„Als diese Kerle gestern Nacht runter zur Furt ritten, dachte ich, wir wären erledigt.“ (Seite 9)
Mit elf hielt ich die Geschichten von Old Shatterhand und Winnetou ja noch für realistisch. Als ich dann später erfuhr, dass Karl May sich das alles nur ausgedacht hat, war das dennoch kein großer Bruch. Unausgesprochen und ohne die Worte dafür zu finden, war mir die Macht von großen Mythen schon irgendwie klar – und ich konnte sie immer wieder genießen in ihrer erzählerischen Macht.
Klar, irgendwann war auch ich dann aus dem Westernalter heraus. Andere Themen traten in den Vordergrund. Aber ich kann mich auch gut noch an heiße Sommernächte unterm Dach erinnern, in denen ich die May-Bände, in denen der Ku-Klux-Klan eine Rolle spielte und ich nicht mehr sagen konnte, ob ich vor Hitze oder vor Angst nicht schlafen konnte. In jedem Fall hab ich fast manisch einfach immer weitergelesen, bis mir einfach die Augen zufielen. Das war schon anderer Stoff, nichts mehr von Lagerfeuerromantik und großem Blutsbruderehrenwort.
Es hat lange gebraucht, bis mich Stoffe aus der Siedlungs- und Kolonisierungszeit Nordamerikas wieder ansprachen. Ich glaube, Cormac McCarthy hatte da einen ordentlichen Anteil dran. Und Sebastian Barry, den ich hier auf keinen Fall vergessen darf. Von T.C. Boyle hab ich da auch noch eine Geschichte im Kopf, auf deren Titel ich aber gerade nicht komme.
Diesen Geschichten ist gemein, dass sie nicht von den großen heroischen, bärtig-gewalttätigen aber immer gerechten Typen getragen werden. Ganz andere Charaktere treten hier auf. Es gibt mehr als das reine Gute und das abgrundtief Böse. Ganz normale Menschen treten hier auf, kämpfen ums Überleben, mal gegen die Natur, mal gegen andere Menschen, und wachsen dann auch mal über sich hinaus oder scheitern eben, wie Menschen so scheitern. Das war spannend und mitreißend.
Nun also „Herzland“ von Téa Obreht. Sie entführt uns mit ihrer Geschichte nach Arizona im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt steht Nora Lark, die mit ihrer Familie auf einer kleinen Farm lebt. So mitten im Nichts, viel Natur drumherum, die nächsten Nachbarn einen ordentlichen Ritt weit entfernt, Freiheit und so. Naja, inzwischen bin ich ja schlauer als mit elf. 😉
Auf der Farm fehlt es an Wasser. Alles trocknet aus, inklusive der Menschen. Noras Mann ist seit Tagen verschwunden. Er wollte Wasser besorgen. Inzwischen ist Nora allerdings in großer Sorge, dass er nicht nur kein Wasser bringen wird, sondern ihm womöglich noch etwas zugestoßen sein könnte.
Ihre beiden großen Söhne sind im Streit auf und davon. Nora vermutet, dass sie auf der Suche nach ihrem Vater sind. Und Heißsporne, die sie sind, bringen sie sich womöglich selbst noch in Schwierigkeiten. Sie selbst ist mit ihrem Jüngsten, der Haushaltshilfe und der bettlägerigen Großmutter zurückgeblieben. Und muss zusehen, wie der Wasservorrat Tropfen um Tropfen schwindet. Freiheit hin oder her, aber die Gegend drumherum gibt einfach auch nichts her und auf Regen ist nicht zu hoffen.
Im Verlauf der Geschichte blättert Obreht geschickt auf, dass es hier nicht nur um das individuelle Schicksal einer Frau geht, die sich ihrem Mann mit großen Hoffnungen angeschlossen hat, um sich auf in einem kargen Farmerleben wiederzufinden. Denn Noras Mann ist Herausgeber der kleinen Zeitung ihrer Stadt. Und hier werden handfeste Interessen ausgetragen. So leer die Gegend erscheinen mag, ist sie doch voller Konflikte darüber, wem welches Land gehört, wer seine Vieherden wo weiden kann, welche Stadt über einen Anschluss ans Eisenbahnnetz an Bedeutung und damit auch Reichtum gewinnen wird, wo Behörden sich ansiedeln und Verdienstmöglichkeiten die eigenen Rechnungen bezahlen können.
Kurz, auch hier ist sehr schnell so gar nichts mehr mit der großen Freiheit von allem. Wo jede und jeder nur seines eigenen Glückes Schmied ist, vollkommen unberührt von der Unbill, das organsierte Gesellschaften so mit sich bringen. Land der Freien und Tapferen, nur dem Glück der Einzelnen verpflichtet – nein, es ging auch hier schon ums Haben und Nichthaben, um Macht im Kleinen und im Großen. All die Dinge, die die ersten Siedler vielleicht hofften, hinter sich im alten Europa zurückgelassen zu haben, waren die ganze Zeit dann halt doch im Gepäck, wenn auch mitunter nur in einem anderen Gewand.
Dennoch, und das ist ja das spannende an solchen Geschichten, ist dieser Gründungsmythos, der medial wie politisch nach wie vor hochgehalten, poliert und stolz vor sich hergetragen wird, auch heute noch präsent und real. Selbst Trump erzählt nur eine weitere Variation davon.
Bücher, wie das von Téa Obreht sind mir da lieber. Weil sie ehrlich erzählt und mit großem Herzen. Weil ihre Sprache und ihr Rhythmus die Büsche hinterm Farmhaus rauschen lassen und das trockene Holz knarzen. Weil es zu Herzen geht, wie Nora sich den auf sie einstürmenden Herausforderungen stellt und welch großes Herz sie dabei offenbart.
Vielleicht braucht es Einwanderer wie Téa Obreht, die den amerikanischen Gründungsmythos immer wieder gegen den Strich bürsten und neu erzählen.
Kurz und gut: Einfach eine Woche Urlaub dranhängen und direkt wegschmökern. Lesen, unbedingt!
(Übersetzung: Bernhard Robben)
#lesewinter #roman #teaobreht #rororo #rowohlt #arizona #siedler #wildwest #dürre #gewahlt #natur #landraub #familie #freiheit #lesen #leselust #lesenswert #leseratte #bücher #literatur
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen