten klingt, findet sich in Schriften und Predigten einflussreicher christlich-fundamentalistischer Vordenker aus den USA. Und so randstĂ€ndig diese Ansichten auch wirken mögen, haben sie teils doch ihren Weg in den konservativen Mainstream des Landes gefunden. So sind etwa die extrem restriktiven Abtreibungsgesetze mancher Staaten, die Ablehnung staatlicher Schulen oder der Kampf gegen Minderheitenrechte vielfach von diesen Denkweisen geprĂ€gt. DarĂŒber hinaus sind etwa eine religiös begrĂŒndete Relativierung von Sklaverei und Lynchjustiz sowie Vorstellungen von der Dominanz des weißen Mannes anschlussfĂ€hig an Positionen der extremen Rechten, wenn nicht gar mit diesen deckungsgleich. Annika Brockschmidt beschreibt die Geschichte der christlichen Rechten, ihre GlaubenssĂ€tze, Strategien und ihr Netzwerk aus Organisationen, Think Tanks und Medien.“ (Umschlagtext)

Die Schlagzeilen und Berichte vom Auftritt des amerikanischen Vize-PrĂ€sidenten J.D. Vance spĂŒlten dieses Buch in meinem Posteingangsstapel nach oben und weckten wilde Fantasien darĂŒber, wie die RealitĂ€t abgefahrene literarische Dystopien einfach mal mindestens einholt.

Reicht bloße ErschĂŒtterung noch aus, um auf solche Entwicklungen zu reagieren? Offen illiberale Extremisten an der Regierung mitten im Herz des demokratischen Westens. Good old Europe eingekeilt zwischen autoritĂ€r-illiberal-rechtsextremen MĂ€chten. Langsam gehen uns die schlimmen Superlative aus fĂŒr eine eigentlich undenkbare und dann doch einfach so passierende Entwicklung. Und langsam mag man ja nicht mal mehr von „schleichend“ sprechen, so viel Getöse wie da veranstaltet wird, Nebelkerzen und Spektakel, um das eine im Hintergrund zu tun, oder aber das Unterlaufen und Zerstören demokratischer Grundfesten ganz ungeniert in aller Öffentlichkeit als große Abrissfete. Von der Umwertung von Begriffen und Geschichte, Verdrehungen und platten LĂŒgen mal ganz abgesehen.

Alter Falter, man möchte brechen. Aber im Ernst, können wir alle gemeinsam dem nicht ein lebensbejahendes lautes Lachen entgegensetzen und dem Spuk damit ein Ende machen? Und es komme mir jetzt niemand mit naiv und so.

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Donnerstag, 13. Februar 2025

Octavia E. Butler: Xenogenesis. DĂ€mmerung – Rituale – Imago


„Am Leben!
Noch immer am Leben.
Wieder am Leben.“ (Seite 7)

Man könnte ja meinen, wenn man ein paar Jahrzehnte viel und regelmĂ€ĂŸig liest, hĂ€tte man irgendwann alles gesehen. Liebe, Tod, Unsterblichkeit und was auch immer – alles schon mal erzĂ€hlt, alles schon mal gelesen. Allenfalls tauche mal eine neue Stimme auf, die die gleichen Themen aktueller in modernerem Ton erzĂ€hlt. Tja.

Das fantastische an Literatur ist aber, dass immer mal wieder eine Stimme im Lesestapel auftaucht, die erst mit Jahren Verzögerung zu einem spricht. VerrĂŒckt und fantastisch. DafĂŒr liebe ich Literatur.

Octavia E. Butler ist – wenigstens fĂŒr mich – genau so eine Stimme. Und ja, Heyne hat mit diesem Band viel richtig gemacht. Zumindest hat es bei mir funktioniert. Das Cover als Eyecatcher, ich greife zu, Klappen- und Verlagstext, bumm gekauft.

WĂ€hrend viele Titel ja eher langsamer auf dem Lesestapel nach oben wandern, war hier der richtige Moment zum Lesen schon recht schnell gekommen. Und es war ein Fest. Sehr schnell mischte sich in meine Begeisterung diese beklemmende Erkenntnis, dass ich dieses Epos leider wĂŒrde nicht noch einmal zum ersten Mal lesen können. Ok, aber die Begeisterung ĂŒberwog dann doch – bei weitem!

Jetzt aber mal etwas Butter bei die Fische! 😉

Lilith Iyapo wacht auf. Nicht zum ersten Mal, aber die Erinnerung an vorherige Male ist verschwommen. Der tĂŒr- und fensterlose Raum, in dem sie sich befindet, ist aus einem Material, das an nichts erinnert, was sie kennt. Eine Stimme, die sie interviewt oder besser ausfragt, macht deutlich, dass sie auf einem Raumschiff sei. Bei einer fremden Spezies. Dass ihre Welt, die sie kannte, untergegangen ist in einem atomaren Weltkrieg. Das sei 200 Jahre her. Sie sei eine der geretteten Überlebenden.

Im Gegensatz zu anderen Science-Fiction-Stoffen bleiben diese Außerirdischen keine Stimme, kein bildloses Phantom des Grauens. Sie sind echt. Und Lilith wird unter ihnen und mit ihnen zu leben lernen.

Die Oankali, auf deren Schiff sie aufwacht, sind eine HĂ€ndlerspezies. Sie ziehen durch Weltall und tauschen Gene. Stete genetische VerĂ€nderung, Erweiterung, Verbesserung ist ihr Antrieb, ihr Lebenszweck. Und sie sind gut darin. Die Menschen in aller ihrer WidersprĂŒchlichkeit, zur bedingungslosen Liebe fĂ€hig, zu wissenschaftlichen Großleistungen und dazu, sich selbst in einem erbarmungslosen Krieg auszurotten, die Menschen erregen das Interesse der Oankali. So sehr, dass sie Überlebende bergen, heilen und erst einmal wegpacken, um sie zu erforschen und in genetischen Austausch mit ihnen zu treten.

Derweil beginnen sie auch damit, die Erde zu heilen, wenigstens in Teilen. Die Menschen sollen in ihr natĂŒrliches Habitat zurĂŒckkehren. Dabei soll Lilith den Oankali helfen. ZunĂ€chst lernt Lilith diese Spezie kennen, lebt bei einer Familie, wird integriert. Im Weiteren soll sie Gruppen zusammenstellen, die willens und in der Lage wĂ€ren, auf der Erde zu ĂŒberleben.

Doch Lilith ist bereits mehr als ein Mensch. Über genetische Eingriffe wurde ihre Lebenszeit verlĂ€ngert, wurde sie widerstandsfĂ€higer, stĂ€rker gemacht und mit der FĂ€higkeit versehen, dass ihr Körper sich selbst heilen kann. Und mehr als das, wurde sie auch in Familienstrukturen der Oankali eingebunden – emotional, sexuell. Sie fĂŒhrt ein doppeltes Leben. Eines, in dem sie die Menschheit, wie sie war, retten will. Ein anderes, in dem sie in einer fĂŒr die Oankali typischen Beziehung lebt – und spĂ€ter auch Kinder bekommt, die genetisch beides sind: menschlich, aber auch Oankali.

Es geht natĂŒrlich nicht einfach gut. Das Misstrauen derer, die aufgeweckt und von Lilith trainiert werden sollen, ist groß. GegenĂŒber den Oankali sowieso, gegenĂŒber Lilith erst recht. Etlichen gilt sie als VerrĂ€terin an ihrer Spezies. Denn die Bedingung, um zurĂŒck auf die Erde zu können, ist es unfruchtbar zu sein, keine eigenen Kinder mehr zeugen und gebĂ€ren zu können. Nur noch Kinder aus Beziehungen mit Oankali sollen geboren werden.

Die BegrĂŒndung klingt ja zunĂ€chst auch plausibel. Denn der Hang der Menschen zu Hierarchien und in der Folge dazu, sich selbst zu vernichten, sei zu stark und fest verankert. Die Oankali zeigen sich bereit zu helfen, zu heilen – also fĂŒr diejenigen, die das annehmen wollen – ansonsten können die zurĂŒckgesiedelten Menschen leben, wie sie wollen. Doch so werden sie unweigerlich aussterben, ohne eigene menschliche Nachkommen.

WorĂŒber diese Menschen nichts wissen, ist die FĂ€higkeit der Oankali, genetisches Material zu sammeln, zu speichern und zu reproduzieren. Sie brĂ€uchten die wiederaufgeweckten Menschen also nicht. Und auf der Ebene gerĂ€t die Umsiedelung der Geretteten zum großangelegten Sozialexperiment.

Es passiert natĂŒrlich noch sehr viel mehr auf diesen fast tausend Seiten, die Ende der Achtziger zuerst erschienen. Aber das will ich gar nicht alles verraten, weil es so wahnsinnig viel Lesespaß bereitet.

Vielmehr will ich noch erwÀhnen, dass nicht nur die Menschen und ihre Reaktionen auf das Angebot und die Anwesenheit der Oankali spannend sind, sondern eben auch die Oankali selbst als Lebensform und kulturelle Spezies geschildert werden. Dazu dienen Kinder, die Lilith in ihrer Oankalibeziehung (an der auch menschliche MÀnner beteiligt sind) zur Welt bringt. Sie sind, weil sie genetisch gemacht wurden, im Kern Oankali. Aber sie tragen eben auch viel Menschliches in sich, was auch die Oankali als Gesellschaft verÀndert, entwickelt.

Durch den Roman zieht sich auch die Frage, wie selbstlos die Oankali gegenĂŒber den Menschen eigentlich agieren. Was bedeutet diese Hilfe, dieser Handel fĂŒr die Oankali? Sagen sie die Wahrheit, verschweigen sie womöglich etwas? Nein nein, das schreibe ich hier natĂŒrlich wohlweislich nicht. 😊

Das Worldbuilding in diesem Roman ist also umfassend. Und es ist grandios gelungen. Obwohl Butler mit den Oankali eine Spezies erschaffen hat, die so ganz anders aussieht, handelt und funktioniert wie die Menschheit, findet sie eine perfekte Sprache, um das so fremdartige so greifbar zu beschreiben. Sie leben, diese Oankali, sie sind empfindungsreiche Wesen, die Individuen und Teil eines Kollektivs zugleich sind. Butlers Beschreibungen wirken nie platt, pauschal und klischeehaft, sondern immer originÀr und originell.

NatĂŒrlich dreht sich in diesem Epos ganz viel um Rasse – in dem Fall um die Auseinandersetzung zwischen Menschheit und Oankali. Dabei zeigt die Menschheit in Butlers Version eben auch genau die schlechten Seiten, die sie vor dem Krieg sich selbst jahrhundertelang angetan hat.

Ein zweites nicht weniger aktuelles Thema ist das der Geschlechtlichkeit, Gender also. Die Oankali kennen weiblich und mĂ€nnlich aber eben auch etwas dazwischen. Und ohne das dazwischen gibt es keine Beziehung und auch keine Lust und keine Fortpflanzung. Es sind also immer Dreierbeziehungen. Die neuartigen Familien, die mit Menschen entstehen, sind dann sogar FĂŒnferbeziehungen. Und alle sind die Eltern der Kinder, die geboren werden.

Das kollidiert natĂŒrlich aufs HĂ€rteste mit heteronormativer Menschlichkeit. Insbesondere die MĂ€nner, deren Rolle in Oankalibeziehungen ganz anders ausgestaltet ist, hadern und ringen mit sich und den Oankali um ihre Rolle, ihr SelbstverstĂ€ndnis. Und das ist so ernsthaft, nicht verurteilend und empathisch verstehen wollend geschrieben, dass mir wenigstens das Herz dabei aufging.

Zu guter Letzt ist dieser Roman einfach unglaublich gut erzĂ€hlt und geschrieben. Bei der Story passt einfach alles. Bedenkenlos wĂŒrde ich sofort tausend weitere Seiten davon lesen wollen. Aber auch hier: Butler findet den perfekten Bogen, um dann einen Punkt zu setzen.

Apropos: Leider lassen sich ihre Arbeiten nur noch retrospektiv entdecken und genießen, denn diese großartige ErzĂ€hlerin ist schon 2006 verstorben. Immerhin steht zu hoffen, dass noch einiges Mehr von ihr ĂŒbersetzt und (wieder) veröffentlicht wird. Zumindest zwei neue Übersetzungen konnte ich schon ausmachen. Yieppieh! 😉

Kurz und gut: Ähem, kein Gerede – einfach lesen. Los!

(Übersetzung: Barbara Heidkamp)

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Samstag, 8. Februar 2025

Christoph Hein: Guldenberg


„Die Farbe der Stadt, ihr Geschmack, ihr Geruch hatten sich verĂ€ndert. Die GleichgĂŒltigkeit der Bewohner fĂŒreinander war geblieben, die kĂŒhle Freundlichkeit untereinander, doch eine Unruhe, eine hektische nervöse Anspannung hatte sich im Ort verbreitet.“ (Seite 7)

Kannste dir ja leider nicht ausdenken.

In die – vielleicht – fiktive Kleinstadt Guldenberg im Osten Deutschlands lĂ€sst Christoph Hein in diesem recht fix zu lesenden Roman Unruhe einziehen. Unruhe unter den Einwohner:innen, ausgelöst durch einige jugendliche Migranten, die im Alten Seglerheim untergebracht werden.

Das ergibt eine denkbar einfache und leider nach aller Erfahrung aus der RealitĂ€t absehbare Versuchsanordnung. Erst ist es ein kleines Rumoren, einige Stimmen sĂ€en GerĂŒchte, nichts Greifbares. Aber es kommt, wie es anscheinend kommen muss, die GerĂŒchte werden massiver und spĂ€testens, als rumgeht, eine junge Frau sei vergewaltigt worden, kippt die Stimmung, weil die biedere BĂŒrgerseele gleich ganz genau Bescheid weiß. NatĂŒrlich mĂŒssen die jungen Migranten schuld sein.

Hein bietet einen Blick hinter die Kulissen der Stadtgesellschaft. Da ist der BĂŒrgermeister, der einerseits Vorgaben umzusetzen hat und andererseits um den Ruf der Stadt fĂŒrchtet. Sein Konkurrent ums Amt stellt sich, natĂŒrlich so halb versteckt, an die Spitze des „Widerstands“. Und natĂŒrlich finden sich Deppen, die das Alte Seglerheim angreifen und anzĂŒnden wollen.

Die Geschichte ist, ich kann nichts anderes sagen, solide erzĂ€hlt. Beim Lesen selbst hatte ich, wie es heute so schön heißt, harte ZDF Vibes und war mir die ganze Zeit ĂŒber unsicher, ob ich das literarisch nicht eigentlich zu platt finde. Und auch mit Abstand, habe ich das GefĂŒhl, das hĂ€tte Hein besser, komplexer und literarischer (ja, ich weiß, doofer Begriff an der Stelle) erzĂ€hlen können.

Aber vielleicht braucht es manchmal auch das Plakative, um deutlich zu machen, dass da oft genug Probleme von denen konstruiert werden, die sich dann am lautesten ĂŒber diese Probleme beklagen und schon Lösungen in der Hand halten, wenn noch gar nichts passiert ist. Was Hein, tatsĂ€chlich ohne moralischen Zeigefinger vorfĂŒhrt, ist wie ein struktureller Rassismus instrumentalisiert wird, fĂŒr den eigenen Vorteil – vollkommen patriotismusfrei. Es ist das ZĂŒndeln, dass hier gezeigt wird, wĂ€hrend die Leser:innen zugleich wissen, dass es keine faktische Grundlage dafĂŒr gibt.

Christoph Hein geht es in diesem Band nicht darum, in aller angemessenen KomplexitĂ€t zu beschreiben, dass die Aufnahme von GeflĂŒchteten natĂŒrlich auch Herausforderungen bedeuten. Im Mittelpunkt steht die Gesellschaft dieser Kleinstadt als Mikrokosmos, in dem Ressentiments gezielt und absichtlich geschĂŒrt werden und den Urheber:innen die ganz konkreten und gewalttĂ€gigen Konsequenzen fĂŒr eine Handvoll junger GeflĂŒchteter vollkommen egal sind. Nicht weniger schlimm: es ist auch vollkommen egal, ob die Jugendlichen ĂŒberhaupt irgendetwas anstellen. Rassismus aus der Mitte.

Vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen, des bedenkenlosen Normalisierens einer Zusammenarbeit mit der noafd durch Parteien wie CDU/CSU, FDP und BSW – Stichwort Brandmauer – liest sich dieser Roman, der 2021 erstmalig erschien, doch schon ganz anders. Alarmierender.

Kurz und gut: Liest sich eigentlich wie ZDF-Fernsehen, ist aber leider aktueller, als es sich Christoph Hein hÀtte ausdenken können. Daher: Lesen!

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Mittwoch, 5. Februar 2025

Daniel Mullis: Der Aufstieg der Rechten in Krisenzeiten. Die Regression der Mitte


„Wie gefĂ€hrdet ist die Mitte der Gesellschaft?

Warum sind rechte und rechtsextreme Bewegungen in Krisenzeiten so erfolgreich? Mit welchen Strategien ĂŒberzeugen sie die Mehrheit davon, dass die Verteidigung der eigenen Privilegien wichtiger ist als SolidaritĂ€t oder Verzicht?

Der Sozialwissenschaftler Daniel Mullis untersucht, fĂŒr welche Botschaften die gesellschaftliche Mitte empfĂ€nglich ist. In zahlreichen GesprĂ€chen arbeitet er die bundesdeutsche Befindlichkeit unserer Gegenwart heraus. Und er fragt danach, wie progressive Politik in unsicheren Zeiten gelingen kann.“ (Klappentext)

Fast könnte man meinen, dass schon alles untersucht worden sei. Und trotzdem werde auch ich den Eindruck nicht los, immer noch viel zu wenig zu wissen – um befriedigende Antworten dazu zu finden, was rechtsextreme und rechte Positionen derzeit so anschlussfĂ€hig macht.

Der Blick auf die gesellschaftliche Mitte liegt nahe, auch wenn selbst diese Erkenntnis schon beÀngstigend genug ist. Vielleicht wirken Jahrzehnte des Verankerns neoliberalen Gedankenguts im Alltagsverstand tatsÀchlich schon aus. Puh, beÀngstigend, sag ich ja.

„‘Dieses Buch ist Ergebnis meiner BemĂŒhungen zu verstehen, was in der Mitte der Gesellschaft passiert ist, dass die Rechte derart erstarken konnte … Wir gingen den sozialen Dynamiken, Konflikten und GlĂŒckserwartungen nach, in deren GefĂŒge sich der Aufstieg der Rechten vollzog und weiter vollzieht. Dabei fokussierten wir bewusst auf die sogenannte Mitte und befragten Menschen aller politischen Couleur. Was zutage trat und was ich hier als Regression der Mitte beschreiben werde, beunruhigt mich zutiefst, zumal klar wurde, wie stark das rechte Rauschen die Gesellschaft mittlerweile durchzieht.‘“(Verlagstext)

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