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Ich finde ja, dass heute ein wunderbarer Tag ist, um diesen Comic zu posten, der schon seit der #lbm24 in meinem Büchereingangsstapel schlummert. Heute, weil in anderthalb Stunden in Berlin der #winterpride startet – als ein außerordentlicher CSD von gut 40 deutschlandweit. Angesichts von Diskursverschiebungen von Rechts, erstarkenden populistischen Parteien (rechts bis rechtsextrem oder immerhin rechtsoffen) ist das vor der Bundestagswahl am kommenden Wochenende ein wichtiges Zeichen: #wähltliebe
Ein solcher Blick in „die Szene“ ist ein Türöffner zum Verständnis von Vielfalt. Vielfalt an Lebensentwürfen, die einer wieder der andere berechtigt und wichtig sind. Darum darf dies nichts sein, um Menschen gegeneinander aufzuhetzen.
Genau das machen aber all die Illiberal-Autoritär-Verliebten, in dem sie ihre eigenen Lebensentwürfe absolut und über alle anderen setzen. Und damit ist auch klar, das nach einer Hetze gegen Migrant:innen, die Hetze gegen Trans-Menschen, die Hetze gegen anders Liebende, die Hetze gegen Frauen … Das lässt sich wirklich leicht ausrechnen und hat leider genügend historische Vorläufer.
Ein kleines Mosaiksteinchen, das einen kleinen Beitrag gegen diese Entwicklungen beitragen kann, ist Sichtbarkeit und Pride. Darum sind solche Comics wichtig, solche Storys und solche Demos – mit allen Klischees, die zum Glück dabei sind. Also: #wähltliebe
(Übersetzung:
Timm Stafe)
Die Schlagzeilen und Berichte vom Auftritt des amerikanischen Vize-Präsidenten J.D. Vance spülten dieses Buch in meinem Posteingangsstapel nach oben und weckten wilde Fantasien darüber, wie die Realität abgefahrene literarische Dystopien einfach mal mindestens einholt.
Reicht bloße Erschütterung noch aus, um auf solche Entwicklungen zu reagieren? Offen illiberale Extremisten an der Regierung mitten im Herz des demokratischen Westens. Good old Europe eingekeilt zwischen autoritär-illiberal-rechtsextremen Mächten. Langsam gehen uns die schlimmen Superlative aus für eine eigentlich undenkbare und dann doch einfach so passierende Entwicklung. Und langsam mag man ja nicht mal mehr von „schleichend“ sprechen, so viel Getöse wie da veranstaltet wird, Nebelkerzen und Spektakel, um das eine im Hintergrund zu tun, oder aber das Unterlaufen und Zerstören demokratischer Grundfesten ganz ungeniert in aller Öffentlichkeit als große Abrissfete. Von der Umwertung von Begriffen und Geschichte, Verdrehungen und platten Lügen mal ganz abgesehen.
Alter Falter,
man möchte brechen. Aber im Ernst, können wir alle gemeinsam dem nicht ein
lebensbejahendes lautes Lachen entgegensetzen und dem Spuk damit ein Ende
machen? Und es komme mir jetzt niemand mit naiv und so.
Man könnte ja meinen, wenn man ein paar Jahrzehnte viel und regelmäßig liest, hätte man irgendwann alles gesehen. Liebe, Tod, Unsterblichkeit und was auch immer – alles schon mal erzählt, alles schon mal gelesen. Allenfalls tauche mal eine neue Stimme auf, die die gleichen Themen aktueller in modernerem Ton erzählt. Tja.
Das fantastische an Literatur ist aber, dass immer mal wieder eine Stimme im Lesestapel auftaucht, die erst mit Jahren Verzögerung zu einem spricht. Verrückt und fantastisch. Dafür liebe ich Literatur.
Octavia E. Butler ist – wenigstens für mich – genau so eine Stimme. Und ja, Heyne hat mit diesem Band viel richtig gemacht. Zumindest hat es bei mir funktioniert. Das Cover als Eyecatcher, ich greife zu, Klappen- und Verlagstext, bumm gekauft.
Während viele Titel ja eher langsamer auf dem Lesestapel nach oben wandern, war hier der richtige Moment zum Lesen schon recht schnell gekommen. Und es war ein Fest. Sehr schnell mischte sich in meine Begeisterung diese beklemmende Erkenntnis, dass ich dieses Epos leider würde nicht noch einmal zum ersten Mal lesen können. Ok, aber die Begeisterung überwog dann doch – bei weitem!
Jetzt aber mal etwas Butter bei die Fische! 😉
Lilith Iyapo wacht auf. Nicht zum ersten Mal, aber die Erinnerung an vorherige Male ist verschwommen. Der tür- und fensterlose Raum, in dem sie sich befindet, ist aus einem Material, das an nichts erinnert, was sie kennt. Eine Stimme, die sie interviewt oder besser ausfragt, macht deutlich, dass sie auf einem Raumschiff sei. Bei einer fremden Spezies. Dass ihre Welt, die sie kannte, untergegangen ist in einem atomaren Weltkrieg. Das sei 200 Jahre her. Sie sei eine der geretteten Überlebenden.
Im Gegensatz zu anderen Science-Fiction-Stoffen bleiben diese Außerirdischen keine Stimme, kein bildloses Phantom des Grauens. Sie sind echt. Und Lilith wird unter ihnen und mit ihnen zu leben lernen.
Die Oankali, auf deren Schiff sie aufwacht, sind eine Händlerspezies. Sie ziehen durch Weltall und tauschen Gene. Stete genetische Veränderung, Erweiterung, Verbesserung ist ihr Antrieb, ihr Lebenszweck. Und sie sind gut darin. Die Menschen in aller ihrer Widersprüchlichkeit, zur bedingungslosen Liebe fähig, zu wissenschaftlichen Großleistungen und dazu, sich selbst in einem erbarmungslosen Krieg auszurotten, die Menschen erregen das Interesse der Oankali. So sehr, dass sie Überlebende bergen, heilen und erst einmal wegpacken, um sie zu erforschen und in genetischen Austausch mit ihnen zu treten.
Derweil beginnen sie auch damit, die Erde zu heilen, wenigstens in Teilen. Die Menschen sollen in ihr natürliches Habitat zurückkehren. Dabei soll Lilith den Oankali helfen. Zunächst lernt Lilith diese Spezie kennen, lebt bei einer Familie, wird integriert. Im Weiteren soll sie Gruppen zusammenstellen, die willens und in der Lage wären, auf der Erde zu überleben.
Doch Lilith ist bereits mehr als ein Mensch. Über genetische Eingriffe wurde ihre Lebenszeit verlängert, wurde sie widerstandsfähiger, stärker gemacht und mit der Fähigkeit versehen, dass ihr Körper sich selbst heilen kann. Und mehr als das, wurde sie auch in Familienstrukturen der Oankali eingebunden – emotional, sexuell. Sie führt ein doppeltes Leben. Eines, in dem sie die Menschheit, wie sie war, retten will. Ein anderes, in dem sie in einer für die Oankali typischen Beziehung lebt – und später auch Kinder bekommt, die genetisch beides sind: menschlich, aber auch Oankali.
Es geht natürlich nicht einfach gut. Das Misstrauen derer, die aufgeweckt und von Lilith trainiert werden sollen, ist groß. Gegenüber den Oankali sowieso, gegenüber Lilith erst recht. Etlichen gilt sie als Verräterin an ihrer Spezies. Denn die Bedingung, um zurück auf die Erde zu können, ist es unfruchtbar zu sein, keine eigenen Kinder mehr zeugen und gebären zu können. Nur noch Kinder aus Beziehungen mit Oankali sollen geboren werden.
Die Begründung klingt ja zunächst auch plausibel. Denn der Hang der Menschen zu Hierarchien und in der Folge dazu, sich selbst zu vernichten, sei zu stark und fest verankert. Die Oankali zeigen sich bereit zu helfen, zu heilen – also für diejenigen, die das annehmen wollen – ansonsten können die zurückgesiedelten Menschen leben, wie sie wollen. Doch so werden sie unweigerlich aussterben, ohne eigene menschliche Nachkommen.
Worüber diese Menschen nichts wissen, ist die Fähigkeit der Oankali, genetisches Material zu sammeln, zu speichern und zu reproduzieren. Sie bräuchten die wiederaufgeweckten Menschen also nicht. Und auf der Ebene gerät die Umsiedelung der Geretteten zum großangelegten Sozialexperiment.
Es passiert natürlich noch sehr viel mehr auf diesen fast tausend Seiten, die Ende der Achtziger zuerst erschienen. Aber das will ich gar nicht alles verraten, weil es so wahnsinnig viel Lesespaß bereitet.
Vielmehr will ich noch erwähnen, dass nicht nur die Menschen und ihre Reaktionen auf das Angebot und die Anwesenheit der Oankali spannend sind, sondern eben auch die Oankali selbst als Lebensform und kulturelle Spezies geschildert werden. Dazu dienen Kinder, die Lilith in ihrer Oankalibeziehung (an der auch menschliche Männer beteiligt sind) zur Welt bringt. Sie sind, weil sie genetisch gemacht wurden, im Kern Oankali. Aber sie tragen eben auch viel Menschliches in sich, was auch die Oankali als Gesellschaft verändert, entwickelt.
Durch den Roman zieht sich auch die Frage, wie selbstlos die Oankali gegenüber den Menschen eigentlich agieren. Was bedeutet diese Hilfe, dieser Handel für die Oankali? Sagen sie die Wahrheit, verschweigen sie womöglich etwas? Nein nein, das schreibe ich hier natürlich wohlweislich nicht. 😊
Das Worldbuilding in diesem Roman ist also umfassend. Und es ist grandios gelungen. Obwohl Butler mit den Oankali eine Spezies erschaffen hat, die so ganz anders aussieht, handelt und funktioniert wie die Menschheit, findet sie eine perfekte Sprache, um das so fremdartige so greifbar zu beschreiben. Sie leben, diese Oankali, sie sind empfindungsreiche Wesen, die Individuen und Teil eines Kollektivs zugleich sind. Butlers Beschreibungen wirken nie platt, pauschal und klischeehaft, sondern immer originär und originell.
Natürlich dreht sich in diesem Epos ganz viel um Rasse – in dem Fall um die Auseinandersetzung zwischen Menschheit und Oankali. Dabei zeigt die Menschheit in Butlers Version eben auch genau die schlechten Seiten, die sie vor dem Krieg sich selbst jahrhundertelang angetan hat.
Ein zweites nicht weniger aktuelles Thema ist das der Geschlechtlichkeit, Gender also. Die Oankali kennen weiblich und männlich aber eben auch etwas dazwischen. Und ohne das dazwischen gibt es keine Beziehung und auch keine Lust und keine Fortpflanzung. Es sind also immer Dreierbeziehungen. Die neuartigen Familien, die mit Menschen entstehen, sind dann sogar Fünferbeziehungen. Und alle sind die Eltern der Kinder, die geboren werden.
Das kollidiert natürlich aufs Härteste mit heteronormativer Menschlichkeit. Insbesondere die Männer, deren Rolle in Oankalibeziehungen ganz anders ausgestaltet ist, hadern und ringen mit sich und den Oankali um ihre Rolle, ihr Selbstverständnis. Und das ist so ernsthaft, nicht verurteilend und empathisch verstehen wollend geschrieben, dass mir wenigstens das Herz dabei aufging.
Zu guter Letzt ist dieser Roman einfach unglaublich gut erzählt und geschrieben. Bei der Story passt einfach alles. Bedenkenlos würde ich sofort tausend weitere Seiten davon lesen wollen. Aber auch hier: Butler findet den perfekten Bogen, um dann einen Punkt zu setzen.
Apropos: Leider lassen sich ihre Arbeiten nur noch retrospektiv entdecken und genießen, denn diese großartige Erzählerin ist schon 2006 verstorben. Immerhin steht zu hoffen, dass noch einiges Mehr von ihr übersetzt und (wieder) veröffentlicht wird. Zumindest zwei neue Übersetzungen konnte ich schon ausmachen. Yieppieh! 😉
Kurz und gut: Ähem, kein Gerede – einfach lesen. Los!
(Übersetzung: Barbara Heidkamp)
#lesewinter #roman #octaviaebutler #heyne #scifi #menschheit #aliens #zukunft #gene #gender #gewalt #kinder #ausbeutung #lesen #leselust #lesenswert #leseratte #bücher #literaturKannste dir ja leider nicht ausdenken.
Das ergibt eine denkbar einfache und leider nach aller Erfahrung aus der Realität absehbare Versuchsanordnung. Erst ist es ein kleines Rumoren, einige Stimmen säen Gerüchte, nichts Greifbares. Aber es kommt, wie es anscheinend kommen muss, die Gerüchte werden massiver und spätestens, als rumgeht, eine junge Frau sei vergewaltigt worden, kippt die Stimmung, weil die biedere Bürgerseele gleich ganz genau Bescheid weiß. Natürlich müssen die jungen Migranten schuld sein.
Hein bietet einen Blick hinter die Kulissen der Stadtgesellschaft. Da ist der Bürgermeister, der einerseits Vorgaben umzusetzen hat und andererseits um den Ruf der Stadt fürchtet. Sein Konkurrent ums Amt stellt sich, natürlich so halb versteckt, an die Spitze des „Widerstands“. Und natürlich finden sich Deppen, die das Alte Seglerheim angreifen und anzünden wollen.
Die Geschichte ist, ich kann nichts anderes sagen, solide erzählt. Beim Lesen selbst hatte ich, wie es heute so schön heißt, harte ZDF Vibes und war mir die ganze Zeit über unsicher, ob ich das literarisch nicht eigentlich zu platt finde. Und auch mit Abstand, habe ich das Gefühl, das hätte Hein besser, komplexer und literarischer (ja, ich weiß, doofer Begriff an der Stelle) erzählen können.
Aber vielleicht braucht es manchmal auch das Plakative, um deutlich zu machen, dass da oft genug Probleme von denen konstruiert werden, die sich dann am lautesten über diese Probleme beklagen und schon Lösungen in der Hand halten, wenn noch gar nichts passiert ist. Was Hein, tatsächlich ohne moralischen Zeigefinger vorführt, ist wie ein struktureller Rassismus instrumentalisiert wird, für den eigenen Vorteil – vollkommen patriotismusfrei. Es ist das Zündeln, dass hier gezeigt wird, während die Leser:innen zugleich wissen, dass es keine faktische Grundlage dafür gibt.
Christoph Hein geht es in diesem Band nicht darum, in aller angemessenen Komplexität zu beschreiben, dass die Aufnahme von Geflüchteten natürlich auch Herausforderungen bedeuten. Im Mittelpunkt steht die Gesellschaft dieser Kleinstadt als Mikrokosmos, in dem Ressentiments gezielt und absichtlich geschürt werden und den Urheber:innen die ganz konkreten und gewalttägigen Konsequenzen für eine Handvoll junger Geflüchteter vollkommen egal sind. Nicht weniger schlimm: es ist auch vollkommen egal, ob die Jugendlichen überhaupt irgendetwas anstellen. Rassismus aus der Mitte.
Vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen, des bedenkenlosen Normalisierens einer Zusammenarbeit mit der noafd durch Parteien wie CDU/CSU, FDP und BSW – Stichwort Brandmauer – liest sich dieser Roman, der 2021 erstmalig erschien, doch schon ganz anders. Alarmierender.
#lesewinter #roman #christophhein #suhrkamp #deutschland #kleinstadt #ostdeutschland #geflüchtete #gesellschaft #fremdenfeindlichkeit #niewiederistjetzt #lesen #leselust #lesenswert #leseratte #bücher #literaturWarum sind rechte und rechtsextreme Bewegungen in Krisenzeiten so erfolgreich? Mit welchen Strategien überzeugen sie die Mehrheit davon, dass die Verteidigung der eigenen Privilegien wichtiger ist als Solidarität oder Verzicht?
Der Sozialwissenschaftler Daniel Mullis untersucht, für welche Botschaften die gesellschaftliche Mitte empfänglich ist. In zahlreichen Gesprächen arbeitet er die bundesdeutsche Befindlichkeit unserer Gegenwart heraus. Und er fragt danach, wie progressive Politik in unsicheren Zeiten gelingen kann.“ (Klappentext)
Fast könnte man meinen, dass schon alles untersucht worden sei. Und trotzdem werde auch ich den Eindruck nicht los, immer noch viel zu wenig zu wissen – um befriedigende Antworten dazu zu finden, was rechtsextreme und rechte Positionen derzeit so anschlussfähig macht.
Der Blick auf die gesellschaftliche Mitte liegt nahe, auch wenn selbst diese Erkenntnis schon beängstigend genug ist. Vielleicht wirken Jahrzehnte des Verankerns neoliberalen Gedankenguts im Alltagsverstand tatsächlich schon aus. Puh, beängstigend, sag ich ja.
„‘Dieses Buch ist Ergebnis meiner
Bemühungen zu verstehen, was in der Mitte der Gesellschaft passiert ist, dass
die Rechte derart erstarken konnte … Wir gingen den sozialen Dynamiken,
Konflikten und Glückserwartungen nach, in deren Gefüge sich der Aufstieg der
Rechten vollzog und weiter vollzieht. Dabei fokussierten wir bewusst auf die
sogenannte Mitte und befragten Menschen aller politischen Couleur. Was zutage
trat und was ich hier als Regression der Mitte beschreiben werde, beunruhigt
mich zutiefst, zumal klar wurde, wie stark das rechte Rauschen die Gesellschaft
mittlerweile durchzieht.‘“(Verlagstext)