„Bang saß er in der Bank und blickte hinauf zum Kreuz.“ (Seite 7)
Puh, danke, lieber Berenberg Verlag, dass ihr dieses Buch verlegt habt und danke auch für das Rezensionsexemplar! 😉
Gerade mal 188 Seiten schmal ist dieser Roman. Und manchmal braucht es eben auch nicht mehr, um eine Geschichte auf den Punkt und umwerfend gut zu erzählen.
Dies ist die Geschichte von Richard, der auf einem Hof in Süddeutschland aufwächst. Viel mehr, als dass der Krieg noch nicht lange zurückliegt, braucht es an zeitlicher Orientierung gar nicht. Dass der Zweite Weltkrieg noch keine zehn Jahre her ist, wird im Laufe der Geschichte deutlich genug.
Abseits – der Junge Richard, keine Zehn ist er, lebt auf dem Hof seiner Verwandten. Er ist dort bestenfalls geduldet, scheint aber mit seiner puren Anwesenheit seinen Onkel, seine Tante tagtäglich an Unaussprechliches, Scham- und Schuldbehaftetes zu erinnern. Er versucht sich einzufügen, eine Schuld abzutragen, die er fortwährend auf sich lasten spürt, ohne auch nur zu ahnen, worin sie bestehen könnte. Die Kinder des Hofes lassen ihn dabei sein, wenn es gut läuft. Auch in der Schule und selbst bei Wegen durchs Dorf kann er jederzeit spüren, dass ihm irgendetwas anhaftet.
In den Hügeln hinterm Haus findet er Ruhe, kann er sich unbelastet fühlen. Und bei den Gedanken an die Zeit bei seinem Großvater. Lange schon verschwimmen Erinnerungsträume und Realität dieser Zeit ineinander. Aber Großvaters Stimme kann ihn beruhigen, seine schwere Hand auf seiner Schulter ihn entlasten. So vieles über die Natur um das Dorf herum, was er vom Alten begierig gelernt hat.
Abseits – das harte Leben und Arbeiten auf dem Hof, das Dorf voller uralter Traditionen, die ganze Gegend wirkt wie abseits der Zeitläufte. Als aber Fritz Walter und die deutsche Nationalmannschaft in der Schweiz gegen Ungarn spielen und alle, wirklich alle sich in die Dorfkneipe quetschen und in Trauben vor dem Fenster stehen, um die Übertragung zu verfolgen, da bricht das Hier und Jetzt in das Dorfleben ein. Aber schnell ist auch das einfach nur eine Geschichte, die sich wissend nickend erzählt wird. Weißt du noch, dieser Abend
Die nahe Vergangenheit dagegen lastet spürbar, aber nicht greifbar wie ein Schleier auf dem Dorfleben. Als Richard ein Fädchen aus dem verfilzten Knäuel seiner Familiengeschichte in die Hände bekommt und auch nur zart daran zupft, da reißt dieser wortlose Schleier einen Spalt breit auf und Fragen und noch mehr Fragen drängen hindurch. Leser:innen ahnen schneller als der kleine Junge, wie viel mehr die Menschen in diesem Dorf wissen müssen, wovon sich Richard, vielleicht auch zu seinem Glück, allein aufgrund seines Alters keine Vorstellung machen kann.
Obwohl alles an dieser Geschichte so unglaublich, niederschmetternd traurig erscheint, gereicht Richard allein das Wissen, dass es eine Mutter und einen Vater gegeben hat, um Mut zu fassen und in der Ferne eine Zukunft erahnen zu können und zu wollen. Er wird, auch das lässt sich anhand der Erzählstimme, die immer mal wieder auf unser Hier und Jetzt verweist, seinen Weg gehen.
Dem Autor dieses Romandebüts ist ein beachtliches Stück gelungen. Einerseits führt er mit der Geschichte in eine Zeit des Schweigens zurück, ohne dabei anklagend klingen zu müssen. Die Geschehnisse sprechen für sich und für die Zeit. Zugleich gelingt ihm mit der Figur des Jungen Richard ein wunderbares Beispiel für die Möglichkeit einer besseren Zukunft, von etwas Glück, von Stärke gegenüber dem schuldbeladenen Gleichmut, von Aufbruch aus dem Abseits.
Andererseits gelingt ihm all das mit einer Sprache, die im besten Sinne entrückt und ergreifend zugleich daherkommt. Das ist kein Roman, der von vergangenen Zeiten im modernen Sprech erzählen will. Rüdenauers Sätze kleiden den Hof, das Dorf, die Hügel drumherum aus und zeichnen sehr klar und so gar nicht verkitschte Bilder. So braucht er wahrhaftig nicht mehr als 188 Seiten, um so viel zu sagen und die Szenen sprechen zu lassen.
Autor und Buch, natürlich auch dem Verlag, kann ich nur ganz viel Aufmerksamkeit des Publikums und der Presse wünschen. Und mir wünsche ich noch mehr von Ulrich Rüdenauer zu lesen. 😊
Kurz und gut: Entrückt und ergreifend. Lesen, unbedingt!
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