Sonntag, 23. November 2025

Hanno Sauer: Klasse. Die Entstehung von Oben und Unten


„Der Kampf um Prestige, Status und Ansehen

Klassen durchdringen das gesamte Leben: unsere Werte, unsere Gefühle, unsere Freundschaften und Beziehungen, unseren Geschmack und unseren Lebensstil, unseren Beruf und unsere Finanzen. Es ist ein Thema, das wohl alle beschäftigt. Hanno Sauer untersucht, woher unsere Vorstellungen von Klasse und Status rühren, wie sie unsere Gesellschaft prägen und wie viele Klassen es eigentlich genau gibt. Packend und mitreißend beschreibt er, wie die neuesten Erkenntnisse der Wissenschaft unser Verständnis von Gesellschaft revolutionieren.“ (Umschlagtext)

Ich weiß schon, zu Klassen und Theorien darüber gibt es schon Regalmeter um Regelmeter. Klassiker, Neoklassiker etc. Nun lässt sich schon seit geraumer Zeit ein verstärktes Interesse daran ausmachen, wie (unsere) Gesellschaft funktioniert – und das gerade von jüngeren Generationen, die sich immer stärker eben auch in politische Kämpfe und Auseinandersetzungen einmischen.

Bei all den sich schneller als jemals zuvor vollziehenden Entwicklungen, den neuartigen Rahmenbedingungen (Technik, wissenschaftliche Erkenntnisse, Globalisierung, Klimakrise etc.) erscheint es mir doch sehr gerechtfertigt zu schauen, was heute forschende und lehrende Geister zur Analyse beitragen können.

Selbst wenn bestehende Erkenntnisse Bestätigung erfahren, brauchen verschiedene Generationen neben diesen auch eigene Stimmen, die Orientierung, Erklärungsmodelle anbieten.

Also ich bin gespannt auf die Lektüre.

Fun Fact: Wenn sich die Seiten eines Buches auch ungelesen so wellen, dann wurde das Papier wohl gegen den Strick bedruckt und gebunden. Just saying. ^^

„Was ist Klasse? Wie entsteht Ungleichheit? Was sind die Quellen von Statushierarchien und Prestige? Sind reiche Menschen bessere Menschen? Oder schlechtere? Hanno Sauer zeigt in diesem brillanten Buch, was Klassenunterschiede sind, wie sie funktionieren und warum sie so schwer loszuwerden sind. Und wie wir die ‚Logik sozialer Signale‘ entschlüsseln können, von denen wir umgeben sind. Dabei wird klar: Soziale Klassenunterschiede und Statushierarchien haben einen viel fundamentaleren Einfluss auf unser Denken, unser Handeln und unsere gesamte Gesellschaft, als wir glauben. Sie durchdringen unsere Kultur und unsere Werte und formen unser ganzes Leben. Wenn wir unsere Gesellschaft verbessern wollen, müssen wir verstehen, wie sie funktioniert.“ (Klappentext)

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Samstag, 22. November 2025

Zoran Drvenkar: ASA


„Sie warten, dass du auftauchst.“ (Seite 7)

Du, das ist Asa. Zu diesem Zeitpunkt ein junges Mädchen, dass unter dem Eis in einem zugefrorenen See schwimmt. Sie, das sind die Jäger. Asa ist ihre Beute, wenn sie es zulässt. Und die Stimme, die hier erzählt, die Asa erzählt, was passiert, das ist Jasper, ihr späterer Mann, den sie ertränken wird.

Dieser Thriller ist eine Familiengeschichte über mehrere Generationen, eine Art Sittengemälde einer dörflichen Gemeinschaft, gestiftet, zusammengehalten und angeführt von Asas Familie. Und es ist eine Geschichte manipulierter, geschundener Kinderseelen.

Geschmiedet aus Fluchterfahrung, Vertreibung und Überlebenskampf zimmern sich Asas Vorfahren eine Ideologie, die Menschen in Jäger und Beute einteilt. Sie träumen von Autarkie und wollen nie wieder Beute sein. Um dies von Generation zu Generation weiterzugeben, ersinnen sie ein System von Ausbildung und Prüfung für ihre Kinder. Im Kampf und im Überleben geschult und trainiert sollen sich als stark genug erweisen, eben keine Beute zu sein. In der Abschlussprüfung geht es um Leben und Tod. Mit dieser Ideologie haben sie in der Gegenwart mehrere Dorfgemeinschaften um sich geschart, die Teil dieses Systems geworden sind.

Asa ist zu gut in dem, wofür sie trainiert wurde und zu wütend darüber, dass die Familie ihren Vater ermorden ließ. Sie wird in ihrem unbändigen Drang nach Rache und danach, dieses krude System ein für allemal abzuschaffen, zur Gefahr für die eigene Familie.

In verschiedenen Kapiteln wechselt Drvenkar die Perspektive zu verschiedenen Personen, deren Bedeutung für die Geschichte sich nach und nach erst erschließt. Die Kapitel zu Asa erzählt durchgängig Jasper, der schon längst tot ist. Jasper, der Teil dieser Gemeinschaft war, Asa über alles liebte und sich dennoch nicht von der Ideologie lossagen konnte, die sie so innig bekämpft.

Natürlich verzichte ich an der Stelle auf ganz viele Personen, Seitenstränge der Geschichte und Spoiler, weil sie in ihrer Fülle tatsächlich einen Reiz dieses Romans ausmachen. Das gilt nicht weniger für die Sprache und das dicht gewebte Erzählnetz und das wirklich gelungene Timing beim Aufbau und Verästeln der Story.

Wenn auch die Story natürlich fiktiv ist, erinnert mich diese Privatideologie doch an neurechte und Reichsbürger-Vorstellungswelten. Dieses Kreisen um die eigene Scholle in größtmöglicher Autarkie, dieses Hineinfantasieren in einen finalen Überlebenskampf, Jäger und Beute als Selektion zu schwachen und damit unwerten Lebens, das vor den eigenen Kindern nicht Halt macht – die Bezüge sind deutlich. Die Darstellung seziert dieses Konstrukt Stück für Stück und dekonstruiert, wie die Hölle im Inneren Einzelner zu einem allumfassenden System werden konnte. Heute können wir sowas in Echtzeit besichtigen, wenn ich neurechte Strukturen im ländlichen Raum denke.

Und, nicht zuletzt, hat mich zuallererst das für den Suhrkamp Verlag wirklich ungewöhnliche Cover zugreifen lassen. Spotlack und Farbschnitt inklusive. Jaja, da werd ich dann doch mal zum Opfer. 😉

Kurz und gut: Das ist Unterhaltung, und zwar gute. Lesen!

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Freitag, 21. November 2025

David van Reybrouck: Revolusi. Indonesien und die Entstehung der modernen Welt


„Indonesien ist der flächenmäßig größte Inselstaat und das viertbevölkerungsreichste Land der Welt. In der deutschen und europäischen Öffentlichkeit sind Geschichte und Gegenwart des pazifischen Archipels jedoch selten Thema. Dabei war Indonesien das erste Land, das nach dem Zweiten Weltkrieg seine Unabhängigkeit erklärte und damit auch viele andere antikoloniale Bewegungen inspirierte: Nach mehr als drei Jahrhunderten niederländischer Vorherrschaft, dreieinhalb Jahren japanischer Besatzung und vier Jahren Unabhängigkeitskrieg wurde das Land 1949 zum souveränen Staat. Der belgische Historiker und Autor David van Reybrouck legt die moderne Geschichte Indonesiens ausführlich dar. Er zeigt auf, wie die Niederlande seit dem beginnenden 17. Jahrhundert auf dem Archipel immer mehr Fuß fassten, was in die Eroberung, Unterwerfung und wirtschaftliche Ausbeutung großflächiger Gebiete und ihrer Bevölkerung mündete. Der Autor zeigt die Funktionsweise der kolonialen Gesellschaft, ihre hierarchischen Strukturen und deren Bedeutung für Politik, Kultur und Alltag der verschiedenen Bevölkerungsgruppen auf. Im Zentrum stehen jedoch die Ereignisse der 1940er Jahre: Diese haben nicht nur durch den Zweiten Weltkrieg in Form der gewaltsamen japanischen Besatzung, sondern auch durch den darauffolgenden Dekolonialisierungskrieg blutige und nachhaltige Spuren in der nationalen, aber auch internationalen Geschichte hinterlassen, die das moderne Indonesien bis in die Gegenwart hinein prägen.“ (Umschlagtext)

Die Erkenntnis gilt in der Literatur ebenso wie in Bezug auf Texte zur Geschichte und Gegenwart – obwohl wir auf so viel zugreifen können, bleiben viele Regionen und mit Afrika gleich ein ganzer Kontinent weitgehend im Dunklen. Auf Indonesien trifft das recht sicher ebenso zu. In all den Lesejahren ist mir, wenn ich mich recht entsinne, genau ein Roman aus dieser Region in die Hände gefallen.

Aber ja, in den letzten Jahren hat sich da schon einiges bewegt. Je mehr Weltregionen auch politisch eine Rolle spielen oder wenigstens in der Berichterstattung überhaupt auftauchen, um so eher nehmen wir sie zur Kenntnis.

Und bevor es jemand kritisch anmerkt: Ja, es ist das Buch eines europäischen Historikers. ^^

(Übersetzung: Andreas Ecke)

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Donnerstag, 20. November 2025

Delia Owens: Der Gesang der Flusskrebse


„Marschland ist nicht gleich Sumpf.“ (Seite 11)

Ach, es hätte so schön sein können. Eine idyllische, abgeschiedene Marschlandschaft, also Schwemmland an der Küste North Carolinas. In einer kleinen, wackeligen und verwitterten Hütte lebt eine Familie fernab der nächsten kleinen Stadt. Doch nach und nach verlassen alle Kya, das jüngste Kind: erst die Geschwister, dann die Mutter und schließlich der Vater, vor dem die anderen alle geflohen sind.

In Armut und mit nur gelegentlichen Kontakten zu einem Händler lebt die kleine nun allein und schafft es, mit ihrer besonderen Nähe zur Natur, den Pflanzen und den Tieren, tatsächlich zu überleben. Für die Bewohner der kleinen Stadt ist sie fast ein Geist, das Marschmädchen halt. Dass eine Zehnjährige ohne Familie, ohne Schule oder sonst irgendjemanden mitten im Nichts aufwächst, scheint im North Carolina der 60er Jahre niemanden weiter zu stören. Zu starr sind noch die Trennungen in Weiß und Nichtweiß, in Arm und Reich. Wer sollte sich da um das Gesindel in der Marsch kümmern?

Einen Freund allerdings hat Kya – den etwas älteren Tate. Er weiß, dass sie Federn, Muscheln, alles Mögliche in der Marsch sammelt und legt zunächst einfach nur kleine Geschenke auf einem Baumstamm ab, wo sie sie in jedem Fall findet. Nach und nach nähern sich beide an, werden enge Freunde, die die Liebe zur Landschaft und ihren Bewohnern teilen. Da Kyla nicht mehr als nur einen Tag in der Schule war, bringt Tate ihr Lesen und Schreiben bei, versorgt sie mit Büchern, aus denen sie ihr Wissen über die Welt um sie herum ergänzt und erweitert.

Er ist es schließlich auch, der sie ermuntert, ihre Sammlungen und Zeichnungen dazu in Form von Büchern zu teilen. So wird aus dem Marschmädchen eine bekannte Autorin und Forscherin. Nur mit der Liebe bleibt es so eine Sache. Der, der für sie bestimmt zu sein scheint, braucht einen langen Umweg zu ihr. Der, mit dem sie stattdessen zunächst zusammenkommt, belügt, betrügt und benutzt sie.

Achja, einen Tod, der möglicherweise ein Mordfall ist, gibt es auch noch. Es folgen Ermittlungen, die Kya auf die Anklagebank bringen werden. Dort hängt ihr Leben buchstäblich davon ab, dass die Geschworenen über die engen und engstirnigen sozialen Grenzen dieser Zeit hinwegsehen können.

Es hätte so schön sein können. Die Bilder im Buch zeichnen sich im Kopf ja quasi von selbst. Und doch kann ich dem Hype, den der Roman eine Zeit lang erlebt hat, nicht teilen.

Die Geschichte begleitet die Hauptfigur ab einem Alter von vielleicht acht Jahren bis zu ihrem Tod. Hauptsächlich werden ihre Kindheit, Jugend und die frühen Erwachsenenjahre erzählt. Der Rest wirkt etwas wie drangebastelt. Insgesamt empfand ich die Entwicklung der Figur nicht überzeugend. Zu viel blieb für meinen Geschmack offen, was doch wirklich erzählenswert gewesen wäre. Dass eine Zehnjährige es schafft, sich zu ernähren und zumindest genug Geld zu verdienen, um sich das Allernotwendigste kaufen zu können, das bin ich ja gewillt einfach mal hinzunehmen. Aber gerade ihr Aufwachsen in so viel Einsamkeit, die Erfahrung der Natur in dieser Einsamkeit – das bleibt bei Postkartenkitsch stehen. Und der ist nicht einmal besonders poetisch gelungen.

Natürlich fällt einem Mädchen, das unter solchen Bedingungen und fern von sozialen Einflüssen aufwächst, nichts Besseres ein, als sich dann doch irgendwie an die breite Brust eines Sporthelden der Stadt zu wünschen – auch wenn sie ihm letztlich den Laufpass gibt. Es bleibt beim Versuch die sepiagoldene Vergangenheit so zu beschreiben, wie sie vermutlich nie war.

Selbst die Verhandlung, in der die gesellschaftliche Spaltung dieser Zeit, die Vorurteile, die Gewalt gut hätten verhandelt und gezeigt werden können, bleibt blass, nur auf ein bisschen Effekt hin beschrieben, der dann auch nur klischeehaft ausfällt.

Auch die Dialoge wirkten auf mich unglaublich blutleer. Dazu passt, dass so viel im Buch zwar behauptet aber gar nicht erzählt, gezeigt wird.

In den 90ern, meine ich mich zu erinnern, wurden nach erfolgreichen Filmen immer mal wieder „Romane zum Film“ veröffentlicht. Das waren öfter geringfügig aufbereitete Drehbücher, Merchandise halt. Dieses Buch erinnerte mich stark daran. Schade, wirklich schade. Ich hätte es gern gut gefunden.

Kurz und gut: Nur die Verfilmung schauen geht schneller und lässt mehr Zeit für andere Bücher. Muss man nicht lesen!

(Übersetzung: Ulrike Wasel/ Klaus Timmermann)

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Montag, 10. November 2025

Laura Spinney: Der Urknall unserer Sprache


„Eine spektakuläre Reise zu den Ursprüngen unserer indoeuropäischen Sprache

Griechische Tragödien, indische Veden, römische Mythologie, Beowulf und Der Herr der Ringe – all diese Erzählungen sind durch eine gemeinsame Sprache und deren Sprecher verbunden, den Indoeuropäern. Wer waren diese Menschen, wie lebten unsere Vorfahren? Dank bahnbrechender Erkenntnisse aus Linguistik, Archäologie und Genetik erzählt Bestsellerautorin Laura Spinney die unvergleichliche Entstehung unserer Ursprache.“ (Umschlagtext)

Sprache ist überall um uns herum. In unseren Familien und Beziehungen, im Job, beim Einkaufen, bei all dem, was uns unterhält, in der Musik etc. Sprache dient uns zur Identitätsbildung und erscheint uns unveränderlich – obwohl wir zugleich zum Beispiel immer wieder feststellen, dass die jüngeren Generationen Sprache anders verwenden, neue Worte finden und nutzen als wir. Während wir Sprachwandel einerseits Zeit unseres Lebens wahrnehmen, erklären wir oft genug eine scheinbar natürliche Unveränderbarkeit.

Neben den Sprachwandel in unserer eigenen Sprache tritt noch die Trennung in verschiedene Sprachen mit allen Sprachhürden und Barrieren, die daran hängen und – wie wir uns vorstellen – ganz andere und unterschiedliche Menschen aus uns machen. Was bedeutet dann aber die Erkenntnis, dass es sowas für eine Ursprache gab, auf die die Sprache so vieler Menschen auf der Erde zurückgeht? Gerade in Zeiten, in denen mal wieder so viel Trennendes gesucht wird und Rechte uns wieder weiszumachen suchen, das Völkische sei natürlich.

Ich bin also gespannt, was die beste Bücherfrau von allen da wieder ausgelegt hat, nur damit ich es vom Tisch pflücke. 😊

„Fast jeder zweite Mensch auf der Erde spricht eine indoeuropäische Sprache. Laura Spinney hat sich zu deren Ursprüngen aufgemacht. Aber wie erforscht man eine Sprache, die seit tausenden von Jahren ausgestorben ist und niemals niedergeschrieben wurde? Wie gräbt man eine Sprache aus? Revolutionäre Erkenntnisse in Genetik, Archäologie und Linguistik machen es möglich.

Vor 5000 Jahren trafen am Schwarzen Meer Nomaden aus der Steppe auf Bauern aus der gemäßigten Zone. Dieses Buch erweckt den Alltag und die Sprache dieser Menschen zum Leben und zeigt, wie eng Ost und West miteinander verbunden sind. Bestsellerautorin Laura Spinney erzählt die Frühgeschichte unserer Sprache auf einmalige Weise neu.“ (Klappentext)

(Übersetzung: Stephanie Singh)

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Sonntag, 9. November 2025

Walter Moers: Prinzessin Insomnia & der alptraumfarbene Nachtmahr


„Eine abenteuerliche Liebesgeschichte und eine Reise durch das träumende Gehirn

Dylia Insomnia ist die schlafloseste Prinzessin von ganz Zamonien. Eines Nachts erhält sie Besuch von einem alptraumfarbenen Nachtmahr, der sich ihr als Havarius Opal vorstellt. Er kündigt an, die Prinzessin in den Wahnsinn treiben zu wollen, bietet ihr jedoch vorher noch die Gelegenheit zu einer abenteuerlichen Reise: nach Amygdala, der berüchtigten Stadt der Angst, in der das dunkle Herz der Nacht regiert. Dylia willigt ein, weil es nicht nur um ihren Verstand, sondern auch um ihr Leben geht.

‚Willkommen in Deinem Alptraum
In unserem schlaflosen Traumraum
Zusammen sind wir allein
Wir gehen auf eine Reise
Auf unbewegliche Weise
Und kehren niemals mehr heim‘

Gesang der Nachtmahre“ (Umschlagtext)

Ich weiß doch, dass das nicht der neue Moers ist, der diese Woche in die Buchläden kam. Da ich Zamonien und Walter Moers als Autor (und Übersetzer aus dem Zamonischen) erst spät für mich entdeckt habe, schmöker ich immer noch etwas hinterher. Das ist aber gar nicht schlimm, weil ich so immer noch einige Bände vor mir auf dem Lesestapel weiß. Nicht wie all die Schlaumeier, die alles sofort lesen müssen, hah! 😉

„Prinzessin Dylia Insomnia ist mit einer unheilbaren Krankheit geschlagen, deren lästigstes Symptom eine monströse Schlaflosigkeit ist, welche Dylia mit ihrem außergewöhnlichen Einfallsreichtum bekämpft. Eines Abends, nach achtzehn Tagen ohne jeden Schlaf, bekommt sie Besuch von Havarius Opal, einem Nachtmahr mit alptraumfarbener Haut und kuriosen Manieren. Er kündigt an, die Prinzessin in den Wahnsinn zu treiben, bietet ihr aber auch großzügig an, vorher mit ihm noch eine letzte abenteuerliche Reise durch ihr Gehirn zu unternehmen.

Wolter Moers erzählt sein somnambules zamonisches Märchen mit Rasanz, Romantik, scharfsinnigem Humor und aberwitzigen Kreaturen: Zergesser und Thalamiten, Egozetten und Grillos, Ideenschmetterlinge und Irrschatten, die giftgrüne Spinne der Erinnerung und nicht zuletzt die mysteriösen Zwielichtzwerge. Überstehen Prinzessin Insomnia und Havarius Opal den Weg nach Amygdala und finden das dunkle Herz der Nacht?“ (Klappentext)

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Samstag, 8. November 2025

Mosaik #599

 


Gewitter überm Meer, Sturm, Regen, kenternde Schiffe – auch das gehört zu dem Episch-Berauschenden, das die Faszination Meer mit ausmacht. An so einem eher tristen Novembertag sitz ich aber auch gern im Warmen. 😊

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Freitag, 31. Oktober 2025

Annekathrin Kohout: Hyperreaktiv. Wie in Sozialen Medien um Deutungsmacht gekämpft wird


„Likes, Shares und Eskalationsspiralen: Willkommen in der Reaktionskultur!

Die Kulturwissenschaftlerin Annekathrin Kohout wirft einen Blick hinter die Erregungsdynamiken der Sozialen Medien – auf die Strukturen und Methoden, die öffentliche Debatten längst weit über das Netz hinaus bestimmen.“ (Umschlagtext)

Sind wir uns nicht alle eh längst einig, dass die Menschheit einfach noch nicht reif ist für diese digitale Moderne? Dabei klingt die Idee doch total toll, dass alle nicht nur Konsument:innen sondern gleichzeitig auf Produzent:innen von Inhalten sein können. Wenn, ja wenn da nicht die alte Profitgier wäre, die auf politische Interessen trifft, die die Welt bloß nicht besser werden lassen wollen und dafür bereit sind, Desinformation, Hass und Hetze von der Kette zu lassen.

Ok, das ist natürlich sehr plakativ formuliert und verkennt, dass die Welt doch komplexer ist und funktioniert, als sich in eine Verschwörungserzählung packen lässt. Letztlich ließen und lassen sich so viele Erfindungen in der Geschichte der Menschheit zum Guten wie zu seinem Gegenteil wenden. Und wenigstens für den ganz persönlichen Gebrauch ist da ein besseres Verständnis unerlässlich, um eben einen selbstbestimmten Umgang zu finden.

Es kann trotzdem nicht nur eine rein individuelle Frage bleiben, wenn zugleich klar ist, dass die Auswirkungen von Kampagnen beispielsweise eben gesellschaftliche sind.

Schauen wir mal, was dieses Mitbringsel vom MM (Danke! 😉) von der Frankfurter Buchmesse an Erkenntnissen bereithält.

„Warum ist Kommunikation im Netz geprägt von Überreizung, Missverständnissen und gegenseitigem Misstrauen? Wie wird online mit Bildern und ihrer Interpretation Politik gemacht?

Die Kulturwissenschaftlerin Annekathrin Kohout erkundet die Sozialen Medien als eine Welt, in der alles auf möglichst starke Reaktionen ausgelegt ist. Nur wer permanent beurteilt, kommentiert, teilt oder mit seinen Beiträgen selbst starke Interaktionen hervorruft, wird von den Algorithmen belohnt – mit weitreichenden Folgen: nicht nur für die Qualität öffentlicher Debatten, sondern auch für das Verhalten und die Denkweisen eines zunehmend hyperaktiven Menschen.

Anhand persönlicher Erfahrungen, prägnanter Fallbeispiele und theoretischer Reflexionen legt Kohout anschaulich offen, wie in den Sozialen Medien analytische, forensische und investigative Methoden imitiert werden, um gezielt Desinformation zu verbreiten und Stoff für Polarisierung zu bieten. Und sie zeigt, welche Verantwortung jeder einzelne User dabei trägt. Wer einen glaubwürdigen demokratischen Diskurs noch nicht aufgeben möchte, sollte diese Bestandsaufnahme der digitalen Gegenwart dringend lesen.“ (Klappentext)

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Sonntag, 26. Oktober 2025

Carolin Amlinger/ Oliver Nachtwey: Zerstörungslust. Elemente des demokratischen Faschismus


„Der dionysischen Kraft des Faschismus kann man nicht mit Technokratie, Demokratietrainings und Faktenchecks begegnen. Auch der Antifaschismus braucht etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt.“ (Umschlagtext)

Ist es enervierend, uns schon seit mindestens einer Dekade immer wieder zu fragen, wie dieser zunehmenden Lust am Autoritären Einhalt zu gebieten sei? Ohja. Ist es um unser selbst und unserer Zukunft willen unabdingbar? In jedem Fall.

Ich weiß nicht, ob es am Ende die eine Antwort geben wird oder ob es nicht eher ganz viele Stellschrauben sind, die wir bewegen müssten. Klar ist aber mindestens, dass ein Hinnehmen, stillschweigendes Akzeptieren oder Ignorieren in keinem Fall die Lösung sein kann.

In diesem Sinne müssen wir uns diesen Fragen immer wieder stellen. Gemeinsam!

„Donald Trump versprach vor seiner erneuten Wahl, die liberale Demokratie aus den Angeln zu heben. Er wurde nicht trotz, sondern wegen dieses Versprechens gewählt. In Gekränkte Freiheit zeigten Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey, wie Libertarismus und Autoritarismus miteinander verschmelzen könnten. Wenige Jahre später hat die Realität ihre soziologische Diagnose auf bedrückende Weise bestätigt. Nun befassen die beiden sich mit den Wähler:innen und Followern von Traum, Musk sowie der AfD.
Woher diese Lust an der Zerstörung? Und warum folgen so viele Bürger:innen den libertären Autoritäten in den selbstgewählten Faschismus? Auf der Grundlage umfangreicher empirischer Forschungen, darunter einer Vielzahl ausführlicher Interviews, entwickeln Amlinger und Nachtwey eine Erklärung: Im Kern richtet sich diese Revolte gegen die Blockade liberaler Gesellschaften, die ihre Versprechen auf Aufstieg und Emanzipation nicht mehr einlösen. Die beiden analysieren mit Erich Fromm, dass die Zerstörung der Gesellschaft ein letzter, verzweifelter Versuch ist, nicht von ihr zermalmt zu werden.“ (Klappentext)


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Mittwoch, 22. Oktober 2025

Nelio Biedermann: Lázár


„In ‚Lázár‘ erzählt Nelio Biedermann, inspiriert vom Schicksal seiner Familie, die Geschichte einer ungarischen Adelsfamilie in den Strudeln des 20. Jahrhunderts – ein Roman wie eine Welt, so farbig, sinnlich, traurig und schön wie das Leben selbst. ‚Lázár‘ wird in mehr als zwanzig Ländern erscheinen.“ (Umschlagtext)

Jaja, alle haben gerade den Biedermann auf dem Lesestapel. Entgegen all meiner Gepflogenheiten bin ich jetzt mal mit dabei, beim Trend. Und wehe, das lohnt sich am Ende nicht. 😉

Spannend find ich, dass – egal wie egalitär wir als Lesende so eingestellt sein mögen – diese Geschichten von alten Adelsfamilien irgendwie trotzdem immer wieder ihr Publikum finden. Ob es nun der romantisierte alte Glanz ist oder die Faszination des Unterganges und Wandels – irgendwas muss es ja haben, dass uns da anspricht.

Merkposten für mich: Auch auf Geschichten von Menschen aus einfachen Verhältnissen achten und mal etwas vergleichen.

„Alles beginnt, sogar das Ende, als Lajos von Lázár, das blonde Kind mit den wasserblauen Augen, zur Welt kommt. Seinem Vater, dem Baron, wird der Sohn nie geheuer sein, als ob er dessen Geheimnis ahnte. Mit Lajos´ Geburt im Waldschloss bricht auch das 20. Jahrhundert an, das das alte Leben der Barone Lázár im südlichen Ungarn für immer verändern wird. Der Untergang des Habsburgerreichs berührt erst nur ihre Traditionen, aber alle spüren das Beben der Zeit, die schöne Mária ebenso wie der geisterhafte Onkel Imre. Als Lajos in den zwanziger Jahren sein Erbe antritt, scheint der alte Glanz noch einmal aufzublühen. Doch die Kinder Eva und Pista – der das Dunkle so liebt – müssen erleben, wie totalitäre Zeiten ihre wuchtigen Schatten werfen – und lernen, gegen sie zu bestehen.
Ein Roman wie eine Welt, die überwältigende Saga einer Familie, getrieben von der Liebe und der Sehnsucht nach ihr, in den Strudeln des 20. Jahrhunderts. Fesselnd und berührend, zugleich voller Leichtigkeit, voller Träume und Geheimnisse, in denen sich die ganze Tragik und Schönheit der Existenz spiegelt. Und – ob angesichts historischer Katastrophen oder schöner Sommertage – die ewige Frage, wie man leben soll.“ (Klappentext)

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Sonntag, 19. Oktober 2025

Mosaik #598


Stories zum Besten geben zur Unterhaltung und zum Angeben – och, olle Münchhausen hätte auch heute seinen Spaß. Und wenn er einen Social Media Account hätte … 😉

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Donnerstag, 16. Oktober 2025

Michael Sommer/ Stefan von der Lahr: Die verdammt blutige Geschichte der Antike ohne den ganzen langweiligen Kram


„1200 Jahre Antike – eine goldene Zeit voller Weisheit, Schönheit, Tugend? Fehlanzeige! Stattdessen munteres Morden der Griechen und Römer vom Olymp bis zum Forum. Mit diesem herrlich respektlosen Buch führen uns Michael Sommer und Stefan von der Lahr raus aus der historischen Komfortzone und rein in eine Geschichte von Menschen, denen Sie besser nicht im Dunkeln begegnen …“ (Umschlagtext)

Naja, dass das vom Kinolicht geschönte Bild der Antike keine Geschichtsschreibung ist, sollte ja eigentlich klar sein. Dass es damals, vorsichtig formuliert, sehr ruppig zuging, eigentlich auch. Insofern erwarte ich gar nicht so viele Neuigkeiten in diesem Band – unterhaltsame Geschichtsschreibung aber schon.

Aber ohne Popcorn, das wischt sich so schlecht von Buchseiten. 😉

„Wer heute staunend vor der Akropolis in Athen oder den betörenden Fresken von Pompeji steht, übersieht leicht die breite Blutspur, die Griechen und Römer durch die Geschichte gezogen haben. Zwar grüßen aus der Vergangenheit klangvolle Namen wie Achill oder Romulus, Perikles oder Alexander, Caesar oder Augustus. Doch das Geschäft dieser und vieler anderer Herren war nicht zuletzt das Morden im Großen und Kleinen: im Krieg und an politischen Gegnern, ja sogar an Freunden, wenn sie sich gar zu eigensinnig verhielten. Aber, aber … hat man damals nicht die Demokratie erfunden und eine Republik gegründet? Wer glaubt, dass Demokraten und Republikaner keine blutigen Eroberer sein konnten und davor haltmachten, den Freiheitsdrang von Zehntausenden gewaltsam zu unterdrücken, der irrt. Höchste Zeit für eine andere Geschichte der Antike! Von der Eroberung Trojas bis zum Fall Roms: Michael Sommer und Stefan von der Lahr erzählen uns die ganze verdammte Wahrheit, faktentreu, farbecht und ohne Tabus.“ (Klappentext)

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Mittwoch, 15. Oktober 2025

Douglas Stuart: Shuggie Bain


„Der Tag war mau.“ (Seite 11)

Puh, diese Geschichte ist wirklich durch und durch trostlos. Schier unglaublich ist es, dass die Figuren dennoch auch ihre Momente der kleinen Hoffnung haben. Und, dieses Buch kann man nicht einfach wieder weglegen.

Shuggie ist ein kleiner, zierlicher Junge, der nicht so recht in das raue Glasgow der 80er Jahre passen will. Er lebt mit seiner Mutter, Schwester und Bruder als jüngstes Kind der Familie zusammen.

Als Familie würden das die beiden Ältesten vermutlich eher nicht beschreiben. Zu lange schon erleben und erdulden sie den anhaltenden Abstieg dieser Schicksalsgemeinschaft. Dass die Kinder unterschiedliche Väter haben, ist dabei das geringste Problem. Dass keiner von ihnen da ist, schon eher.

Agnes, die Mutter der drei, steht im Mittelpunkt des Romans. Das widerspricht insofern nicht dem Titel des Buches, der den Fokus auf Shuggie legt, weil sich das Leben der Kinder um ihre Mutter dreht.

Als junge Frau ist Agnes ins Leben gestartet mit großen Plänen, Hoffnungen und Erwartungen. Allein Zeit und Ort und vermutlich das Umfeld ließen ihr wenig Spielraum. Als auffallende Schönheit, die sich herauszuputzen weiß und das auch in ihren dunkelsten Stunden noch durchzieht, fällt sie auf. Männer umschwirren sie und sie wird die Hoffnung bei jedem nicht los, dass sich noch ein besserer findet. Letztlich findet sie sich ausgenutzt und abgeschoben in einer heruntergekommenen Bergarbeitersiedlung außerhalb der Stadt wieder.

Hier bewohnt die Familie zwar ein Haus, aber die seit langem geschlossene Zeche hat nichts als Armut und Hoffnungslosigkeit hinterlassen. In einem ihrer kurzen Momente von Aktivismus putzt Agnes Haus und Garten so gut heraus, wie es nun mal so geht. Die Nachbarinnen hassen sie ohnehin. Es ist die irgendwie ewige Geschichte der Alleinstehenden, die allein deswegen schon von den Männern wie Freiwild begafft und von deren Frauen argwöhnisch beäugt wird.

Was hier alle dann doch verbindet und sich zugleich durch Agnes Leben zieht, ist der Suff. Die offenbar einzige greifbare Möglichkeit, dem Hier und Jetzt zu entfliehen. Die drei Kinder kennen all die Phasen des Alkoholismus und richten ihr Leben danach aus. Die älteren Beiden haben längst verstanden, dass sie nur sich selbst werden retten können. Die Schwester wechselt gleich den Kontinent, heiratet dort und bleibt fernab. Shuggies Bruder braucht etwas länger, sieht aber auch zu, dass er auf eigenen Beinen steht und Abstand gewinnt. Einzig Shuggie ist für eine derartige Flucht noch zu klein. So lastet all die Verantwortung auf seinen schmalen Schultern. Das er sie nicht wird tragen können, ist so absehbar wie nur was.

Agnes Zustand bestimmt sein Leben. Er ist es, der den Zustand seiner Mutter mit Argusaugen bewacht und alles danach auszurichten lernt. Er holt das Geld vom Amt, er sorgt dafür, dass nicht alles Geld in Bierdosen fließt und wenigsten etwas zum Essen im Haus ist.

Auch dazu gehört, dass Agnes Shuggie eine Unbeugsamkeit lehrt, die ihm vermutlich das Leben retten wird. In ihren größten Niederlagen setzt sie sich selbst volltrunken noch an den Schminktisch, macht sich zurecht und zeigt der Welt, was eine Lady ist. Und wenn sie so loslegt, möchte man beim Lesen Beifall klatschen.

Diese Lektion, sich nicht auch noch von den anderen runtermachen zu lassen, braucht der kleine Shuggie, der es als Sohn einer alleinerziehenden Alkoholikerin schon schwer genug hätte. Dass er obendrein für seine sanfte Art, das „feminine“ Auftreten von den Kindern in der Nachbarschaft regelrecht gemobbt wird, ahnt Agnes allenfalls.

Es gibt die kleinen Momente im Roman, in denen kurz Hoffnung aufschimmert. Agnes versucht tatsächlich trocken zu werden. Aber wie soll das klappen in einem Umfeld, dass sie fallen sehen will, damit sie genauso tief am Boden liegt wie alle um sie herum?

Douglas Stuart braucht keine dramatische Sprache, um die Trostlosigkeit des Alltags einzufangen. Die klaren, unverblümten Beschreibungen fordern beim Lesen einiges. Und trotzdem lässt sich diese Geschichte einfach nicht beiseitelegen. So erging es zumindest mir.

Ich denke, es wird nicht lange brauchen, dass auch der zweite Roman des Autors, der inzwischen auf Deutsch vorliegt, ebenfalls auf meinem Lesestapel landen wird. 😉

Kurz und gut: Lesen, einfach nur lesen!

(Übersetzung: Sophie Zeitz)

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Montag, 13. Oktober 2025

Heidi Kastner: Dummheit


„Über die Dummheit zu schreiben ist immer ein prekäres Unterfangen.“ (Seite 9)

Ey, bist du dumm? Ich Dummerchen! Dummdreist. Dumm wie Brot. Dummbatz!

Ok, „dumm“ gehört offenbar nicht zu den ganz arg schlimmen Kennzeichnungen von Menschen, lässt aber auch genügend Spielraum für Nuancen von vollkommenem Unverständnis bis hin zur koketten Verniedlichung. Wie gut, dass sich die forensische Psychiaterin Heidi Kastner einer kleinen Untersuchung der Dummheit angenommen hat.

Das schöne bei einem solchen Thema ist, dass wir Alltagsbeispiele am laufenden Band einsammeln. Dieses Büchlein geht über reine Erfahrungsevidenz natürlich weit hinaus. Aber der Abgleich im Hinterkopf beim Lesen war schon recht unterhaltsam.

Zunächst scheint Dummheit nicht zwingend etwas über das Wissen auszusagen, über das jemand verfügt sondern eher über die Fähigkeit (oder den Willen) dieses auch einzusetzen. 

Ganz praktisch könnte das beschreiben, dass ich bei handwerklichen Fragen im Kopf schon ganz sicher bin, wie etwas zu sein oder zu funktionieren hat. Nicht unbedingt kommt dann der Nagel deswegen auch gerade in die Wand oder ins Holz. Sich dumm anstellen ist ja quasi auch eine wirklich hohe Disziplin.

Persönlich nutze ich ja gern, dass das sich Dummstellen sprachlich nicht so weit davon entfernt ist und mitunter hilfreich dabei, ungeliebten Tätigkeiten nicht nachgehen zu müssen. (Ich sehe direkt vor mir, wie der MM da mit den Augen rollt, gelle. 😉)

Dummheit hat, so würde ich hier schon mal dazwischenschieben, also womöglich etwas mit blinden Flecken zu tun. Seien sie im eigenen Auge zu finden oder vielleicht auch im Auge anderer zu provozieren. Aber das klingt ja erstmal immer noch recht putzig.

Das sich Dummstellen führt, finde ich, durchaus hin zu einem Punkt, den Heidi Kastner in ihrem Band auch aufmacht – nämlich die Ausprägung, in der jemand bewusst Fakten leugnet bzw. ignoriert. Und jenseits des ganz Alltäglichen wird es, wenn es dann um Politik, Gesellschaft, Debatten geht doch nicht nur anstrengend, sondern schon auch gefährlich.

Seit geraumer Zeit müssen wir ja nun schon im politischen Raum erleben, wie das dummdreiste (sic!) Leugnen und Ignorieren von Fakten einfach zur Methode erklärt wird. Faktenchecks hin oder her. Die Rechtspopulisten in allen möglichen Ländern liefern dafür tagtäglich unschöne Beispiele. Leider versuchen manche dem Nachzueifern – eigentlich auch eine Form der Wissens- oder Handlungsverweigerung, also sich Dummstellen.

Spannend in Kastners Ausführungen und Überlegungen fand ich auch das Kapitel über Gefühlsdummheit. Ein Wort, bei dem ich sofort aus Alltagserlebnissen frei assoziieren kann. 😉

Damit das alles nicht salopper wirkt, als der Anspruch des Büchleins aus der Reihe „Übermorgen“ des Wiener Indieverlags Kremayr & Scheriau, sei darauf hingewiesen, dass auch in dieser Ausgabe durchaus ernsthaft wissenschaftliche Erkenntnisse zugrunde gelegt werden, um Facetten des titelgebenden Phänomens zu beleuchten. Und das ist definitiv bestens gelungen.

Kurz und gut: Informativ, anregend und soooo anschlussfähig. Lesen!

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Freitag, 10. Oktober 2025

Zoran Drvenkar: Asa


„Sechs Jahre hatte man sie wegsperren können, aber nun ist die Zeit der Rache gekommen. Asa macht sich auf den Weg, um eine Tradition zu zerstören, die das Leben einer Gemeinschaft seit hundert Jahren beherrscht und zum Tod unzähliger Unschuldiger geführt hat. Und bald wird sie ihrem größten Feind gegenüberstehen – ihrer eigenen Familie.

ASA ist ein gewaltiger Roman voller Tragik, Liebe, Gewalt, Freundschaft und Verrat. Ein virtuos geschriebener Thriller, eine düstere Familiensaga, ein atemberaubender Racheroman – rasant und mit ungeheurer Wucht erzählt.“ (Umschlagtext)

Die Farbgestaltung, gelber Spotlack auf dem Cover und Farbschnitt obendrein – ich musste ja mehrfach hinschauen, um mich zu vergewissern, dass ich mich beim Verlag nicht verlesen habe. 😉

Ok, Suhrkamp ist schon seit Längerem auch jenseits der literarisch angestammten Domänen unterwegs. Aber die Gestaltung ist dann doch auffälliger als alles, was ich sonst so aus dem Haus kenne.

Da gut gemachte Thriller ja durchaus ihren Reiz haben und einfach alle wichtigen Schlagworte auftauchen: Tragik, Liebe, Gewalt, Verrat, Familiensage – hey, hier bin ich. Das ist doch, was sich seit jeher durch die Literatur zieht. Also, seien wir gespannt, was hier eingelöst wird. 😉

„Sechs Jahre konnten sie sie wegsperren und bei dem Gedanken an sie beruhigt aufseufzen, Sechs Jahre konnten sie des Nachts ruhiger schlafen und mussten des Tags nicht nervös über die Schulter blicken, ob sie ihnen nicht doch auf den Fersen ist. Aber diese Zeit ist jetzt vorbei, weil sie wieder da ist: Asa, die Legende, Asa, die Unbezwingbare, die große Jägerin, deren Feinde sie ehrfurchtsvoll ‚MIR‘ nennen, Frieden.
Und sie wissen: Ihr Frieden wird ein endgültiger sein, Asa hatte sechs Jahre Zeit für ihren Racheplan. Denn Rache wird sie nehmen. An all jenen, die die unbarmherzige und grausame Tradition, die ‚Prüfung‘, weitergeführt und ihr damit das Liebste genommen haben.
Bei ihrem Kampf findet Asa loyale Verbündete, erfährt niederträchtigen Verrat, trifft auf mächtige Gegner und stellt sich schließlich ihrem größten Feind – ihrer eigenen Familie.

ASA ist ein gewaltiger Roman voller Tragik, Liebe, Gewalt, Freundschaft und Verrat, ein virtuos geschriebener Pageturner, eine düstere Familiensaga, ein atemberaubender Racheroman – rasant und mit ungeheurer Wucht erzählt.“ (Verlagstext)

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Donnerstag, 9. Oktober 2025

Mal in eigener Sache


Manchmal lösen ja ganz unspektakuläre, fast schon banale Momente ganz schön was aus. Etwas über 25 Monate ist es jetzt her, dass Fahrrad, Tramgleis, Schwerkraft und ich eine denkwürdige Begegnung hatten. Denkwürdig zumindest für mich. 😉

Nach über zwei Jahren bin ich nun endlich das hilfsweise eingebaute Metall wieder los und bin einfach mal optimistisch, was die Zukunft angeht. Und ja, ich saß inzwischen wieder auf dem Fahrrad und es war grandios.

Da ich mit Unfällen und einer derart intensiven Art des Umganges mit dem Gesundheitssystem ein echter Neuling bin, hab ich sehr schnell doch einiges lernen dürfen und müssen. Dabei weiß ich, wie viel Glück ich hatte mit einzelnen Menschen, denen ich begegnet bin, und mit den Institutionen, mit denen ich zwangsweise so zu tun hatte. Und ich traf genügend andere Leute, für die es nicht annähernd so lief.

Spannend ist die Erfahrung mein Verhältnis zu meinem Körper neu mit mir aushandeln zu müssen, weil „die Maschine“ schlagartig eben nicht mehr einfach da war und tat, was sie doch immer einfach so getan hat. Plötzlich musste ich Schmerzgrade bestimmen und beschreiben und Unmengen an Fragen beantworten, die für Menschen im Gesundheitswesen halt Alltag sind, mich aber erstmal ganz schön ins Grübeln brachten. „Sei doch mal locker und Atmen nicht vergessen!“ Unvergessen der Satz und sicher auch einigen hier ein Begriff. 😉

In zwei Krankenhäusern konnte ich zwei Betreuungen erleben, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Und das lag beileibe nicht an den einzelnen Mitarbeitenden dort. Heute kann ich sagen, wie viel wert es ist, wenn die Pflegekräfte ansprechbar sind und unter Bedingungen arbeiten, die es ihnen ermöglichen für die Patienten da zu sein. Kein freundliches Wort an sie ist verschwendet und kein Danke.

Ganz große Hochachtung habe ich inzwischen vor der Arbeit all der Therapeut:innen, mit denen ich ja letztlich die meiste Zeit verbrachte und verbringe. Die Leistung der Ärzte will ich damit gar nicht schmälern, ab die hab ich ja nicht halb so viel gesehen. 😊 Es ist so beeindruckend, wie viel an Kommunikationsarbeit zu diesem Beruf gehört. Da kommt so ein Patientenmensch an mit der eigenen Geschichte und redet, jammert vielleicht. Neben Smalltalk, der auch fürs Gesehenwerden enorm wichtig ist, die all die therapeutischen Fragen zu klären. Und dann noch wie nebenher mit den Körpern auf der Liege zu kommunizieren, um all den Auas nachzugehen, Blockaden zu lösen, Fehlstellungen zu erkennen und und und. Nein, das ist wirklich unendlich beeindruckend.

Mein Weg wird ja noch etwas weitergehen, bis diese leidliche Geschichte dann endlich mal als abgeschlossen gelten kann.

Mein vorläufiges Fazit:

Unfälle einfach nicht machen. Und wenn schon, dann nur Arbeitsunfälle. Alles andere lohnt sich ja mal gar nicht. Ist schon nicht so schlecht, sich auch mal Zeit für den eigenen Körper zu nehmen und wahrzunehmen vor allem. Und am wichtigsten eigentlich: So ein Lächeln und ein freundliches Wort hat noch niemanden überanstrengt und retten jemand anderem vielleicht gerade den Tag oder auch nur den Moment.

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Mittwoch, 8. Oktober 2025

Maria Kanitz/ Lukas Geck: Lauter Hass. Antisemitismus als popkulturelles Ereignis


„Galt Popmusik einst als Medium der Emanzipation, scheint davon seit dem 07. Oktober nicht mehr viel übrig zu sein. Es werden offene Briefe unterschrieben, die das Massaker der Hamas verharmlosen, beschweigen oder gar leugnen. Es wird zu Boykotten aufgerufen, Konzerte werden zu israelfeindlichen Kundgebungen.
Anhand zahlreicher Beispiele zeigen Maria Kanitz und Lukas Geck, in welchem Ausmaß Antisemitismus im popkulturellen Repertoire verankert ist und wie breit und bereitwillig dieser zelebriert wird.“ (Umschlagtext)

Wenn es jemals so etwas wie einen gesellschaftlichen Kompass gab, der es auch Einzelnen erleichterte, die Welt und was in ihr und um uns herum geschieht zu deuten, dann scheint dessen Eichung in den letzten Jahren ziemlich ramponiert worden zu sein. Sei es vom vielen gebotenen Gebrauch, sei es, dass der Gebrauch nicht mehr so gebräuchlich oder gar missbräuchlich geschieht oder willentlich unterlassen oder sabotiert wird. Sofern dieses Bild vom Kompass nicht als gänzlich naiv zu verwerfen ist.

Leider gibt es unendlich viele Gründe immer wieder genau hinzuschauen und an der Justierung dieses Kompasses zu arbeiten – am besten gemeinsam. Lautes Nachdenken und Analysieren mit Veröffentlichungen gehört dazu. Ich bin also gespannt auf diesen Beitrag.

„Galt Popmusik einst als Medium der Emanzipation, scheint davon seit dem 07. Oktober nicht mehr viel übrig zu sein. Es werden offene Briefe unterschrieben, die das Massaker der Hamas verharmlosen, beschweigen oder gar leugnen. Es wird zu Boykotten aufgerufen, Konzerte werden zu israelfeindlichen Kundgebungen, Musiker:innen inszenieren sich als Freiheitskämpfer:innen.
Maria Kanitz und Lukas Geck nehmen dies zum Anlass, antisemitische Entgleisungen in der Popkultur genauer unter die Lupe zu nehmen. Anhand zahlreicher Beispiele aus den letzten Jahren – etwa Roger Waters, Kanye West oder Macklemoore – zeigen sie, in welchem Ausmaß Antisemistismus ins popkulturelle Repertoire eingesickert ist und wie breit und bereitwillig dieser zelebriert wird.“ (Verlagstext)

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Dienstag, 23. September 2025

Thomas Röthlisberger: Steine zählen


„Eigentlich irrt sich der Hund nie.“ (Seite 9)

Was soll auf gut 170 Seiten schon passieren? Thomas Röthlisberger packt einfach mal mehrere Leben und ihre Verstrickungen in einen schmalen Band und hat die Geschichte dabei auserzählt. Und das auf großartige Art und Weise.

Ein alter Mann liegt mit Schusswunde und Gewehr in der Hand in seinem eigenen Blut auf einem abgelegenen Hof in Südfinnland. Seine Frau hat ihn nach Jahrzehnten verlassen. Der Sohn ist schon lange auf und davon und kommt nur zurück, wenn er gerade mal Geld braucht. Ein echt trostloses Land.

Von Finnland hab ich so gar kein Bild vor Augen, nur die Textzeile von Rainald Grebe im Ohr: Finnen sind alle depressive Trinker. Finninnen auch. (Sinngemäß zitiert.) Die Geschichte, oder vielmehr die Geschichten, die der Schweizer Röthlisberger hier erzählt, illustrieren das ganz klar. 😉

Märtas Leben beginnt fast hoffnungsvoll mit einer großen Liebe, der sie bereitwillig überall hin gefolgt wäre. Wenn der Typ nicht auf einmal spurlos verschwunden wäre. Aber ihre Eltern hielten ohnehin nichts von ihm. Dumm nur, dass die Leidenschaft nicht folgenlos blieb. So heiratete sie kurzerhand einen anderen und ihr noch ungeborener Sohn hatte damit einen Vater. Ob der etwas ahnte, bleibt ungewiss.

Da ist dieser Typ, eher ein Einzelgänger, eher ruhig. Aber aufbrausen kann der, dass Nasen brechen und Blut fließt. Eigentlich will er ja nur das Beste und mithalten will er, sich nicht ausstechen lassen. Aber irgendwie zieht er nie das große Los. Bis dann Märta, die er lange genug mit seinem ganz eigenen Charme umschwärmt hat, sich doch tatsächlich in seine Arme wirft und ihn gar heiratet. Matti hätte das nicht für möglich gehalten, aber große Selbstzweifel sind seine Sache nun auch nicht. Also, das passt schon und der abgelegene Hof, den er erbt, muss ja auch bewirtschaftet werden. Nur gut, dass ein Nachkomme so schnell unterwegs ist.

Olli wächst auf zwischen Liebe und Angst. Seine Mutter Märta umsorgt ihn liebevoll. Doch Matti, sein Vater, findet, sie würde den Bengel nur verziehen und verwöhnen. Hart soll er werden und irgendwann den Hof übernehmen. Stattdessen flüchtet Olli sich in die nächste Stadt und in ein etwas aus der Bahn geratenes Leben und in Drogen.

Den Polizisten, der Matti auf dem Hof findet und rätselt, was hier wohl passiert sein könnte, lasse ich mal außen vor. In den Kapiteln, die abwechselnd von den verschiedenen Figuren im Roman erzählen, dröselt Röthlisberger die einzelnen Leben mit ihren Entscheidungen und ihrem Hineingeworfensein auf und verknotet sie gleich wieder kunstvoll miteinander.

Mit seiner klaren Sprache webt der Autor einen wirklichen dichten Erzählteppich, der trotzdem an keiner Stelle überlastet wirkt. Es ist einfach nur kein Wort zu viel und damit womöglich eine treffende Zeichnung der Stimmung in diesem Südfinnland.

Ein bisschen spannend finde ich aber die Frage, wie diese Geschichte nach Südfinnland gelangte, obwohl sie der Anlage nach auch gut in der Schweiz hätte spielen können, wo der Autor lebt. Aber darauf gibt der Roman natürlich keine Antwort. 😊

Kurz und gut: Ein schönes Beispiel für richtig gute Literatur in einem kleinen, fast unscheinbaren Verlag. Lesen!

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Donnerstag, 18. September 2025

Mosaik #597


So war dit also. Dieses Mal dürfen die drei knuffigen Zeitreisenden die Anfänge Berlins miterleben. Nach ein paar Tagen an Berlins größter Badewanne passt das doch wunderbar, um hier wieder anzukommen. 😊

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Montag, 15. September 2025

Ilko-Sascha Kowalczuk/ Bodo Ramelow: Die neue Mauer. Ein Gespräch über den Osten


„Der Osten, der Westen und die gefährdete Demokratie

Vieles von dem, was nach 1990 im Osten schiefgelaufen ist, lässt sich aus Versäumnissen und Fehlern im Vereinigungsprozess erklären. Anderes geht auf überzogene Erwartungen und ein falsches Verständnis von Freiheit zurück. So ist eine toxische Stimmung entstanden, die immer größere Teile der Bevölkerung erfasst – nicht nur im Osten, sondern auch im Westen. Denn die ‚neue Mauer‘ verläuft nicht nur entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze, sondern auch zwischen den Verteidigern der Demokratie und jenen, die sie – gezielt oder leichtfertig – in Gefahr bringen.“ (Umschlagtext)

Tja, wenn wir heute über Ostdeutschland reden, sprechen wir eigentlich auch immer über gesellschaftliche Spaltung, den Rechtsruck, die Gefahren für die Demokratie. Nicht erst seit gestern stand ja auch das Bild von Ostdeutschland als einer Art Laboratorium im Raum, in dem Entwicklungen früher und wie unter einem Brennglas einsetzen.

Dieser Gesprächsband verspricht erst einmal Ähnliches. Das Interessante sind zweifelsohne die beiden, die da miteinander sprechen. Auch ohne das Buch schon gelesen zu haben, rechne ich fest mit einer gut gewürzten Debatte und vielen klaren Worten, die manchmal auch wehtun. Für genau das schätze ich die beiden, so gut man sich sicher auch jeweils an den Positionen mal reiben kann.

Meine Leseerwartung ist also hoch. 😊

„Ilko-Sascha Kowalczuk ist einer der besten Kenner der DDR-Geschichte und seit vielen Jahren ein ebenso kritischer wie kluger Beobachter des Vereinigungsprozesses. Die FAZ nannte ihn den ‚Punk unter den deutschen Historikern‘. Bodo Ramelow ist seit 1990 in Ostdeutschland politisch aktiv und war von 2014 bis 2024 Ministerpräsident in Thüringen. Die beiden haben sich zusammengesetzt, um nach den Ursachen für den flächendeckenden Wahlsieg der AfD in den neuen Bundesländern und nach den Perspektiven für unsere Demokratie zu fragen. Der Zeithistoriker und der Politiker lassen es dabei nicht an deutlichen Worten fehlen und gelangen zu einem sehr differenzierten Bild der deutsch-deutschen Gegenwart.“ (Klappentext)

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Sonntag, 14. September 2025

Helmut Krausser: Aussortiert


Berlin, ein heißer Sommer: Vier kaltblütige Morde erschüttern die Stadt. Alles deutet auf einen selbsternannten Racheengel hin, der seine Opfer wegen ihrer moralischen Verfehlungen ‚aussortiert‘. Doch die beiden Kommissare Kai Nabel und Lidia Rauch glauben nicht an diese Lösung …“ (Umschlagtext)

Ich fülle meinen Regalmeter Krausser auf. Zum Beispiel mit diesem Kriminalroman von 2007. Sollte ich das nicht enden wollende Werk vom Autor jemals auf den aktuellen Stand bekommen, wird der Meter im Regal vermutlich auch nicht ausreichen.

Was mich immer noch schwer beeindruckt, ist die Varianz in den Themen und Erzählstimmen, soweit ich das bislang nachvollziehen kann. Ich habe also allen Grund anzunehmen, dass ich auch mit diesem Buch bestens unterhalten werde. 😊

„Berlin, ein heißer Sommer: Vier kaltblütige Morde erschüttern die Stadt. Alles deutet auf einen selbsternannten Racheengel hin, der seine Opfer wegen ihrer moralischen Verfehlungen auswählt. Seine Motive hinterlässt er am Tatort, mit lila Tinte auf kleinen Schildchen notiert. Doch der frustrierte, leicht depressive Kriminalhauptkommissar Kai Nabel und seine übereifrige Kollegin Lidia Rauch glauben nicht an diese Theorie. Ihre kriminalistische Intuition sagt ihnen, dass dem Fall viel niedrigere Instinkte zugrunde liegen …“ (Verlagstext)

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Donnerstag, 11. September 2025

Ruth Hoffmann: Das deutsche Alibi. Mythos "Stauffenbberg-Attentat" - wie der 20. Juli 1944 verklärt und politisch instrumentalisiert wird


„Ein Datum im Dienst der Politik

Der Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 scheint bestens erforscht. Und doch ist nur wenigen bewusst, dass ein breites Bündnis von rund 200 Menschen unterschiedlicher politischer Couleur am sogenannten ‚Stauffenberg-Attentat‘ beteiligt war.

Ruth Hoffmann unternimmt eine längst überfällige Dekonstruktion des legendenhaft überhöhten Anschlags auf Hitler. Sie lenkt den Blick auf die gesellschaftliche Breite der Verschwörung und zeigt, wie der 20. Juli seit Gründung der Bundesrepublik instrumentalisiert wird: mal um sich gegen die DDR abzusetzen, mal um ehemaligen Nationalsozialisten eine Nähe zum Widerstand anzudichten, oder, wie die AfD, um die eigene Demokratiefeindlichkeit mit einem angeblichen Widerstandsgeist in der Tradition Stauffenbergs zu kaschieren.

Der profund recherchierte Beitrag zu einem schicksalhaften Tag in der deutschen Geschichte“ (Umschlagtext)

Die Frage, was war, ist mindestens so spannend wie die, was nachfolgende Generationen dann darüber sagen und interpretieren. Zurecht wird die Art und Weise, wie Geschichte befragt wird, nicht weniger intensiv untersucht als die historischen Gegenstände selbst. Zumal hier unsere jeweiligen Interessen im Hier und Heute damit oft klarer zutage treten.

Zu den Facetten von Widerstand gegen das Nazi-Regime und dessen Verbrechen gibt es inzwischen viele Regalmeter Literatur, darunter viel Hilfreiches und einiges Hilflose. Leider ist die Aufarbeitung offensichtlich noch nicht abgeschlossen, Aufklärung und Nachdenken über das Damals heute so wichtig wie zuvor. Und unser daraus resultierendes Handeln im Heute erst recht.

„‘Der 20. Juli 1944 war schon immer ein Stachel im Fleisch deutscher Selbstgewissheit – weil er das Märchen vom verführten Volk entlarvte, das von nichts gewusst habe, und weil er zeigte, dass es möglich gewesen wäre, sich anders zu verhalten. Nur die allerwenigsten wollten sich das eingestehen, doch als Kronzeugen für jenes ‚andere Deutschland‘ durften die Widerständler gern herhalten. Das war nützlich für die Selbstdarstellung gegenüber dem Ausland und die Selbstvergewisserung nach innen.

Wie wir dieses Ereignis heute beurteilen, ist kein gesellschaftlicher Konsens, sondern das Produkt einer wechselvollen Entwicklung voller Widersprüche, empörender Vereinnahmungen und Versäumnisse.‘ Ruth Hoffmann“ (Klappentext)

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Mittwoch, 10. September 2025

Robert Seethaler: Das Feld

„Wenn die Toten auf ihr Leben zurückblicken könnten, wovon würden sie erzählen? Wäre es eine Geschichte oder die Erinnerung an einen Moment, an ein bestimmtes Gefühl, eine Regung?

Das Feld handelt von den letzten Dingen. Es ist ein Buch der Menschenleben, jedes ganz anders, jedes mit anderen verbunden. Sie fügen sich zum Roman einer kleinen Stadt und zu einem großen Bild menschlicher Koexistenz.“ (Umschlagtext)

Hach, der Seethaler! Mit dem Trafikanten hat er sich mir ja ins Herz geschlichen und seither nicht enttäuscht. Einfach gute Geschichten, ganz unprätentiös erzählt und selbst Kitschiges ist plötzlich plausibel und ok.

So jemanden trifft man gern in unregelmäßigen Abständen immer wieder, setzt sich zusammen, lauscht einer Geschichte, lässt sich mitreißen – bis zum nächsten Mal.

„Was bleibt von einem Leben?

Einer wurde geboren, verfiel dem Glücksspiel und starb. Ein anderer hat nun endlich verstanden, in welchem Moment sich sein Leben entschied. Eine erinnert sich daran, dass ihr Mann ein Leben lang ihre Hand in seiner gehalten hat. Eine andere hatte siebenundsechzig Männer, doch nur einen von ihnen hat sie geliebt. Einer war vernünftig genug, sich seine Träume nicht zu erfüllen. Und einer dachte: Man müsste mal raus hier. Doch dann blieb er.
In Robert Seethalers neuem Roman geht es um die letzten Dinge: um das, was sich nicht fassen lässt. Es ist ein Buch der Menschenleben, jedes ganz anders, jedes mit anderen verbunden. Sie fügen sich zum Roman einer kleinen Stadt und zu einem großen Bild menschlicher Koexistenz.“ (Klappentext)

#lesesommer #roman #robertseethaler #hanserberlin #kleinstadt #menschen #leben #wasbleibt #lesen #leselust #lesenswert #leseratte #bücher #literatur

Sonntag, 31. August 2025

Anne Rabbe: Das M-Wort. Gegen die Verachtung der Moral


„Moral ist nicht en vogue: Sie ist unter Verdacht geraten – von der Spaßbremse bis zum gesellschaftlichen Klotz, der den Fortschritt aufhält. Sie ist zum Unwort verkommen, dem M-Wort, das niemand mehr gern in den Mund nimmt. Anhand konkreter Beispiele – wie dem Umgang mit Armut, Migrations- und Klimapolitik, der Gleichberechtigung der Geschlechter und steigender Radikalisierung – beleuchtet Anne Rabe auf persönliche Weise die gefährlichen Folgen der Verächtlichmachung von Moral; und zeigt, wie Moral in einer unübersichtlichen Weltlage eine Leitplanke sein kann, um die Zukunft zu gestalten und ihr nicht länger bloß ausgeliefert zu sein.“ (Umschlagtext)

Dass die Welt aus den Fugen geraten scheint, ist ja schon eine zum Allgemeinplatz geratene Feststellung, die gern auch – mindestens gefühlt – mitunter eigentlich auch gar nichts mehr auszusagen scheint – auf der einen Seite. Auf der anderen erlebe ich immer mal wieder Menschen, die im persönlichen Umgang nett und auch sympathisch sind. Äußern sie sich dann zu Gesellschaft und Politik frage ich mich dann oft genug in einer Art, dass ich mich frage, wann deren Kompass im Leben kaputt gegangen ist.

Diese Frage nach dem Kompass, die mich immer wieder umtreibt, ließ mich dann umstandslos auf den Titel dieses Buches reagieren. Denn eigentlich ist es ja das: Moral, Wertvorstellungen – die die Eichung unseres persönlichen Kompasses bestimmen.

Wenn Leute dann einerseits sowas wie Gerechtigkeit einfordern und das auch ernst meinen, gleichzeitig aber Ungerechtigkeiten das Wort reden, sowie es andere Menschen/Menschengruppen betrifft, dann scheint mir die Eichung des Kompasses deutlich gestört zu sein. Die Frage, wie das passiert sein könnte, ist die eine. Warum der Kompass selbst oder dessen Verwendung und Inbezugnahme so in Misskredit geraten scheinen und die Auswirkungen davon, ist eine andere Frage.

Auf Letztere hoffe ich hier ein paar Hinweise und Denkanstöße zu finden. Zur Stärkung des eigenen Gutmenschenmuskels! 😉

„‘Die Verachtung der Moral ist nicht neu. Sie ist immer wieder Motor reaktionärer und auch gewalttätiger Bewegungen. Sie ist aber auch Teil der Überlegenheitsbehauptung derjenigen, die mit zynischem Schulterzucken andeuten wollen, dass sie sich keine Illusionen mehr machen. Oder auch Teil derer, die unter dem Deckmantel des Realismus ihre Privilegien verteidigen. Warum sollten wir uns dem ergeben? Wie haben die Möglichkeit, die Welt mit unseren Gedanken zu verändern. Nichts war einfach, wie es war. Nicht muss bleiben, wie es ist. Das macht Angst, aber darin liegt auch Hoffnung.‘ Anne Rabe“ (Klappentext)

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Samstag, 30. August 2025

Helmut Krausser: Alles wird gut



„Existiert eine ‚manipulative Musik‘?
Dem verkannten Komponisten Marius Brandt werden Notenblätter zugespielt, die für ihn alles verändern. Doch wer hält wirklich den Taktstock in der Hand?
Helmut Krausser nimmt sein großes Thema aus ‚Melodien‘ wieder auf und spinnt es weiter zu einem furiosen, selbstironischen Finale.“ (Umschlagtext)

Der Krausser hat mir ja schon wirklich viele herrliche Lesestunden beschert. Und immer wieder stelle ich irritiert fest, wie viel von seinem nicht enden wollenden Werk ich noch gar nicht zur Hand hatte. Erschütternd, aber natürlich auch schön, weil noch genug zum Entdecken übrig ist und noch mehr wird. 😉

‚Melodien‘, das Buch, an das dieser Roman offensichtlich anschließt, war tatsächlich der erste Krausser-Roman, den ich gelesen habe. Vor sehr vielen Jahren und mit sehr viel Genuss. Wenn das nicht die Vorfreude steigert, dann weiß ich es auch nicht. 😉

„Marius Brandt versucht im Musikbetrieb Fuß zu fassen, doch kein Intendant eines Opernhauses zeigt Interesse an seinen neotonalen Werken, die der Gattung neue gesellschaftliche Relevanz verleihen sollen.
Zunehmend frustriert, von Mordphantasien geplagt, gerät Brandt an Jahrhunderte alte, verschlüsselte Musikaufzeichnungen, die er nach und nach enträtselt. Teile davon baut er in eine Auftragskomposition ein, die er ‚Alles wird gut‘ nennt. Bei der Uraufführung kommt es zu rätselhaften Schwächeanfällen im Publikum. Einer der Zuhörer stirbt sogar. Er bleibt nicht der einzige Tote. Doch niemand kommt auf den Gedanken, Brandts Musik könnte dafür verantwortlich sein. Der Komponist selbst begreift zwar, dass etwas Absonderliches in seine Welt gefunden hat, das er für seine Zwecke nutzen möchte. Die Konsequenzen aber überblickt er nicht.
Er wird zum Spielball dubioser Figuren, deren Absichten im Dunkel liegen. Mit ‚Alles wird gut‘ spinnt Helmut Krausser ein Grundmotiv seines Erfolgsromans ‚Melodien‘ weiter – zu einem ebenso faszinierenden wie überraschenden Ende.“ (Klappentext)

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Freitag, 22. August 2025

Patricia B. McConnell: Das andere Ende der Leine. Was unseren Umgang mit Hunden bestimmt


„Alle in diesem Buch beschriebenen Menschen und Hunde beruhen auf lebenden Personen und Hunden.“ (Seite 4)

Puh, Ratgeber sind ja echt so eine ganz eigene Sparte von Büchern. Und an die komme ich ehrlicherweise nicht so richtig ran. Vielleicht fühlt sich das Kind in mir entweder bevormundet oder aber nicht hinreichend für voll genommen. Ok, darüber muss ich mal in einer stillen Minute nachdenken.

Eigentlich fällt dieser Band schon unter die Ratgeber. Umso erleichterter war ich dann beim Lesen, dass der Text doch deutlich anders daherkam. Und darum mochte ich es am Ende. 😊

Als der MM und ich Anfang 2019 entschieden, dass wir zu unserem schon älteren Kater auch gern unser Leben noch mit einem Hund teilen wollten, lag erst einmal eine ganze Menge Recherche vor uns. Mit Hunden hatten wir beide bis dahin wenig zu tun, waren aber wirklich angefixt, nachdem wir zweimal einige Zeit auf den Hund eines Freundes aufpassen durften.

Eine Unmenge an Fragen lagen da auf dem Tisch. Angefangen damit, ob Kater und Hund denn überhaupt miteinander auskommen würden. Wo würde die Fellnase die ganze Zeit über bleiben, wenn wir zu arbeiten hatten. Gäbe es genügend Zeiten und passende Orte in unserer Umgebung für einen angemessenen Auslauf. Die Liste ließe sich noch beliebig fortsetzen. Hundefreund:innen wissen sicher, wovon ich hier rede. 😊

Im Ergebnis wollten wir uns gern darauf einlassen und fanden die beste Hundine. Oder sie fand uns. So genau lässt sich das ja immer nicht sagen. Gefunkt hat es auf jeden Fall wechselseitig. Und nun wird die Dame auch schon Sieben.

Beim Debattieren, was uns so alles wichtig wäre in der Hundehaltung, stellte sich für uns schnell heraus, dass wir eigentlich in weiten Teilen über unser eigenes Verhalten, und unsere Erwartungen daran sprachen. Die beste Entscheidung war es auch, recht früh eine Hundetrainerin hinzuzuziehen. Die Stunden mit ihr bestätigten unseren Eindruck. Denn die Lehrstunden galten vorrangig uns.

In erster Linie mussten wir, so ganz ohne Vorerfahrungen, sehr viel darüber lernen, wie Zeichen und Gesten bei der Hundine zu lesen wären. Die meiste Arbeit, und dafür danken wir der Trainerin noch heute, hatten wir zu leisten. Entscheidungen, wo und wie wir die Hundine führen wollten, was wir von ihr erwarteten, welches Verhalten für uns akzeptabel wäre und eine unendliche Menge mehr.

Und im Alltag – nun, da war es nett, sich vorher etwas zu überlegen und immer wieder zu erleben, dass in so vielen Momenten gar keine Zeit blieb, erst nachzudenken. Hundebegegnungen im Kiez, Menschen auf der Straße, Großstadt überhaupt – jeder Gang war erstmal irgendwie ein Hindernisparcours. Und was haben wir helikoptert. Schlimm. Es gibt da dieses Meme im Netz mit den zehn Sätzen, die alle Hunderhalter:innen sagen. „Das hat er ja noch nie gemacht. Er will nur spielen etc.“ Ehrlich, wir haben keinen Monat gebraucht, um alle diese Sätze automatisch in der einen oder anderen Situation runterzurasseln.

Die Trainingsstunden halfen uns dabei schnell genug zu merken, wie viel vom Verhalten unserer Hundine schlicht von uns abhing. Waren wir aufgeregt, war sie es auch. Wussten wir nicht wohin mit der Leine, versuchte die Hundine einzuspringen, was es nicht besser machte. Viele von euch werden all die Anfängerfehler kennen. Und auch den Moment, in dem dir erst hinterher auffällt, dass du gerade einfach gemacht hast, ganz ohne Rumgrübeln und Aufregung, und deine Fellnase war dankbar dabei und benahm sich ganz zauberhaft.

Sechseinhalb Jahre leben wir nun schon mit der Hundine zusammen und haben, wie die meisten Hundehalter:innen, auch schon einiges durchgemacht. Einen Rattenkampf, ein Flugversuch vom Balkon … Aber bei allen Herausforderungen ist das schönste, wenn die Bindung zwischen der Hundine und uns sich mal wieder als immer fester erweist, wechselseitiges Vertrauen tatsächlich eine wichtige Schlüsselgröße ist.

Mit diesem Buch hab ich lange gewartet, weil meine Erwartungen tatsächlich andere waren, als das Buch dann tatsächlich eingelöst hat. Die Autorin beschreibt ihr Leben mit Hunden in einer Art, die sehr viel Herzblut verrät und sich an so vielen Punkten mit unseren eigenen Erfahrungen deckt, dass ich den tieferen Erläuterungen zu Verhalten und etlichem anderen wirklich gern gefolgt bin.

Der Text kommt ohne „tue dies, lasse das“ aus und wirkt viel stärker mit der reflektierenden Haltung des eigenen Verhaltens der Autorin. Und es entsteht beim Lesen nicht dieses unangenehme Gefühl alles falsch gemacht zu haben, aber dafür keimen Ideen, was man noch selbst einfach mal ausprobieren könnte. Ich bilde mir gern ein, dass es mir beim Verstehen, wie unsere Hundine so tickt, durchaus auch ein gutes Stück geholfen hat. Allein dafür hat sich das Lesen gelohnt.

Kurz und gut: Ratschläge sind auch nur Schläge – aber nicht hier. Toll, auf die Art mehr über das Zusammenleben mit Hunden zu erfahren. Lesen!

(Übersetzung: Gisela Rau)

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